https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen#/media/Datei:Planetare_Belastungsgrenzen_2022.png
https://docs.google.com/document/d/1CNrfscmdjRrw9Imd4Yx8lijB0s0C7UwqB7OS5py8h8k/edit
https://helmutkaess.de/Wordpress/klima-und-die-planetaren-grenzen-ein-workshop/
Webinar “Planetare Grenzen – Europas Leben auf Messers Schneide” mit Jutta Paulus und Sven Giegold – Donnerstag, 11. Juni, 18 Uhr
Guten Abend! Ich heiße Leonie Wagener und fasse hier im Dokument auf Deutsch zusammen, was im Webinar auf Englisch gesagt wird.
Jutta: Wir freuen uns sehr auf unser Webinar heute Abend mit Johan Rockström, Tobias Lung und Andreas Hauser. Ich gebe das Wort an Sven Giegold, der erklärt, wie das Webinar heute abläuft.
Sven: Wir freuen uns sehr über unsere wunderbaren Gäste heute Abend. Die Frage ist heute: Wo befinden wir uns mit der Umwelt? Ich freue mich sehr, dass wir Prof. Rockström dabei haben, der das Konzept der planetaren Grenzen entwickelt hat. Was bedeutet das für uns in Europa? Gut, dass wir die European Environment Agency heute vertreten haben durch Tobias Lung. Wir müssen alles auf den Kopf stellen – die Wirtschaft, den Konsum usw., und zwar global.
Wir wollen hier gemeinsam lernen und uns untereinander austauschen. Dafür kann man im Webinar die Hand heben oder schriftlich Fragen stellen. Wir hatten 1000 Anmeldungen, deshalb kann nicht jede*r eine Frage stellen, aber wir werden unser Bestes geben.
Willkommen zu unserer Webinar-Reihe Europe Calling. Wir bringen hier Politiker*innen, kluge Köpfe und Bürger*innen zusammen.
Jutta: Danke für die Erklärung, Sven. Ich erkläre kurz die planetaren Grenzen, bevor unsere Redner mehr dazu sagen. 2009 wurde das Konzept erstmalig veröffentlicht. Prof. Rockström hat zusammen mit hochrangigen Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen die Frage untersucht, was die wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Menschheit bedeutet. Sie versuchten, einen sicheren Raum zu definieren, in dem die Menschheit überleben kann. Dazu haben sie Grenzen, planetare Grenzen, definiert. 2009 war auch Will Stephan aus Australien beteiligt, der Youtube-Videos zum Thema Klimawandel macht.
2015 wurde das Konzept dann aktualisiert. Es ist nicht alles schlimmer geworden, es gab auch Fortschritte, z.B. bei der Ozonschicht. Das zeigt, dass die Politik etwas bewirken kann. Die Ozonschicht erholt sich im Moment wieder. Wenn die Politik also auf die Wissenschaft hört, können wir Verbesserungen bewirken, und es ist höchste Zeit dafür.
Die EEA hat einen wicnhtigen bericht veröffentlicht zum Effekt, den Europa auf die planetaren Grenzen hat. Es geht nicht nur darum, was wir hier in Europa machen, sonder auch um unsere Zusammenarbeit mit anderen Ländern der Welt. Wir müssen dringend handeln, um einen Kollaps zu verhindern.
Prof. Rockström wird gleich beginnen mit der globalen Perspektive. Dann hören wir von Tobias Lung von der EEA, und danach von Andreas Hauser aus der Schweiz, der uns die nationale Perspektive aufzeigt. Es geht nämlich um alle Ebenen.
Es ist uns eine Ehre, dass diese Wissenschaftler heute ihr Wissen mit uns teilen. Vielen Dank dafür.
Prof. Rockström: Vielen Dank, Jutta und Sven, und hallo in die Runde. Könnt ihr meine Präsentation sehen?
Ich möchte euch gerne das Neueste über die planetaren Grenzen erzählen. Wir sind inzwischen bei Version 3.0. Dann stelle ich euch unsere Visionen für die Zukunft vor.
Wir befinden uns gerade in der Coronaviruspandemie, die vorhersagbar war, weil unsere Welt des Anthropozäns so eng verbunden ist. Das war allerdings auch der Ausgangspunkt für die wissenschaftlichen Studien, die wir gemacht haben. Wir nähern uns unserer Grenze und riskieren einen instabilen Planeten. Bei Pandemien oder Hitzewellen o.ä. zeigt sich, wie eng unsere Welt verknüpft ist.
Wir liegen aktuell bei 1,3 Grad Erwärmung, und das ist ein gefährlicher Weg. Deshalb brauchen wir heute auf jeder Ebene Grenzen oder Ziele, in der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Wir haben aktuell drei Krisen: Die Klimakrise, die Gesundheitskrise und die Krise des Ökosystems.
Vor der Pandemie hatten wir ein Treffen von Wissenschaftler*innen und Politikerinnen und konnten die Kipppunkte vorstellen. Das war das Ergebnis von jahrelanger Forschung und Arbeit. Wir sind an einem Punkt, wo wir kurz vor dem Notfall sind und handeln müssen.
Wir leben heute im Anthropozän. Das ist observationell und beruht auf den Veränderungen der Erde seit der industriellen Revolution. Die 1950er gelten heute als Beginn des Anthropozäns.
