George Bebe, Ukraine-Krieg:“Wir befinden uns in einer sehr, sehr gefährlichen Situation“, 11.10.22

George Bebe, Ukraine-Krieg:“Wir befinden uns in einer sehr, sehr gefährlichen Situation“, 11.10.22, George Bebe,  https://wp.me/paI27O-4aG

passend zum 60. Jahrestag der Kubakrise anbei ein interessantes Interview aus der SZ.Viele Grüße, Angelika Wilmen

Ukraine-Krieg:“Wir befinden uns in einer sehr, sehr gefährlichen Situation“

  1. Oktober 2022, 18:43 Uhr, Lesezeit: 7 min

Wendepunkt oder neue Eskalationsstufe? Der Anschlag auf die Krimbrücke. (Foto: AP/AP)

Ein Gespräch mit dem Ex-CIA-Analysten George Beebe über die akute Gefahr eines Atomkrieges.   Interview von Andrian Kreye

Das Quincy Institute for Responsible Statecraft wurde 2019 in Washington D.C. gegründet. Es ist der einzige Thinktank, der sowohl vom linken Philanthropen George Soros als auch den rechtskonservativen Koch-Brüdern finanziert wurde. Leitmotiv des Instituts ist die Rolle der Diplomatie in der Außenpolitik der USA. George Beebe ist dort Direktor für Strategie. Zuvor war er unter anderem Leiter der Abteilung für Russlandanalysen bei der CIA und außenpolitischer Berater von George W. Bushs Vizepräsident Dick Cheney.

SZ: Hat sich der Krieg mit dem Anschlag auf die Krim-Brücke und den Vergeltungsschlägen verändert?

George Beebe: Nein, diese Eskalation konnte man schon seit Wochen vorhersehen. Der Angriff auf die Brücke hat Putin nur in seiner Entschlossenheit bestärkt zu tun, was er sowieso schon vorhatte. Solche Angriffe auf die ukrainische Infrastruktur bastelt man auch nicht in 24 Stunden zusammen.

Joe Biden hat vergangene Woche sehr öffentlich darüber nachgedacht, ob es für Putin auf dem Weg zur nuklearen Eskalation noch Auswege gibt. Gibt es die?

An einigen Auswegen auf dem Weg zu einem direkten Konflikt zwischen den USA und Russland sind wir schon vorbeigeprescht. Das heißt nicht, dass es die nicht mehr gibt, aber wir haben so einige Gelegenheiten verpasst.

Welche denn?

Ich glaube, das ist ein Krieg, den man hätte verhindern können. Vor dem Ausbruch der Kämpfe hatten die USA und Nato zum Beispiel die Gelegenheit, einen Kompromiss zu finden, was die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine oder auch nur eine starke militärische Partnerschaft mit den USA betrifft. Die Russen haben darauf wie üblich plump und kontraproduktiv reagiert, das hat es für die USA und die Nato sehr schwierig gemacht, da noch einen Kompromiss zu finden.

Aber würde Russland jetzt nicht jeden Kompromiss ausnutzen, um sich Luft für eine neue Offensive zu verschaffen? Die vielleicht noch über die Ukraine hinausgeht?

Das glaube ich nicht. Die Russen schaffen es ja nicht einmal, Gebiete direkt an ihrer Grenze einzunehmen, wo sie von kurzen logistischen Wegen profitieren. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Polen oder gar in Deutschland einmarschieren werden, ziemlich gering.

Glauben deswegen so viele an einen militärischen Sieg über Russland?

Die gehen aber davon aus, dass Russland eine konventionelle Niederlage akzeptieren und nicht eskalieren lassen würde. Dass Russland bereit wäre, diesen Krieg nach den Regeln des Westens zu führen. Ich glaube aber nicht, dass Russland sich an diese Regeln halten wird. Das sehen wir ja jetzt schon. Und diese Eskalationen werden weitergehen. Die Russen werden jedenfalls nicht einfach aufhören zu kämpfen, so wie es die finnische Premierministerin und so einige andere in den Raum gestellt haben. Das ist vollkommen unrealistisch.

Wo bleiben denn da die Auswege?

Die Kubakrise ist ein gutes Beispiel. John F. Kennedy hat damals militärische Stärke mit Diplomatie gepaart. So müssen wir jetzt auch in der Ukraine vorgehen. Ohne dass der Westen die Ukraine im Stich lässt. Oder aufhört, sie mit den Mitteln zu versorgen, sich zu verteidigen. Der militärische Druck dient dazu, einen Kompromiss zu finden, damit das alles nicht weiter eskaliert. Denn der logische Endpunkt dieser Eskalation wäre für alle eine Katastrophe.

Ein Atomkrieg?

Genau. Und dem entgeht man nicht, indem man die andere Seite in eine Ecke drängt, aus der sie nicht mehr rauskommt. Kennedy sagte, dass die wichtigste Lektion der Kubakrise gewesen sei, dass die Führer von Nuklearmächten sich nicht gegenseitig in die Lage bringen dürfen, dass es nur noch die Wahl zwischen Demütigung und Atomkrieg gibt.

