IPPNW: Kooperation und gemeinsame Sicherheit müssen Konfrontation ersetzen// Cooperation, common security must replace confrontation

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Kooperation und gemeinsame Sicherheit müssen Konfrontation ersetzen 6. Juni 2023

tags: katastrophale humanitäre Folgen, Klimakrise, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Atomwaffenverbot, nukleare Abrüstung, Atomkrieg, Atomwaffen, Ukrainekrieg
von der IPPNW

[Dr. Angelika Claussen, Co-Vorsitzende der deutschen Sektion der IPPNW und Vizepräsidentin der Vereinigung für Europa, hielt am 8. Mai die folgende Rede im Deutschen Bundestag.]

Sie haben diese Anhörung auf den 8. Mai angesetzt, den Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Sie haben mit diesem Gedenken ein Zeichen für die Zukunft und für Abrüstung, für den Aufbau einer Friedensordnung gesetzt. Dafür danke ich Ihnen.

Die Welt befindet sich in tiefgreifenden, vielfältigen Krisen. Die Klimakrise und die wachsende Gefahr eines Atomkrieges sind die beiden größten Bedrohungen des 21. Jahrhunderts.

Das Bulletin of Atomic Scientists hat den symbolischen Zeiger der Weltuntergangsuhr auf 90 Sekunden vor Mitternacht gestellt, weil es die Gefahr der Vernichtung allen Lebens auf unserem Planeten für größer hält als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich schreitet die Klimakrise voran. Grund dafür ist der massive Raubbau an den ökologischen Grenzen unseres Planeten (planetarische Grenzen) durch die auf fossilen Brennstoffen basierenden Lebens- und Produktionsweisen, einschließlich des Militärs.

Auch IPPNW-Deutschland sieht die Welt in der größten Gefahr seit dem Zweiten Weltkrieg; die Gefahr eines Atomkrieges ist schon vor der Aggression Russlands gegen die Ukraine erheblich gewachsen, weil alle Atomwaffenstaaten ihre Atomwaffenarsenale aufrüsten. Alle Atomwaffenstaaten verbrämen diese Aufrüstung mit dem Begriff “Modernisierung”. Aber die russische Drohung, im Ukraine-Krieg Atomwaffen einzusetzen, hat die reale Gefahr eines Atomkrieges hier in Europa wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Denn jede nukleare Abschreckungspolitik beinhaltet die Option, einen Atomkrieg führen zu wollen – und das bedeutet die Zerstörung von Leben auf unserem Planeten, mit nicht hinnehmbaren humanitären Folgen.

Neue Klimamodelle beschreiben die katastrophalen Folgen selbst regional begrenzter Atomkonflikte. Ein nuklearer Winter würde die globalen Nahrungsketten zerstören und zum Verhungern von zwei Milliarden Menschen führen. Diese Fakten werden jedoch im Diskurs über Atomwaffen und die Doktrin der nuklearen Abschreckung kaum berücksichtigt. Im Gegenteil, die Risiken der nuklearen Abschreckung bleiben verborgen.

Ein möglicher Einsatz russischer Atomwaffen könnte nicht begrenzt werden. Wer das glaubt, ist naiv. Militärische Szenarien für den Einsatz von Atomwaffen gehen von einem hohen Eskalationsrisiko aus. Nukleare Abschreckung setzt den Willen zum Einsatz voraus. Sonst ist sie nicht glaubwürdig.

Selbst wenn Sicherheitsexperten und Militärs einen Atomkrieg als “begrenzt” einstufen, würde er durch den plötzlichen Abfall der globalen Durchschnittstemperatur um 1,25 Grad Celsius zunächst die Ernten auf der Nordhalbkugel – und anschließend auf der Südhalbkugel – vernichten. Dies würde zu zwei Milliarden Hungertoten führen.

Aber auch ohne Atomkrieg ist das Szenario von Hunger und Ernteausfällen real. Durch die anhaltende Klimakrise verschlechtern sich die Lebensbedingungen auf der Erde rapide. In vielen Regionen der Welt nehmen Hunger, Armut und Tod als Folge von Dürren und schweren Regenfällen zu. Der Krieg in der Ukraine hat die Dringlichkeit, diese Probleme zu lösen, auf die Tagesordnung gesetzt.

Der Lösungsvorschlag der IPPNW: Die Einhaltung der planetarischen Belastungsgrenzen in allen Politikfeldern, also auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, muss jetzt eingeleitet werden. Konkret bedeutet dies, der Ökologie Priorität einzuräumen.

Die IPPNW schlägt daher einen Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik für die Zukunft vor. Die übergeordneten Leitgedanken müssen sein: Kooperation, gemeinsame Sicherheit statt Konkurrenz und Konfrontation, für Abrüstung, für das Klima.

Welche tragfähigen konkreten Schritte kann die Bundesregierung unternehmen?