Was ist unser Ziel für den Planeten, welchen Zustand brauchen wir? Wir glauben, dass die letzten 12.000 Jahre des Holozäns der ideale Zustand waren. Hier sehen wir die Eisvorkommen auf der Welt. Bei -4.000 Grad sind wir im tiefsten Eiszeitalter, und dann kommt das stabile Holozän, bei etwa -1 Grad, und dann geht es in der Neuzeit stark hoch. Der Zustand des Holozäns ist der einzige Zustand, bei dem wir sicher sind, dass er stabil ist.
Wir verstehen die Prozesse auf der Erde heute sehr gut. Es ist das Zusammenspiel aus Biomen. Dieses Zusammenspiel ändert sich drastisch. die Kipppunkte werden hier visuell dargestellt. Man sieht die wichtigsten Systeme, die den Zustand der Erde beeinflussen, z.B der Regenwald im Amazonas, der zur Wüste wird und damit die Balance zerstört. Wir verstehen diese Balance immer besser.
Vor ein paar Monaten haben wir das Modell aktualisiert. 9 der 15 bekannten Kipppunkte sind in Bewegung. Sie werden instabiler. Hier sehen wir den Energiefluss im Atlantik, der sich verschiebt und viele Ökosysteme beeinflusst, u.a. das Schmelzen des Eises. Diese Systeme sind komplex und miteinander verbunden.
Dieses Dokument wurde in der UN-Vollversammlung präsentiert. Die roten Diagramme zeigen die Ergebnisse von 30 Jahren Forschung. Jede Spalte ist ein Bericht des IPCC. Auf der Y-Achse sind die Abweichungen von der Temperatur vor der industriellen Revolution. Links sind Bedrohungen des Ökosystems, rechts sind Auslöser der sog. Kipppunkte. Die Risiken werden mit der sinkenden Temperatur geringer. Je mehr wissenschaftliche Fortschritte wir machen, desto mehr wird uns klar, dass die Erde fragiler ist als gedacht.
Wir befinden uns also im Anthropozän und haben Kippunkte, und daraus ergeben sich die planetaren Grenzen. Welche Prozesse regulieren den Zustand der Erde? Und wenn das Holozän das Ideal ist, wo liegen dann unsere Grenzen, die wir nicht überschreiten dürfen, wenn wir stabil bleiben wollen?
2009 haben wir 9 Prozesse definiert, die universell gelten. Grün ist die sichere Zone. Klimawandel, STickstoff sind in der roten Zone.
2015 haben wir eine gelbe Gefahrenzone ergänzt, wo noch Unsicherheiten bestehen in der Wissenschaft. Aber 4 der 9 Grenzen sind immer noch in der gelben oder roten Zone, die Biodiversität, Landnutzung, Stickstoff.
Diese 9 Grenzen wurden von Kolleg*innen evaluiert und bestätigt. wir haben das Klima, Ozeane und die Ozonschicht, aber auch biogeochemische Flüsse, landnutzung, Süßwasser, und auch Biodiversität. Zwei weitere Grenzen sind erdfremd: chemische Verschmutzung und Aerosolbelastung.
Bei manchen Grenzen gibt es Kipppunkte. Aber andere haben einen weicheren Verlauf. Trotzdem sind sie mit Systemen verbunden, die einen Kipppunkt haben. wir forschen viel zu den Wassersystemen der Erde. Wenn wir eine Grenze überschreiten, beeinträchtigt dies auch andere Grenzen.
Auch regionale Veränderungen wirken sich auf den Rest der Welt aus, z.B. bei Wasser. Dunkelrot sind die Regionen, die den Niederschlag aus anderen Regionen brauchen und davon abhängig sind. Wasser ist also eine planetare Grenze.
Hier wird die Luftverschmutzung sichtbar, die auch Wettersysteme beeinflusst und die globale Durchschnittstemperatur. Es gibt also heute gar keine rein lokalen Themen mehr.
Es gibt verschiedene Initiativen, die die planetaren Grenzen erforschen und weiterentwickeln, z.B. FutureEarth. Eine der großen wissenschaftlichen Grenzen ist unser Punkt, dass wir am Beginn des Anthropozäns stehen. ES ist aber noch nicht fix, wir können noch zurück zum Zustand des Holozäns. Die gelbe Linie ist das Holozän, davor die Eiszeit, und dann 60 Millionen Jahre früher. Und ganz rechts geht die Temperatur dann dramatisch hoch, das wäre die Zukunft. Wenn wir die Uhr aber zum Myozän zurückdrehen könnten, würden wir das verhindern.
Im Potsdam Institut haben wir ein Modell erstellt, das die Funktion der Erde über die letzten 3 Mio Jahre darstellt und die Durchschnittstemperatur. Meist lag sie nicht über 3 Grad Celsius. Die planetaren Grenzen haben die Temperatur reguliert, und diese Grenzen reißen wir gerade ein.
Wir brauchen wohlstand und Gerechtigkeit innerhalb unserer planetaren Grenzen. Wir haben auf der X-Achse Länder, die gegen die Grenzen verstoßen, und bei Y die sozialen Indikatoren wie BIP, Bildung, Ernährung und so weiter. Hier ist die EU, die reichen OECD-Länder. Guter Sozialindikator, aber schlecht bei den planetaren Grenzen. Kein Land erreicht beides gleichzeitig.
Wir haben uns mit Ernährungssystemen auseinandergesetzt mit Lancet zusammen. Wir haben gezeigt, dass wir die Menschheit innerhalb der planetaren Grenzen noch ernähren können. Aktuell ist die Ernährung eines der Felder, wo die Grenzen am meisten überschritten werden. Wir müssen in nachhaltige Landwirtschaft investieren, um im sicheren Raum zu bleiben.
