Ostermarsch 2019: Militär flankierte Wirtschaftskriege

Braunschweig 20.04.2019

Liebe Friedensfreund*innen, wir durften heute bei strahlendem Sonnenschein einen für unsere Fahrrad-Demo freien Innenstadtring erleben.

Was uns heute Demonstrationsrecht und Ostermarschtradition in diesem Punkt bescheren, gab es als autofreie Sonntage schon einmal unter einem ganz anderen Stern. Damals in der Ölkrise der 70ziger Jahre ging das Gespenst um, die OPEC Könnte den Industrienationen den Hahn abdrehen. Heute gehört die Sicherung von Energie- und Handelswegen zum Auftrag der BW. Der Nahe Osten ist Kriegs geschüttelt, die arabische Welt liegt in Trümmern. In Syrien sind seit 2011 über eine halbe Million Menschen getötet worden. Über die Hälfte der 21 Millionen Einwohner*innen wurden zu Geflüchteten. Die Lebenserwartung sank in kurzer Zeit von 70 auf 48 Jahre.

Das Leiden der Syrerinnen und Syrer ist noch lange nicht gestoppt. Der arabische Frühling hatte eine einfache Formel: Brot, Freiheit, Würde. Doch anstatt sozialer Gerechtigkeit folgten eine rasche Militarisierung der Proteste und der heutige Stellvertreterkrieg. US Vize-Präsident Joe Biden musste 2014 zugeben, dass es moderate Rebellen in Syrien nicht gab. USA und Verbündete hatten alle mit Millionen überschüttet, die gegen Assad

kämpften. Nur dass letztlich Al-Nusra, Al Quaida und andere Islamisten das Feld übernahmen. Wie zuvor in Afghanistan und Irak auch. Dies hat zum Scheitern der westlichen Umsturzpläne in Syrien beigetragen. Russland und Iran konnten nun ebenfalls Militär gestützt Verhandlungen Erzwingen und ihren Einflussbereich ausdehnen.

Der separatistische US-Gedanke, den Nahen Osten über sogenannte „blood borders“, „Blutgrenzen“  erst zu destabilisieren und dann als „Neuer Mittlerer Ostent“ Interessen gerecht zu gestalten, ist ins Stocken gekommen. Im Yugoslawien der 90ziger Jahre hatten diese Ethnisierung und Militarisierung der Politik noch Erfolg gehabt.

Schon hier zeigte sich ein Muster, dass die EU – besonders Exportweltmeister Deutschland –Mit Wirtschaftsliberalisierung und Strukturanpassung eine Verarmung und Spaltung der yugoslawischen Bevölkerung bewirken.  Die USA ab – hier im Rahmen der Nato – militärisch „gestalten“. In Syrien zeigt sich dieses Muster wieder.

Im Rahmen einer „EU-Nachbarschaftspolitik“ wird Syrien eine neoliberale Umgestaltung Aufgezwungen, die unter Vater Assad beginnt und Sohn Bashar Al-Assad in den westlichen Medien zunächst als Modernisierer und Kämpfer für Frauenrechte auslobt. Unter deutscher Entwicklungshilfe wurde die gesamte syrische Gesetzgebung durchforstet und auf Wirtschaftsliberalisierung vorbereitet. Das führte letztendlich dazu, dass für Wirtschaftsbetriebe in Syrien:

  • eine 100% ausländische Eigentümerschaft und
  • voller Gewinntransfer für ausländische Investor*innen möglich wurden.

Im Irak hatte es 2003 genau dazu einer US-Militärintervention bedurft. In Syrien nennt sich das aber wie anderswo „EU-Assiziierungsabkommen“. Für die zunehmend in Gewinner und Verlier*innen gespaltene syrische Gesellschaft kein Grund zum Jubeln. Die Proteste 2011 begannen nicht ohne Grund in verarmten ländlichen Gebieten und den Armutsregionen der Großstädte. Diese EU-Wirtschaftspolitik ist nicht nur moralisch gescheitert. Sie war immer US-Militär flankiert. Sie war und ist nicht die bessere Alternative zu offener Militärpolitik, wie ein deutscher Außenminister behauptete.

Egal ob US-amerikanische oder ob russische Militärpolitik: Weniger schlecht, ist nicht noch lange gut !!!! Nicht umsonst fordern die USA jetzt eine erhebliche Aufrüstung Europas, ganz besonders des Exportweltmeisters Deutschlands.

Als wären die Kriege, die von deutschem Boden ausgingen, vergessen. Mit der Aufkündigung des INF-Vertrages über atomare Mittelstreckenraketen kehrt ein Gespenst nach Europa zurück. Anders als in den Zeiten des kalten Krieges ist Militärpolitik immer weniger Verhandlung flankiert. Anders als damals dem Warschauer Pakt steht die Nato jetzt Russland direkt gegenüber.

Als Ärzt*innen und Friedensbewegung müssen wir es immer wieder sagen: In modernen Kriegen des 21.Jahrhunderts sind 95% der Kriegstoten Zivilisten nur 5% Militärs. Die Kriege der Gegenwart zerstören vorrangig die staatliche Zivilstruktur des Gegners, sie schonen geradezu das Militärpotential der Stärkeren. Sie kennen kaum militärische Entscheidungsschlachten, aber die völkerrechtswidrigen Belagerungen von gegnerischen Großstädten und Landschaften. Mit unsäglichen Verlusten für die Zivilbevölkerung.

Friedenspolitik hat heute sehr viel mit Wirtschaftspolitik zu tun. Friedenspolitische Forderungen für Syrien sind: Stopp der Wirtschaftssanktionen, Aufnahme von Verhandlungen, Aktive Wiederaufbauhilfe, Nur durch eine Alternative zum Neoliberalismus wird aus einer instabilen eine weniger kriegerische Welt.

Ohne internationale Kämpfe für soziale Gerechtigkeit  – Brot, Freiheit, Würde – , einer Konversion von BW und deutscher Rüstungsindustrie wird die Spaltung der Gesellschaften auch in Deutschland und Europa nicht aufgehalten.

Wenn nach Thomas Mann der „Antikommunismus die Grundtorheit des 20.Jahrhunderts“ ist, ist es der Neoliberalismus für das 21.. Ohne eine Idee, die größer ist als das Problem, wird es keine Friedenspolitik in Europa und außerhalb geben.

Wieviele Fahrräder mehr würden im Autoland Deutschland auf freie Innenstadtringe passen: für Abrüstung und Bürgerrechte, für Klimaschutz, Gesundheit, Bildung und Solidarität, für eine stabilere, friedlichere Welt ??

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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