George Beebe, Direktor für Strategie am Quincy Institute for Responsible Statecraft.(Foto: Privat)

Wurden diese Lektionen nicht ernst genommen?

Das ist alles lange her, das war eine andere Generation von Staatschefs. Die Generation heute glaubt, dass militärische Auseinandersetzungen gewonnen werden können. Und dass nukleare Supermächte wie Russland besiegt werden könnten.

Was ist denn mit den Überlegungen, einen begrenzten nuklearen Konflikt auszutragen?

Das geht wieder davon aus, dass die jeweils andere Seite zurücksteckt, weil sie den Horror der nuklearen Eskalation begreift. Das wäre aber ein extremes Glückspiel.

Der Westen hat aber schon mehrere Male angedeutet, dass er auf den Einsatz einer Atomwaffe nicht gleich mit Nuklearschlägen reagiert.

Das ist der Standpunkt, den der ehemalige CIA-Chef General David Petraeus vertritt. Dass man auf einen begrenzten russischen Atomschlag mit einem massiven konventionellen Gegenangriff reagieren würde. Das würde aber eine Eskalation garantieren. Russlands Nukleardoktrin erlaubt ihnen ja nicht nur Atomschläge mit Atomschlägen zu beantworten, sondern jeden Angriff, der Russlands Überleben gefährdet. Inzwischen sind die konventionellen Waffen des Westens auch so weit entwickelt, dass sie eine so große Bedrohung sind, wie früher nur strategische Atomwaffen. Die Russen haben diese neuen konventionellen Waffen nicht. Sie werden nicht abwarten, ob solche Angriffe ihre Verteidigungskraft dezimieren. Und das sind Situationen, in denen niemand viel Zeit für Entscheidungen hat. Im besten Falle ein paar Stunden. Unter extremem Stress. Bei enormem gegenseitigen Misstrauen.

Gibt es da nicht doch einen Punkt, an dem alle Beteiligten zur Vernunft kommen?

Ich befürchte, die Antwort liegt im Ersten Weltkrieg. Da glaubten die europäischen Staatschefs, dass sie einen begrenzten Krieg mit einem raschen Ende führen. Und niemand hat mit dem verheerenden Verlauf gerechnet, der für alle Beteiligten zur Katastrophe führte und eine ganze Generation dezimierte. Das hat seine eigene Logik angenommen. Das ist auch heute die Gefahr.

Gibt es denn noch die mittleren Ebenen der Gespräche?

Ich glaube, so schlecht wie momentan war der Zustand der Diplomatie zwischen dem Westen und Russland nicht mal in den finstersten Zeiten des Kalten Krieges. Diplomatie ist fast schon ein Schimpfwort geworden.

Kam das mit dem Ukrainekrieg?

Nein, das ist Teil eines längeren Niedergangs der diplomatischen Kultur. Der hat seine Wurzeln im Ende des Kalten Krieges. Die Vereinigten Staaten befanden sich während des Kalten Krieges in einer bipolaren Welt, in der sie einem gleichrangigen Rivalen gegenüberstanden. Wir führten einen diplomatischen Dialog. Es gab stillschweigende Übereinkünfte und formale rechtliche Vertragsvereinbarungen darüber, wie wir uns einschränken würden, nicht nur unsere Rüstung, sondern auch unser Verhalten. Vieles davon gibt es nicht mehr. Aber dort hin müssen wir wieder zurückkehren.

Geht das denn noch?

Momentan gibt es auf beiden Seiten keine große Bereitschaft, einen diplomatischen Weg zu finden. Ich habe den Eindruck, dass Putin davon überzeugt ist, dass die Vereinigten Staaten nicht nur darauf aus sind, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, sondern Russland als Großmachtrivalen ganz zu eliminieren. Er glaubt, dass die Konsequenzen für Russland im Moment existenziell sind. Wir im Westen halten das für paranoid, für verrückt, für übertrieben. Aber das ändert nichts daran, dass die Russen das glauben und dementsprechend handeln. Das heißt: Wir befinden uns in einer sehr, sehr gefährlichen Situation.

Gibt es denn überhaupt noch Ansprechpartner in Russland?

Russland ist ein stark präsidiales System. Das ist also nicht die Art von Dialog, der auf den unteren und mittleren Regierungsebenen stattfindet. Das ist etwas, das sich auf den Kreml konzentrieren muss. Im Idealfall müssten wir uns zunächst im Geheimen engagieren, so wie während der Kubakrise bei den Geheimgesprächen zwischen Bobby Kennedy, dem Bruder des Präsidenten, und Anatoli Dobrynin, dem sowjetischen Botschafter in Washington. Die waren entscheidend, um einen Kompromiss zu finden.

Aber wer könnten denn heute der Robert Kennedy und der Anatoli Dobrynin sein?