Ähnlich ist es beim Kohlenstoffgesetz. Wir müssen die Emissionen dringend reduzieren und klimaneutral werden bis 2050. Wir müssen unsere Kohlenstoffsenken bewahren. Wir haben 6 Transformationen definiert, die das Potential haben, uns im sicheren Raum zu bewahren. Nachhaltigkeit ist heute eine Möglichkeit, diese Ziele zu erreichen. Innerhalb der Entwicklungsziele haben wir auch die planetaren Grenzen schon enthalten, wir müssen sie nur umsetzen und einhalten. Die EU geht mit dem New Green Deal in die richtige Richtung. Wir versuchen, mit Unternehmen und Städten nachhaltige Ziele festzulegen und eine Erdkommission einzurichten in Verbindung mit der Wissenschaft. Wir müssen interdisziplinär arbeiten und die GEsundheit des Planeten und der Menschheit gemeinsam sehen. Die planetaren Grenzen können dafür eine Leitlinie sein.
Jutta: Vielen Dank an Prof. Rockström für diese reichhaltigen Informationen. Ich habe kürzlich von Kate Raeworth gehört, die das Donut-Modell entwickelt hat mit den sozialen Grenzen innen und den Umweltgrenzen außen. Ich freue mich, dass die Wissenschaft sich lautstark zu Wort meldet. Wenn die Wissenschaft versucht, vorsichtig zu sein, hören die Menschen Unsicherheit heraus. Wenn die Wissenschaft sagt, hier sind wir uns sicher, dann verstehen die Menschen das. Aber die Wissenschaft sagt eigentlich nie, dass es 100% Sicherheit gibt oder perfekte Daten. Es gibt immer Unsicherheiten.
Die atlantischen Strömungen, damit ist der Golfstrom gemeint. Das würde für uns eine Abkühlung bedeuten. Wir hätten hier ein Klima wie in Kanada. Der Permafrost ist aktuell in den Medien aufgrund des schrecklichen Vorfalls in Sibirien. Da ist ein Tank ausgelaufen, weil die Erde aufgeweicht war, und diese Vorfälle werden in der Zukunft immer häufiger passieren, weil der Permafrost schneller als gedacht wegschmilzt.
Dieses Webinar wird übrigens aufgezeichnet, ihr könnt euch die Folien also nachträglich noch einmal anschauen, wenn ihr möchtet, und vielleicht können wir auch die Präsentation hochladen. Nun hat Tobias Jung das Wort von der European Environmental Agency (EEA).
Tobias: Vielen Dank. Es ist mir eine Ehre, dabei sein zu dürfen und die Ergebnisse unserer Arbeit zu den planetaren Grenzen auf europäischer Ebene vorzustellen. Wir schauen uns das Konzept des Fußabdrucks an innerhalb der planetaren Grenzen. Wir beziehen uns auf das 7. Umweltaktionsprogramm, dessen Vision ein gutes Leben innerhalb der planetaren Grenzen ist. Es wird ein besseres Verständnis dieser Themen gefordert. Wir haben ja jetzt eine neue EU-Kommission, aber die Prioriäten sind gleich geblieben. Präsidentin von der Leyen hat dies bestätigt. Wir brauchen sozialen Wohlstand und müssen gleichzeitig die Grenzen respektieren. Auch der New Green Deal ist sehr ehrgeizig, zB. Klimaneutralität bis 2050. Das ist der politische Rahmen, in dem wir untersucht haben, wie wir die planetaren Grenzen konkret anwenden können.
Wir haben 2015 angefangen, die Herausforderungen zu identifizieren und eine Bestandsaufnahme zu machen. Wir verstehen immer besser, wie stark alles verknüpft ist. In letzter Zeit haben wir auch selbst Berechnungen angestellt und einen Bericht herausgebracht. Ich werde später meine Präsentation teilen und auch der Bericht ist öffentlich zugänglich. Wir haben mit vielen Partnern gearbeitet, die in der Präsentation aufgelistet sind. Mein Kollege vom BAFU wird mehr dazu sagen können. Auch mit Universitäten haben wir zusammengearbeitet.
Wir haben uns von drei Fragen leiten lassen. 1., wie sieht ein sicherer Handlungsraum für Europa aus? 2., wie schneiden wir aktuell ab? Wie groß ist unser Fußabdruck? Und 3. Befinden wir uns aktuell im sicheren Handlungsraum?
Diese Fragen schauen wir uns jetzt genauer an. Der sichere Handlungsraum ist ein globales Konzept. Wir müssen uns also den europäischen Anteil anschauen und ihn rausrechnen. Das ist immer ein normativer Prozess. Unser Ansatz hat sich verschiedenen Verteilungsmodelle angeschaut und alle durchgerechnet, anstatt nur einen Ansatz zu wählen. Wir haben Gerechtigkeit, das Prinzip, dass alle die gleichen Rechte und Zugang zu Ressourcen haben. Dann haben wir den Bedarf, das bedeutet, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben, z.B. Ältere vs. Jüngere. Dann haben wir das Recht auf Entwicklung. Weiter entwickelte Regionen sollten den weniger entwickelten Regionen Raum geben, um aufzuholen. Souveränität ist das Gegenteil davon, das bedeutet, dass die Wirtschaft am wichtigsten ist und das Wirtschaftswachstum über allem steht. Der letzte Punkt sind die v.a. finanziellen Mittel. Wie viel können wir investieren, um die Umweltschäden zu reparieren oder auszugleichen? Diese Faktoren haben wir alle mit verschiedenen Modellen durchgerechnet und den europäischen Anteil ermittelt.