Der G7-Gipfel muss ein starkes Signal für nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung setzen. Die G7-Staaten sollten den Einsatz und die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen für unzulässig erklären. Darüber hinaus müssen die schrecklichen humanitären Folgen für Mensch und Umwelt, die durch die Erprobung und den Einsatz von Atomwaffen entstehen, anerkannt werden.
Die G7-Vertreter müssen die Stimmen der Überlebenden der 2.000 Atomtests ernst nehmen und sich auf konkrete Programme zur Unterstützung dieser Menschen einigen. Deutschland sollte finanzielle Hilfe in Aussicht stellen. Im August letzten Jahres hat Außenministerin Annalena Baerbock angekündigt, dass die Bundesregierung bei der Bewältigung der humanitären Folgen, dem Schutz der Opfer und der Sanierung der verseuchten Flächen helfen wird. Dieser Ankündigung müssen nun Taten folgen.
Auf der bevorstehenden Vorbereitungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag vom 31. Juli bis 11. August 2023 sollte die deutsche Delegation die fünf Atommächte im Sicherheitsrat auffordern, gemeinsam eine Erklärung zu verabschieden, in der sich alle fünf Atommächte zum Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen verpflichten.
Die Atommächte und alle NVV-Vertragsparteien sollten beschließen, eine entmilitarisierte Zone um das Atomkraftwerk Saporischschja einzurichten. Die Gefahr einer nuklearen Katastrophe, die weit über die Ukraine hinausreichen würde (je nach Windrichtung und Ausmaß des laufenden militärischen Bombardements), muss abgewendet werden.
Die Bundesregierung sollte auch die zweite Staatenkonferenz zum Atomwaffenverbotsvertrag in diesem Jahr im Beobachterstatus begleiten und weitere Schritte in Richtung eines deutschen Beitritts unternehmen.

Cooperation, common security must replace confrontation

June 6, 2023

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[Dr. Angelika Claussen, co-chair of the German section of IPPNW and the federation‘s regional vice president for Europe, gave the following speech in Germany’s national parliament, the Bundestag, on  8 May.]

You have scheduled this hearing on 8 May, the anniversary of the end of the Second World War. With this commemoration, you have set an example for the future and for disarmament, for building a peace order. I thank you for this.

The world is in profound, multiple crises. The climate crisis and the increasing danger of nuclear war are the two greatest threats in the 21st century.

The Bulletin of Atomic Scientists has set the symbolic hand of the Doomsday Clock to 90 seconds to midnight, because they estimate the danger of the destruction of all life on our planet to be greater than at any time since the Second World War.  At the same time, the climate crisis is advancing. The reason for this is the massive overexploitation  of the ecological limits of our planet (planetary boundaries) due to fossil-fuel-based ways of life and production, including the military.

IPPNW-Germany also sees the world in the greatest danger since World War II; the danger of nuclear war had already grown considerably before Russia’s aggression on Ukraine, because all nuclear-weapon states are rearming their nuclear arsenals. All nuclear-weapon states dress up this armament with the term “modernisation”. But the Russian threat to use nuclear weapons in the Ukrainian war has put the real danger of nuclear war here in Europe back on the agenda. The fact is that every nuclear deterrence policy contains the option of wanting to wage a nuclear war—and that means the destruction of life on our planet, with unacceptable humanitarian consequences.

New climate models describe the catastrophic consequences of even regionally limited nuclear conflicts. A nuclear winter would destroy global food chains and lead to the starvation of two billion people. However, these facts are hardly included in the discourse on nuclear weapons and the doctrine of nuclear deterrence. On the contrary, the risks of nuclear deterrence remain hidden.

A possible use of Russian nuclear weapons could not be limited. Anyone who believes this is naïve. Military scenarios for the use of nuclear weapons assume a high risk of escalation. Nuclear deterrence presupposes the will to use them. Otherwise it is not credible.

Even if security experts and the military classify a nuclear war as “limited”, it would first destroy the harvests in the northern hemisphere—and subsequently in the southern hemisphere­—due to the sudden drop in the average global temperature of 1.25 degrees Celsius. This would lead to two billion deaths from starvation.

But even without nuclear war, the scenario of starvation and crop failure is real. The ongoing climate crisis is rapidly worsening living conditions on the planet. In many regions of the world, hunger and poverty and death are growing as a result of droughts and heavy rains. The Ukraine war has put the urgency to solve these problems on the agenda.

IPPNW‘s proposed solution: Compliance with planetary impact limits, in all policy fields, i.e. also in security and defence policy, must be initiated now. In concrete terms, this means giving priority to ecology.

IPPNW therefore proposes a paradigm shift in security policy for the future.  The overriding guiding principles must be: cooperation, common security instead of competition and confrontation, for disarmament, for the climate.

What viable concrete steps can the German government take?

  • The G7 summit must send a strong signal for nuclear arms control and disarmament. The G7 states should declare the use and threat of use of nuclear weapons inadmissible. In addition, the terrible humanitarian consequences for people and the environment caused by the testing and use of nuclear weapons must be recognised.

  • The G7 representatives must take the voices of the survivors of the 2,000 nuclear tests seriously and agree on concrete programmes to help these people. Germany should hold out the prospect of financial aid. In August last year, Foreign Minister Annalena Baerbock announced that the German government would help to deal with the humanitarian consequences, protect victims and clean up contaminated land. Now this announcement must be followed by action.

  • At the upcoming preparatory conference for the Nuclear Non-Proliferation Treaty from 31 July to 11 August 2023, the German delegation should call on the five nuclear powers in the Security Council to jointly adopt a declaration in which all five nuclear powers commit to renounce the first use of nuclear weapons.

  • The nuclear powers and all NPT parties should decide to establish a demilitarised zone around the Zaporizhzhya nuclear power plant. The danger of a nuclear catastrophe that would reach far beyond Ukraine (depending on the direction of the wind and the extent of the ongoing military bombardment) must be averted.

  • The German government should also accompany the second Conference of States on the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons this year in observer status and take further steps towards German accession.

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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