Klimawandel – Ein Thema für die IPPNW?

Gesendet: Sonntag, 11. Dezember 2016 um 23:12 Uhr]

Klimawandel – Ein Thema für die IPPNW?

Hier ein Link für die Diskussion Sept/18

ich beschäftige mich ja – wie einige von Ihnen und euch – schon länger
mit dem Thema Klimawandel und möchte anregen, dass sich auch die
deutsche IPPNW noch mehr zu dem Thema engagiert. Nicht nur weil ich Noam
Chomsky zustimme, dass der Klimawandel neben dem Atomkrieg die größte
globale Bedrohung und Herausforderung für die Menschheit darstellt,
sondern auch, weil das Thema verschiedene Kernthemen der IPPNW berührt:
Gesundheit, Krieg und Flucht, Atomenergie, und nicht zuletzt soziale
Verantwortung.

Momentan ist die Menschheit dabei, das Klimasystem der Erde aus einer
etwa Zehntausend Jahre anhaltenden Phase weitgehender Stabilität – die
i.w. die Kulturgeschichte der Menschheit erst möglich gemacht hat –
heraus zu bewegen. Ich finde u.a. diese Grafik recht anschaulich:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5b/All_palaeotemps_G2.svg
Die roten Punkte rechts entsprechen den Vorhersagen des Weltklimarats:
wenn die Entwicklung so weiter geht wie bisher, wird es voraussichtlich
zu einem globalen Temperaturanstieg um ca. 4,8 Grad Celsius bis zum Jahr
2100 gegenüber der vorindustriellen Zeit (bzw. weiteren knapp 4 Grad im
Vergleich zu jetzt) kommen.

Bereits jetzt (Temperaturanstieg von ca. 1 Grad) sind Entwicklungen
beobachtbar, die sehr wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Klimawandel
stehen: Eine mehrjährige Dürre mit Wasser- und Lebensmittelknappheit im
Vorfeld des Bürgerkriegs in Syrien, Versalzung von Grundwasser und
Ackerböden durch Überschwemmungen in Bangladesch, gefährdete
Trinkwasserversorgung aufgrund abschmelzener Gletscher in den Anden usw.
Es ist wohl so gut wie sicher, dass in einer vier Grad wärmeren Welt ein
“gutes Leben” für die meisten Menschen nicht mehr möglich sein wird.
Bereits der sog. “Jahrhundertsommer” 2003, der (bei ca. 4 Grad erhöhten
Temperaturen in Süddeutschland im Vergleich zu Durchschnittssommern
1960-1990) u.a. ca. 70.000 Hitzetote in Europa sowie massive
Ernteverluste zur Folge hatte, hat die Auswirkungen u.a. auf die
Landwirtschaft und die Gesundheit deutlich gemacht. Derartige
Wetterextreme werden wir in Zukunft voraussichtlich noch viel häufiger
erleben.

Dabei sind wir in Deutschland durch die geographische und
wirtschaftliche Lage ja noch eines der am wenigsten betroffenen Länder.
Manche Gegenden, insbesondere in Afrika, werden durch einen weiteren
(und dort im Verhältnis stärkeren) Temperaturanstieg voraussichtlich
unbewohnbar werden, was vmtl. weitere Flüchtlingsströme nach sich ziehen
wird. Schon jetzt wird deutlich, dass die Länder, die durch ihre hohen
CO2-Emissionen bisher am meisten zum globalen Klimawandel beigetragen
haben (westliche Industrienationen) zumindest anfangs am wenigsten unter
den Folgen zu leiden haben – welche zunächst die Armen, Kranken und
Schwachen treffen werden.

Diese Dinge zu Ende gedacht wird es wohl leider so sein, dass in einer 4
Grad wärmeren Welt Gesundheit nicht mehr unsere Hauptsorge sein wird –
für viele wird es schlicht ums Überleben gehen (entweder aufgrund von
unmittelbarer Wasser- und Nahrungsmittelknappheit oder aufgrund von
Verteilungskriegen/-konflikten). Bereits eine Temperaturerhöhung um 2
Grad wird weitreichende und z.T. irreversible Folgen haben (z.B.
Abschmelzen des grönländischen Eisschilds), weshalb sich die
Weltgemeinsachaft letztes Jahr auf der UN-Klimakonferenz in Paris auf
das 1,5 Grad-Ziel verständigt hat.