Das haben wir dann jeweils auf die planetaren Grenzen angewendet.
Die zweite Frage ist, wo stehen wir aktuell? Wir haben uns den Fußabdruck ausgerechnet und uns angeschaut, wie unser Verbrauch im Inland und im Ausland ist. Wir haben den Stickstoff- und den Phosphorkreislauf aufgeteilt in unserer Berechnung, und dann haben wir noch die Landnutzung und das Süßwasser berechnet, die alle eng miteinander verbunden sind. Unsere Berechnungen zeigen uns, wie wir abschneiden. Die Tabelle ist etwas verwirrend. Das ist die europäische Ebene. Wir haben europäische Grenzen sowie den Fußabdruck für Europa berechnet und erhalten dadurch einen Wert, wie wir abschneiden. Bei Stickstoff und Phosphor und Landnutzung haben wir unsere Grenze für den sicheren Handlungsraum überschritten, aber nicht bei Süßwasser. Manche Regionen schneiden besser ab als andere, z.B. gibt es in Südeuropa eine Wasserknappheit. Wir schneiden insgesamt nicht gut ab.
Wir vergleichen die Ergebnisse jetzt mit den fünf Prinzipien. Das Abschneiden ist die vertikale schwarze Linie, und horizontal sind die fünf Prinzipien. Beim Stickstoff sind die Ergebnisse so oder so im roten Bereich, und bei Phosphor ähnlich, außer wenn man vor allem wirtschaftlich rechnet.
Ähnlich sieht es aus bei der Landnutzung, da sind wir bei 4 von 5 Prinzipien über die Grenze hinaus. Bei Süßwasser wird auf europäischer Ebene keine Grenze überschritten.
Als Schlussfolgerung stehen wir in Europa vor einer großen Herausforderung, insbesondere bei diesen 4 Faktoren. Wir müssen unseren Fußabdruck auf ein Drittel bringen. Dazu brauchen wir grundlegende Veränderungen unserer Systeme, Energie, Mobilität und vor allem Ernährung, weil die Ernährung so direkt mit Umweltverschmutzung, Wasser und Landnutzung zusammenhängt. Der New Green Deal enthält gute Vorschläge, er enthält z.b. auch die Farm-to-Fork-Strategie mit ehrgeizigen Zielen.
Durch unsere Studie haben wir viel darüber gelernt, wie wir das Modell anwenden können, auch auf andere Prinzipien, und wie wir die Anteile sinnvoll berechnen können. Außerdem kombinieren wir die planetaren Grenzen mit dem verbrauchsbasierten Fußabdruck.
Es gibt auch noch Wissenslücken. Wir verstehen die planetaren Grenzen immer besser, und auch die Zusammenhänge zwischen lokalen und globalen Systemen. Aber es ist schwierig, das umzusetzen. Wir ins auch noch uneins bei der Ursachenforschung. Beim Fußabdruck sind auch die finanziellen Faktoren ein Thema. Hier brauchen wir mehr Investitionen, um die Modelle zu erweitern. Der aktuelle Ansatz reicht nicht aus. Viele der Studien sind Einzelprojekte und können nicht regelmäßig aktualisiert werden.
Wir brauchen eine Zusammenarbeit in Wissenschaftsnetzwerken, um die Grundlagenforschung auch in die Anwendung zu bringen.
Jutta: Vielen Dank, Tobias. Du hast gezeigt, dass die EU ihre Klimafolgen teilweise outgesourced hat in andere Länder. Danke, dass du dich für eine faire Verteilung einsetzt. Wir müssen bei diesen Indikatoren dringend Fortschritte machen und nicht nur pro Kopf rechnen. Deine Zusammenfassung war sehr eindrücklich. Die Zahlen im Bericht sind schwerer verständlich als wenn man sie grafisch aufbereitet sieht, und wir befinden uns ja ganz klar oben rechts in der Grafik von Prof. Rockström. Zum Thema Stickstoff- und Phosphorgrenzen: Das hat natürlich mit der Ernährung zu tun. Wir müssen dringend den Fleischkonsum reduzieren, und es ist schade, dass das in der Farm-to-fork-Strategie nicht deutlicher gemacht wird. Wir nutzen mehr Land für Tierfutter als für Menschen in Europa. Da sollte die Politik deutlicher sagen, dass wir unseren Fleischverbrauch halbieren sollten.
In den 27 Jahren der EEA hat sie ein hervorragendes Netzwerk aufgebaut, in dem Daten und Erkenntnisse ausgetauscht werden. Ich setze mich dafür ein, dass sie weiterhin ausreichende finanzielle Mittel für ihre Arbeit bekommt. Das Budget steht ja schon, und alle versuchen, Geld zu sparen, aber wir dürfen nicht bei der EEA sparen. Vielen Dank für deinen Beitrag.
Jetzt kommen wir zu Andreas und der nationalen Ebene.
Andreas: Vielen Dank für die Einladung. Wie Tobias bereits sagte, ist die Zusammenarbeit mit Wissenschaftsnetzwerken essenziell. Die Studie, die er vorgestellt hat, ist sehr inspirierend. Ich bin selbst Wirtschaftswissenschaftler. Warum spreche ich als Schweizer hier im EU-WEbinar? Die Schweiz ist natürlich kein EU-Mitglied, aber wir sind Vollmitglied der EEA. Die Schweiz hat schon lange den Fußabdruck berechnet, für das Klima und weitere Faktoren. Als wir von den planetaren Grenzen erfahren haben, wurde uns klar, dass das das fehlende Glied war.