Das müsste in Washington jemand sein, der erstens großen Respekt genießt und zweitens das Vertrauen des Präsidenten der Vereinigten Staaten selbst.

Wer denn?

Darüber möchte ich nicht spekulieren.

Und in Russland?

Müsste es jemand sein, der Putin selbst sehr nahesteht, der dieses Vertrauen und genügend Spielraum hat, um Kompromisse auszuloten, die Präsidenten selbst nicht diskutieren können. Ich würde mich also an jemanden wie Nikolai Patruschew wenden, der Leiter des russischen Sicherheitsrates ist.

Aber auch die Ukraine fühlt sich in ihrer Existenz bedroht. Hat der Westen denn noch Einfluss darauf, was die tut?

Wenn man die Berichterstattung verfolgt, hat man den Eindruck, dass es da eine gewisse Kluft gibt. Aber es ist schon klar, dass die Vereinigten Staaten den Ukrainern nicht nur Waffen liefern, sondern auch nachrichtendienstliche und militärische Beratung und lebenswichtige wirtschaftliche Unterstützung. Die Ukraine ist absolut auf diese Art von Unterstützung angewiesen. Sie könnte den Krieg nicht fortsetzen, ihre Regierung könnte nicht weiter funktionieren. Aber diese Abhängigkeit geht in beide Richtungen. Das ist wie das alte Sprichwort über Banken. Wenn man jemandem 10 000 Dollar leiht, steht er in der Schuld, aber wenn man jemandem hundert Millionen leiht, ist man von diesem Schuldner abhängig, weil so viel auf dem Spiel steht. Das ist ein gewaltiges Problem, denn ich glaube nicht, dass die Vereinigten Staaten und der Westen die Entscheidungen über ihre Sicherheit in die Hände Kiews legen sollten. Diese Entscheidungen sollten in Washington und im Westen gefällt werden, nicht in der Ukraine.

Was wäre denn die Rolle der Europäer in all dem?

Die Europäer, insbesondere Deutschland und Frankreich, haben in der Frühphase eine wichtige Rolle bei dem Versuch gespielt, eine diplomatische Lösung für die Krise in der Ukraine zu finden. Die Minsk-Zwei-Bemühungen waren meiner Meinung nach recht gut. Sie haben allerdings nicht die nötige Unterstützung der Vereinigten Staaten bekommen. Das ist ja auch ein Grund dafür, dass wir heute in diesem Krieg sind. Ich glaube aber, dass Putin zu dem Schluss gekommen ist, dass es für Russland aussichtslos ist, mit Frankreich und Deutschland zusammenzuarbeiten, dass der Entscheidungsträger letztendlich in Washington sitzt. Wenn ich Frankreich oder Deutschland wäre, würde ich mich jetzt auf Washington konzentrieren und drängen, einen Ausweg zu finden.

Nun haben Indien und China angesichts der aktuellen Eskalation erstmals an Russland appelliert. Wie wichtig ist es, die mit ins Boot zu kriegen?

Ich bezweifle, dass China und Indien eine bedeutende Rolle bei der Herbeiführung einer diplomatischen Lösung spielen könnten. Indien hat nicht den nötigen Einfluss. Und obwohl China im Prinzip die Rolle des Vermittlers spielen könnte, haben die Chinesen darin keine Erfahrung, und ich bezweifle sehr, dass die USA eine solche chinesische Anstrengung begrüßen würden, da sie befürchten würden, dass China bei einem Erfolg viel Anerkennung erhalten würde.

Über was für Kompromisse müsste man denn reden, um Putin davon zu überzeugen, dass es nicht die Situation der Demütigung ist, vor der Kennedy so gewarnt hat?

Über das, um was es den Russen von Anfang an ging. Dass die Ukraine nicht Teil eines westlichen Militärbündnisses sein wird. Richtig. Sie haben seit 2008, als die Nato zum ersten Mal die Entscheidung verkündete, dass die Ukraine und Georgien eines Tages Mitglieder des Nato-Bündnisses sein würden, die Bedeutung dieses Punktes betont. Und die Bereitschaft, einen Kompromiss zu finden, würde diese Krise oder diesen Krieg nicht von selbst lösen, aber sie würde einen Kontext schaffen, in dem ein Ausweg viel leichter zu finden ist als unter den derzeitigen Umständen.

Nun hat Russland aber nicht nur die Krim, sondern auch im Osten große Teile der Ukraine erobert oder annektiert. Kann es da einen Kompromiss geben?

Manchmal muss man Dinge flicken, anstatt sie gleich zu reparieren. Einen territorialen Kompromiss zu finden, der diesen Krieg für alle Zeiten beendet, ist kurzfristig nicht machbar. Das heißt aber nicht, dass wir nicht auf diplomatischem Wege einiges tun können, um die Krise im weiteren Sinne zu bewältigen und einzudämmen. Und um sicherzustellen, dass sie nicht zu einer vollständigen Katastrophe eskaliert.

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Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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