Junge Welt vom 4.12.20,
Ina Sembdner
Pandemiefolgen
Ärmste am Abgrund
UN-Bericht: Durch Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise trifft »am wenigsten entwickelte Länder« besonders hart und wirft Millionen Menschen in extreme Armut zurück
Die afrikanischen Länder haben in der Pandemie bislang eigentlich alles richtig gemacht: schnelle und konsequente Reaktion auf die Ausbreitung des Coronavirus und maximale Ausnutzung des zwar schlecht ausgestatteten, aber über Erfahrung mit Epidemien verfügenden Gesundheitssystems. 33 der nach UN-Definition »am wenigsten entwickelten Länder« (LDC) befinden sich in Afrika. Die weiteren LDC verteilen sich auf Südostasien und die Pazifikregion, auch der Karibikstaat Haiti und die kriegsgebeutelten Länder Afghanistan und Jemen gehören dazu.
Ein am Donnerstag veröffentlichter UN-Bericht der Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) hat nun bestätigt, dass die insgesamt 47 LDC, in denen zusammen mehr als eine Milliarde Menschen leben, zwar gesundheitlich die Pandemie besser überstanden haben, aber mit einem extremen Einbruch beim Wirtschaftswachstum konfrontiert sind: Die vorausgesagten fünf Prozent (Oktober 2019 bis Oktober 2020) sind auf -0,4 Prozent nach unten korrigiert worden. Geschätzt wird, dass die Krise rund 32 Millionen Menschen wieder in die extreme Armut bringt, was bedeutet, dass sie weniger als 1,90 US-Dollar am Tag zum (Über-)Leben zur Verfügung haben.
Obwohl die LDC ihre beschränkten Mittel genutzt hätten, um die für sie stärkste Rezession seit 30 Jahren abzufedern, seien es insbesondere diese Volkswirtschaften, die am stärksten von der durch den Einbruch der Weltwirtschaft ausgelösten Krise, »für die sie nicht verantwortlich sind, ähnlich wie für ihre Situation in Bezug auf den Klimawandel«, betroffen seien. Der kenianische UNCTAD-Generalsekretär Mukhisa Kituyi sieht darin eine Ungerechtigkeit sei, »die wiedergutgemacht werden muss«. Zum Handeln aufgefordert wird die »internationale Gemeinschaft«. Die westlichen »Geberländer« hielten sich jedoch nicht an ihre langjährige Verpflichtung, den LDC 0,15 bis 0,20 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens zur Verfügung zu stellen. Seit 2013 stagniert dieser Beitrag, der für die LDC den größten Anteil am jeweiligen Kapitaleinkommen ausmacht.
Einen weiteren großen Anteil bilden die Überweisungen von im Ausland arbeitenden Angehörigen. Da diese oft prekär beschäftigt sind, gehörten sie zu den ersten, die in der Pandemie ihren Job verloren haben. Entsprechend fehlt den LDC rund ein Fünftel ihres Kapitaleinkommens. Der Bericht geht angesichts dessen und des sich ausweitenden Handelsdefizits bei Waren und Dienstleistungen von einem Leistungsbilanzdefizit der LDC von 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 gegenüber 4,6 Prozent 2019 aus. Dies stelle das bislang höchste kollektive Defizit dieser Ländergruppe dar.
Als Lösung propagiert der Bericht die dringende Entwicklung der Produktionskapazitäten, um künftig gegenüber »externen Schocks« widerstandsfähiger sein zu können. Dazu meinte am Donnerstag Heiner Flassbeck, ehemaliger Chefvolkswirt der UNCTAD, gegenüber jW: »Produktionskapazitäten zu entwickeln ist natürlich richtig, aber man muss die Frage beantworten, wie es geschehen soll. Die EU ist seit 20 Jahren nicht in der Lage, Produktionskapazitäten auszubauen. Das Problem ist, dass den Ländern vom Westen seit 100 Jahren erzählt wird, sie sollen bessere Bedingungen für den Kapitalimport schaffen.« Das hieße allerdings, dass Armut importiert wird, so Flassbeck. »Die Länder brauchen ein anderes Wirtschaftsmodell. China hat gezeigt, dass es anders geht.«
Herzliche Grüße, Helmut
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