Diese Grafik ist ein Rating der Bertelsmann-Stiftung. Hier sind alle Länder der Welt vertreten. Man könnte denke, dass die europäischen Länder gut abschneiden. Die Schweiz ist auch noch in Ordnung. Man könnte denken, dass das ausreicht. Aber stimmt das? Ich denke, nein. Die Grenzen sagen etwas anderes. Hier sehen wir die planetaren Grenzen als Außengrenze und innen die sozialen Grenzen, das Donut-Modell von Kate Raworth. Wenn man die Schwelle überschreitet, ist man in der Risikozone, und das ist schon eine ganz andere Botschaft.
solange man sich im Donut befindet, ist alles gut. Johan Rockström hat es den Garten Eden genannt. Sobald man aber einzelne Schwellen überschreitet, kommt man in die Risikozone, und das ist keine gute Idee.
Hier sehen wir verschiedene Fußabdrücke. Ein Großteil unseres Klimafußabdrucks findet außerhalb der Schweiz statt. In der Mitte sind die Treibhausgase, wo der Fußabdruck im Ausland immer größer wird. Rechts ist die Biodiversität und links ist der gesamte Fußabdruck.
Was wir hier bei uns verbrauchen, hat Folgen für die ganze Welt. Unsere Ernährungsgewohnheiten wirken sich z.B. auf Indonesien und Brasilien aus, weil die Welt so eng verbunden ist. Wir versuchen, im Inland Verbesserungen zu erreichen, und vergessen dabei oft unseren Fußabdruck im Ausland.
Wenn man sich die Entwicklung des Fußabdrucks anschaut, hier Treibhausgas pro Kopf, dann ist dieser langfristig so gesehen leicht entkoppelt. Das könnte man positiv betrachten, dass man trotz Wirtschaftswachstum den Fußabdruck stabilisieren kann. Aber eine Stabilisierung reicht nicht aus. Und hier kommen die planetaren Grenzen ins Spiel.
Hier haben wir den Treibhausgasfußabdruck, da sehen wir, wie oft wir die Schwelle überschreiten. Der Schwellenwert kann unterschiedlich definiert werden, aber das Ergebnis bleibt gleich. Das gleiche gilt für die Ozeanversauerung, die mit dem CO2 zusammenhängt. Bei Biodiversität und Eutrophierung überschreiten wir die Schwelle weniger stark, aber immer noch zu viel. Im Biodiversitätsfußabdruck ist nicht jede Komponente enthalten, sondern Biodiversität im Zusammenhang mit der Landnutzung.
Sich die Fußabdrücke anzuschauen, kann die Perspektive verändern, denn der Effekt beschränkt sich nicht auf unsere Landesgrenzen. Die gesamte Produktkette ist betroffen.
Wie Tobias schon sagte, hat die EU die Vision des guten Lebens innerhalb der planetaren Grenzen. Wir haben eine ähnliche Vision in unserer Strategie. Wir müssen die Grenzen des Planeten entlang der gesamten Wertschöpfungskette respektieren. Wie können wir eine Veränderung schaffen? Wir brauchen eine Vision für Ernährung, Wohnen und Verkehr. Wir haben intensiv diskutiert über Pestizide und Landwirtschaft. Vielleicht sollte die Frage aber eher sein, was wir essen sollten, insb. bei Milchprodukten und Fleisch.
Außerdem haben wir Hotspots entlang der Wertschöpfungskette identifiziert, die wir auch ins Gespräch mit der Wirtschaft einbringen können. Außerdem brauchen wir quantitative Ziele, auch, wenn es mühsam ist. Und wir müssen sektorenübergreifend arbeiten.
Der Umweltbericht der Schweizer Regierung zeigt mehrere Bereiche der Zusammenarbeit auf: Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Wir brauchen nicht ein Gesetz oder Ziel, sondern eine Kombination. wir brauchen Zusammenarbeit auf allen Ebenen und mehr Dialog mit der Wirtschaft und der Finanzwelt, und wir brauchen finanzielle Anreize. Wir brauchen einen Informationsaustausch und wir brauchen einen rechtlichen Rahmen, auch für die öffentliche Beschaffung.
Ich bewundere die EU für die Farm-to-fork-Strategie. Wir sollten uns nicht nur die Farm, sondern auch die Fork, also den Verbraucher anschauen. Die Landwirtschaft richtet sich ja nach den Wünschen der Verbraucher. Wir müssen nicht ganz auf Fleisch und Käse verzichten, aber es gibt so viele tolle pflanzenbasierte Produkte heute.
Vielen Dank für die Einladung.
Jutta: Danke für diese pragmatische nationale Perspektive. Es ist immer schwierig, denn wir haben klare Regeln in der Naturwissenschaft und dann haben wir auf der anderen Seite die Gesellschaft. Wie können wir einen Wandel bewirken und welche Rolle spielt die Politik? Der freie Markt hat es ja bisher nicht gelöst.
Ich fange jetzt an, Fragen aus dem Publikum entgegenzunehmen. Erstmal schriftliche Fragen. Gernot fragt Prof. Rockström: Die planetaren Grenzen werden vor allem durch Wachstum überschritten. Müssen wir uns vom Wachstum verabschieden?
Prof. Rockström: Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich stehe Wachstum agnostisch gegenüber, ich finde, es ist die falsche Diskussion. Das Ziel muss immer das Wohlergehen der Menschheit sein, und unser Wachstum passt momentan nicht zu den planetaren Grenzen, aber es ist durchaus möglich, innerhalb der Grenzen zu wachsen, z.B. mit Kreislaufmodellen. Und wir wissen, dass die meisten Weltbürger*innen Wachstum brauchen, damit ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden.
Jutta: Christian B. will wissen, ob wir nicht vierteljährliche Berichte brauchen über unseren Fortschritt unseres Lebens im Kontext der planetaren Grenzen. Wie können wir die Menschen auf diese Krise aufmerksam machen? In der Coronakrise haben die schrecklichen Bilder aus Bergamo geholfen. Würden wöchentliche Berichte an die Regierung helfen?
Tobias: Der eine Punkt betrifft die Wissenschaftskommunikation, die verständlich sein muss. Das liegt uns als Wissenschaftler*innen nicht unbedingt im Blut und wir müssen daran arbeiten, unsere Erkenntnisse leicht verständlich zu präsentieren. Das ist bei schwierigen Konzepten nicht immer einfach.
Konkret zum Thema eines vierteljährlichen Berichts: Das hängt von vielen Faktoren ab, vor allem an der Datenverfügbarkeit. Bei den Fußabdrücken haben wir riesige Datenlücken, das hast du ja gemerkt, Jutta. Viele Daten stammen aus dem Jahr 2012. Bisher haben wir noch keine besseren Modelle und Daten. Und wir müssen sicherstellen, dass wir diese Informationen auch für andere Parameter haben wie das BIP. Bei anderen Parametern ist die Datenlage schwieriger.
Jutta: Ja, die Dinge sind meist komplizierter als gedacht. Frage an Andreas: Gibt es Initiativen, das Konzept der planetaren Grenzen zu verbinden mit dem Konzept von Produkt-Lifecycles?
Andreas: Bei konkreten Produkten ist das schwierig umzusetzen, weil man schätzen müsste, wie viel von dem Produkt verbraucht wird. Oft ist es wichtiger, das richtige Produkt zu wählen als die nachhaltigste Version eines bestimmten Produkts. Die kurze Antwort wäre also nein.
Jutta: Ich habe gesehen, dass ein Apfel aus Neuseeland manchmal nachhaltiger ist als ein gelagerter Apfel aus Europa. Es ist also nicht immer alles so einfach.
Wir haben eine Frage an mich von Claudia. Der Verlust der Biosphäre hat auch mit genetisch modifizierten Organismen etc zu tun. Warum wollen die Grünen CRISPR erlauben? Claudia, ich glaube, der Einsatz von GMOs ist noch schwierig zu quantifizieren, aber natürlich müssen wir die Risiken kennen. Die Grünen setzen sich nicht für eine Lockerung der Regulierungen ein. Ich denke aber, dass wir auf jeden Fall einen evidenzbasierten Ansatz brauchen und vorsichtig vorgehen müssen. Ich setze mich für einen evidenzbasierten Ansatz ein und bin gespannt auf die Pro-GMO-Evidenz, und wenn das in dürregeplagten Regionen helfen kann, dann ist das etwas Gutes.
Eine Frage von Bernd: 9 dre 15 Kipppunkte sind ja schon aktviiert. Ist 2050 nicht viel zu spät für Klimaneutralität? Sollten wir nicht viel dringender handeln? Wenn die Kippunkte schon aktiviert sind, muss es schneller gehen.
Prof. Rockström: Danke für die Frage. Es gibt in der Wissenschaft da einen Unsicherheitsfaktor. Ja, 9 der 16 Punkte sind in Bewegung, wie der Permafrost, den Jutta erwähnt hat. Man könnte also für schnellere Maßnahmen argumentieren. Wenn man aber die 1,5 Grad ändert aufgrund der Kipppunkte, dann wäre das verfrüht. Wenn wir die Weltwirtschaft bis 2050 klimaneutral machen, haben wir noch die Chance, unter 2 Grad zu bleiben. Wir wollen nicht zurück in den Garten Eden, ich verstehe, dass das zu optimistisch ist, aber wir wollen näher heran an den Zustand des Holozäns. Also kein perfekter Zustand, aber zu mindesten stabiler als jetzt. Die IPCC bringt ihre sechste Einschätzung demnächst heraus und dort zeigt sich eine viel höhere Klimasensitivität als bisher. Wir verstehen Wolken und Aerosole inzwischen viel besser, das kann ein Grund dafür sein. Wir haben heute mehr Daten und mehr Evidenz als je zuvor, die zeigt, dass wir klimaneutral werden müssen.
Jutta: Vielen Dank. Wir hier sind uns darüber natürlich einig, aber das gilt nicht für alle politischen Fraktionen. Ich habe mich gefreut über die Ausrufung des Klimanotstands seitens der EU letzten November. Eine schöne Botschaft: Wir haben die Mittel. Erneuerbare Energien sind preisgünstiger als je zuvor. Ich habe vor 20 Jahren meine PV-Anlage installiert, als sie noch 20-mal so teuer war wie heute. Es ist schon viel passiert, und wir müssen unser Potenzial noch besser ausschöpfen.
Nun hören wir von Gisela M., die sich gemeldet hat.
Gisela, wir können dich nicht hören.
Gut, dann machen wir weiter mit Gisela H.
Ich höre nichts, also machen wir weiter mit Delphine.
Delphine: Ja, ich bin hier. Vielen Dank. Es ist schön zu sehen, wie sehr sie sich bemühen für eine positive Vision der Zukunft. Ich bin aber nicht so überzeugt, dass das in den nächsten 30 Jahren passieren wird. Wenn wir die CO2-Emmissionen aus der Vergangenheit zu den aktuellen Emissionen dazurechnen, haben wir den Effekt, dass es ums Jetzt geht und all die Bemühungen umsonst sein werden. Ich habe große Angst, dass wir uns aktuell nicht auf dem Schlimmstfall vorbereiten und dann die Ärmsten der Armen darunter leiden werden. Ich glaube, dass die EU-Politiker das nicht verstehen, dass wir noch mehr verändern müssen und zwar jetzt. Corona hat uns gezeigt, dass es geht, aber es passiert noch nicht. Die Automobilindustrie und die Gewerkschaften glauben, dass sie weitermachen können wie bisher. Ich wünsche mir, dass die Akademiker*innen auf die Straße gehen und aktiv werden.
Jutta: Da ist jetzt was komisches passiert. Ich hatte mehrere Leute auf laut geschaltet. Zu der Frage möchte vielleicht Sven noch was sagen. Was ist die Rolle von Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion und brauchen wir zivilen Ungehorsam?
Sven: Erstmal würde ich sagen, dass die Wissenschaft zwar die Grundlage geschaffen hat beim Klima und das ist schon lange bekannt. Die IPCC-Berichte sind ja relativ konservativ und haben trotzdem nicht geschafft, was Fridays for Future geschafft hat. Das radikalere Image von Extinction Rebellion hatte nicht die gleiche Glaubwürdigkeit wie Fridays for Future. Radikales Handeln kann also auch nach hinten losgehen. Es kommt in Gorleben darauf an, wer blockiert, ob es die Bürger*innen sind oder linke Aktivist*innen, und was genau man blockiert. Aber friedliche Mittel sind immer legitim, und die können ganz unterschiedlich aussehen. Was ich nicht mag, ist dieses Sympathisieren mit der Radikalität. Wir müssen alle unsere legitimen demokratischen Mittel nutzen.
Vielleicht missbrauche ich mal meine Rolle und stelle Prof. Rockström eine Frage. Wie sieht es mit der chemischen Verschmutzung aus und der Faktenlage? Diese Grenze scheint schwer zu definieren. Als Politiker*innen sehen wir oft, dass Menschen Angst vor der Verschmutzung durch Chemikalien haben, aber die Datenlage ist gar nicht so stark. Wo stehen Sie da bei der Grenze für die Chemikalienverschmutzung?
Prof. Rockström: Ich habe das ganz kurz in meinem Vortrag erwähnt, dass wir die planetaren Grenzen erneut aktualisieren werden und da werden auch Modelle zur Interaktion der Grenzen enthalten sein. Wir hatten Workshops zu neuartigen Substanzen mit wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen, um dafür die Grenzen zu bestimmen. Wir gruppieren die Chemikalien nach Funktionen für Menschen und für die Erde, und das ist sehr komplex, aber wir arbeiten daran und machen Fortschritte. Wir wollen bis Ende des Jahres dazu etwas veröffentlichen.
Sven: Was ich jetzt erfahren habe, ist, dass etwas kommt und dass wir gesundheitlich einen anderen Ansatz für die Quantifizierung des Problems brauchen.
Prof. Rockström: Die planetaren Grenzen sind kein Ersatz für die Umwelt- und Gesundheitsvorschriften für die menschliche Gesundheit. Wir interessieren uns dafür, ab wann es die Funktion des Planeten beeinträchtigt. Bei Chemikalien ist es so, dass sie für Menschen viel früher schon gefährlich sind als für die Erde.
Jutta: Die neuartigen Substanzen sollen auch Plastik, GMO und radioaktive elemente enhalten?
Prof. Rockström: Ja.
Jutta: Ich gebe jetzt Frank W. das Wort. Sorry, ich komme nicht so gut zurecht mit diesem kleinen Fenster. Frank W., ich kann seine Stummschaltung nicht aufheben. Frank hat sich scheinbar selbst stummgeschaltet. Okay, dann probieren wir es mit Severin.
Severin: Ich habe eine Frage… Wenn ich mir die planetaren Grenzen anschaue, kriege ich den Eindruck, dass die Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft den größten Fußabdruck hat. Stimmt das, und können wir hier den größten Unterschied machen? Das Konzept von prof. Rockström ist ja gut verständlich, aber es scheint in der Politik nicht anzukommen. Warum?
Prof. Rockström: Ja, die Lebensmittelindustrie ist heute der größte Verursacher von Überschreitungen der planetaren Grenzen, weil so viele Emissionen ausgestoßen werden, so viel Süßwasser verbraucht, so viel Biodiversität und Land zerstört werden und so viel Stickstoff udn Phosphor erzeugt werden. Die Lebensmittelbranche spielt also eine riesige Rolle, von der Landwirtschaft die ganze Kette entlang bis zu den Endverbrauchern.
Sven: Ich glaube, dass hinter der Frage die Überzeugung steht, dass Politik nur mit Wissen zu tun hat. Ich glaube, dass das nur teilweise demokratisch ist. In Europa fehlt es uns nicht an Wissen in der Politik. Wir wissen alle Bescheid, wie dringlich der Klimawandel ist. Aber Politiker*innen werden alle 5 Jahre gewählt von Leuten, denen oft andere Fragen wichtiger sind. Wir müssen auch in der Wirtschaft und im Sozialbereich überzeugen, wenn wir im Bereich Umwelt Fortschritte machen wollen. Wenn wir die Mehrheit im Parlament wollen, brauchen wir eine Agenda, die Soziales, Wirtschaft und die planetaren Grenzen vereint. Wenn wir glauben, dass die Wirtschaft es schon regelt, dann sind wir aber auch naiv. Es geht also nicht nur um Wissen, sondern auch um Strategie und Kommunikation. Selbst in der Coronakrise erfahren die Grünen überraschend viel Zuspruch, und zwar weil die Leute wissen, in welcher ökologischen Gefahr wir uns befinden.
Jutta: Nun hat sich Barbara gemeldet.
Barbara: Ich glaube, wir brauchen eine grundlegende Neuausrichtung in unserem Lebensstil, weg vom Ichbezogenen und hin zum Gemeinwohl. Wir brauchen eine neue Moral oder Ethik. Danke.
Jutta: Danke. Wir haben kaum noch Zeit, aber wir wollen allen noch kurz das Wort geben. Danke an alle, die sich die Zeit genommen haben, es war ein echtes Highlight.
Andreas: Vielen Dank, auch für die Diskussion. Delphine hat schön gesagt, wie dringlich die Sache ist, und ich stimme zu und bin Fridays for Future sehr brauchen. Wir brauchen Montage, Dienstage und Donnerstage for Future. Egal wer, egal wo, wir können alle etwas tun und etwas bewirken. Wir müssen optimistisch bleiben. Danke.
Tobias: Ich stimme Sven zu, dass wir die Wirtschaft mit dem Sozialen und der Umwelt strategisch verbinden müssen. Wir haben kürzlich unseren Bericht herausgebracht, und eine Erkenntnis daraus war, dass die Herausforderungen größer und dringlicher sind als je zuvor, und dass wir nur erfolgreich sind, wenn wir die Menschen mit an Bord bringen und die Wirtschaft und die Rolle von Regierungen und Institutionen neu denken. Wir dürfen die Chance nicht verpassen, denn es gibt wirklich Kipppunkte und irgendwann ist es nicht mehr umkehrbar. Irgendwann ist es zu spät. Ich lade alle ein, sich diesen Bericht anzuschauen. Da wird auch deutlich, welche Chancen wir sehen für eine Veränderung.
Prof. Rockström: Danke an Jutta und Sven. Es ist leicht, zu verzweifeln. Aber wir sind in einer globalen Gesundheitskrise und reden trotzdem noch über nachhaltigen Wandel, unn das zeigt, wie weit wir gekommen sind. Vor 5 Jahren hätte man uns vorgeworfen, die Krise auszunutzen, um über die Umwelt zu reden. Wir sind an einem kritischen Punkt in der Narrative und sehen weniger die Opfer, die gebracht werden müssen, und mehr die Chancen. Wie Churchill sagte, man sollte keine Krise ungenutzt lassen. Die EU macht Fortschritte und geht in die richtige Richtung und ich bin froh, dass wir die planetaren Ziele aus Basis für unsere Diskussion nutzen können.
Sven: Noch ein paar politische Bemerkungen zum Schluss. Die Dinge haben sich wirklich geändert. Wir hatten vor 10 Jahren eine ähnliche Debatte, wo wir die Finanzkrise nutzen wollten, um einen grünen Wandel zu erreichen, aber damals hat es nicht ausgereicht. Heute können wir es schaffen, dass ein Großteil der europäischen Investitionen in der Coronakrise gegen den Klimawandel eingesetzt wird. Ich sehe aber auch die verwirrende Tendenz, dass man Umweltprobleme durch Investitionen lösen kann. Das glaube ich nicht. Wir brauchen nicht nur mehr grüne Investitionen, sondern wir brauchen Obergrenzen für Verschmutzung, Emissionen, Habitatverlust etc. Ja, wir brauchen Investitionen in die richtigen Stellen, aber wir brauchen auch Obergrenzen, und dazu reichen Investitionen nicht aus. In der EU-Umweltpolitik gibt es zwei Sachen: Das Klimathema sollte eine Priorität der deutschen Ratspräsidentschaft sein, und es kann sein, dass das jetzt vernachlässigt wird. Das wollen wir nicht zulassen. Und zweitens, was die Landwirtschaft betrifft, gibt es immer noch die Gefahr, dass die GAP und das Budget unverändert bleibt. Die Farm-to-fork-Strategie ist wichtig, aber wir müssen auch die Gemeinsame Agrarpolitik reformieren. Wenn die Öffentlichkeit so viel Geld in diesem Bereich ausgibt, können wir auch positive Ziele fordern.
Jutta: Der europäische Rechnungshof hat ja bestägt, dass die Ausgaben keinen Effekt haben und dass ökologische Landwirtschaft lohnender ist.
Ich möchte erneut unseren Referenten und allen Teilnehmer*innen danken. Wenn noch Fragen unbeantwortet sind, schickt uns bitte eine E-Mail. Danke fürs Dabeisein. Bitte sagt weiter, dass wir nicht nur die Wirtschaft und die Politik ändern müssen, sondern auch unser Verhalten. Wir haben keine Zeit, uns noch 20 Jahre zu streiten.
Einen schönen Abend an alle und vielleicht sehen wir uns bald persönlich wieder. Und noch einmal danke an das Team, das im Hintergrund so super organisiert. Tschüss!