Wie dieses eingehalten werden kann steht allerdings noch in den Sternen,
da Berechnungen zufolge die bisherigen Klimaschutzzusagen der Länder
immer noch auf eine Erwärmung von 2,6 – 3,1 Grad hinauslaufen. Viele
Modelle zur nötigen Transformation der Energiesysteme schließen dabei
die Atomenergie mit ein (wie z.B. das Referenzszenario der Europäischen
Union). Die Rolle der Atomenergie wird wohl u.a. auch bei MedAct
kontrovers diskutiert. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung
für Globale Umweltveränderungen (WBGU) oder das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung (DIW) halten jedoch eine Transformation hin zu
einer kohlenstoffarmen Weltwirtschaft auch ohne Atomenergie für möglich
(vgl. z.B.
https://www.econstor.eu/bitstream/10419/148089/1/871675366.pdf). Damit
dies möglich ist, muss jedoch noch deutlich mehr getan und schneller
gehandelt werden als bisher.

Glücklicherweise ist es bisher noch nicht zu spät – aber die Zeit wird
knapp. Um das 1,5 Grad-Ziel ohne die Einbeziehung von Geoengineering zu
erreichen (Entfernung von Kohlenstoffdioxid aus der Erdatmosphäre mit
technischen Mitteln – die allerdings noch nicht zur Verfügung stehen und
mit Risiken behaftet sind;
https://de.wikipedia.org/wiki/CO2-Abscheidung_und_-Speicherung), muss
Berechnungen zufolge die Verbrennung fossiler Energieträger bis 2040
komplett eingestellt werden. Da die Atomenergielobby schon in den
Startlöchern sitzt (z.B. http://www.sfen.org/en/nuclear-for-climate)
wäre es m.E. im Interesse der IPPNW, hier einen politischen Druck in
Richtung Dekarbonisierung der Wirtschaft aufzubauen, damit die “große
Transformation” ohne Atomenergie gelingt.

Ein guter Anfang war die Unterstützung der von Dieter Lehmkuhl u.a.
initiierten, an die ärztlichen Versorgungswerke gerichteten,
Divestment-Kampagne in diesem Frühjahr. Unsere IPPNW-Gruppe in Stuttgart
hatte vor kurzem Julia Gogolewska von der “Health and Environment
Alliance” (europäische NGO mit Sitz in Brüssel) zu einem Vortrag zum
Thema Klimawandel und Gesundheit eingeladen. Ein weiterer Schritt wäre
z.B. zu überlegen, wie man die Empfehlungen der
Weltgesundheitsorganisation, des Weltärztebunds und der Lancet
Commission for Health and Climate aufzugreifen könnte (z.B.
http://lancetcountdown.org/). U.a. könnte es darum gehen, die
gesundheitlichen Folgen des Klimawandels mehr ins Bewusstsein der
Öffentlichkeit und Politik, der im Gesundheitsbereich tätigen
KollegInnen, der Gesundheitsorgansationen sowie der Forschung zu bringen.

Dieses Wochenende fand in London die MedAct-Konferenz “Healthy Planet,
Better World” mit dem Schwerpunkt-Thema Klimawandel statt (ich konnte
leider nicht dabei sein – aber vielleicht berichtet Alex Rosen noch dazu).
Auf der letzten MedAct-Konferenz (2015) verglich deren Direktor David
McCoy die bevorstehende Aufgabe mit der Abschaffung des Sklavenhandels,
die damals auch u.a. aus wirtschaftlichen Gründen zunächst abgelehnt
wurde – aber dann durch den Druck “von unten”, aus der Bevölkerung,
schließlich umgesetzt wurde
(https://youtu.be/8UTaL8QtUq8?list=PLF1t_AbZoiJAPAfYjhAFtrxhjXV2Jiz5u&t=783)
Nun da mit Trump die USA als wesentlicher Treiber der
Klimaschutzbestrebungen von Regierungsseite wohl wegfällt, ist es m.E.
doppelt wichtig, dass Deutschland noch eine größere Vorreiterrolle
einnimmt, und hierzu ist auch eine starke Bewegung “von unten” nötig.

Die nächste UN-Klimakonferenz wird Ende 2017 in Bonn stattfinden.
Vielleicht ein guter Anlass, das Thema Gesundheit, Frieden und soziale
Verantwortung mehr in die Debatte einzubringen. Wer wäre da besser
geeignet als die IPPNW?
Ich freue mich über Rückmeldungen und Anregungen. Und natürlich wäre es
schön, wenn sich – falls das Thema auf Interesse stößt – noch ein paar
“MitstreiterInnen” finden.

viele Grüße

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
Dieser Beitrag wurde unter Blog veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

1 Antwort zu Klimawandel – Ein Thema für die IPPNW?

  1. Pingback: Klimaerwärmung | Streiten für eine Kultur des Friedens

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert