Gastkommentar zu Ukraine von Ralf Urban

Gastkommentar zu Ukraine von Ralf Urban in der Jungen Welt am 21.12.22

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1169513.ukraine-krieg-waffenstillstand-in-der-ukraine-jetzt.html

Waffenstillstand in der Ukraine jetzt!

Inmitten des Ukraine-Krieges wird die Bedrohung durch einen Atomkrieg immer realer. Ralph Urban fordert einen Waffenstillstand.

Ralph Urban 21.12.2022, 12:58 Uhr Lesedauer: 3 Min.

Die Gefahr eines Atomkrieges ist real. Doch die offiziellen Äußerungen der internationalen Gemeinschaft dazu sind widersprüchlich.

Zunächst hatte der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Gespräch mit Mitgliedern des von ihm gegründeten Menschenrechtsrats in Moskau Anfang Dezember 2022 betont, Atomwaffen dienten der Abschreckung und als Mittel der Vergeltung. Den Ersteinsatz wollte er dabei nicht ausschließen. Zur selben Zeit erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz die Gefahr einer atomaren Eskalation für vorerst gesunken.

Nur wenige Tage später, beim Gipfeltreffen der Eurasischen Wirtschaftsunion in Kirgistan, dachte Präsident Putin öffentlich über das Konzept eines atomaren Präventivschlags nach. Russland könne dieses Konzept von den USA übernehmen und seine Nukleardoktrin entsprechend ändern.

Bisher ist China das einzige atomar bewaffnete Land, das eine bedingungslose No-First-Use-Politik verfolgt. Das bedeutet, dass sich China verpflichtet, Atomwaffen unter keinen Umständen zuerst einzusetzen, sei es als Präventiv- oder Erstschlag oder als Reaktion auf einen nicht-nuklearen Angriff jeglicher Art. Die Militärdoktrinen der USA und Russlands schließen den Ersteinsatz nicht aus. Auch die drohende Niederlage in einer konventionellen Auseinandersetzung könnte zum Einsatz von Atomwaffen führen.

Und wenn ein stetiger Strom von Waffen aus den USA und Europa den russischen Präsidenten in die Defensive bringt, lässt sich der Einsatz von Atomwaffen nicht ausschließen. Genauso steht es im Friedensgutachten 2022 der vier führenden deutschen Friedens- und Konfliktforschungsinstitute: »Wichtig ist, sich bewusst zu sein, dass das Risiko steigt, wenn Russland in die Defensive gerät.« Auch bei einer »geringen Wahrscheinlichkeit« für einen russischen Atomwaffeneinsatz sollte der Westen angesichts der Gefahr einer Eskalation zurückhaltend agieren.

Leider scheint sich die Führung der Nato der Folgen ihres eigenen Tuns nicht sicher zu sein: »Wenn die Dinge schiefgehen, können sie furchtbar schiefgehen«, sagte Nato-Generalsekretär Stoltenberg. Der Krieg in der Ukraine sei schrecklich, und er könne sich zu einem großen Krieg zwischen der Nato und Russland ausweiten. Aus Sicht der russischen Regierung haben sich die Nato-Verbündeten durch die Versorgung der Ukraine mit Waffen, die Ausbildung ihrer Soldaten und die Bereitstellung militärischer Aufklärung für Angriffe auf russische Truppen faktisch bereits zu einer Konfliktpartei gemacht.

Mit jedem Tag wächst das Risiko, dass sich dieser Krieg auf andere Staaten ausweitet oder zum Atomkrieg eskaliert. Das zeigten sowohl der Raketeneinschlag in Polen wie auch die Drohnenangriffe auf russische Militärflughäfen weit im Landesinneren. Jeden Tag bringt der Krieg Leid, Tod und Verwüstung. Jeden Tag nimmt die Unversöhnlichkeit zu, die Fronten verhärten sich mehr und mehr. Der Krieg muss aus all diesen Gründen so schnell wie möglich beendet werden.

Bisher haben weder das Warten auf ein militärisches Patt noch Waffenlieferungen oder Sanktionen ein Zeitfenster für Waffenstillstandsgespräche eröffnen können. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert. Insbesondere die Nationen, die mit den Konfliktparteien verbündet sind, haben jetzt die Pflicht, auf die kriegsführenden Parteien Einfluss zu nehmen, auf einen Waffenstillstand zu drängen und auf Kompromisse – auch wenn diese von beiden Seiten als schmerzhaft empfunden werden.

Die deutsche Regierung sollte sich dem Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für Verhandlungen anschließen, die die berechtigten Sicherheitsinteressen aller Seiten, auch Russlands, berücksichtigen. Wir brauchen jetzt einen Waffenstillstand und Ideen für eine neue europäische Friedensordnung.

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Ceasefire in Ukraine now!

In the midst of the Ukraine war, the threat of nuclear war is becoming more real. Ralph Urban calls for a ceasefire.

Ralph Urban 21.12.2022, Reading Time: 3 min.

The threat of nuclear war is real. But the official statements of the international community about it are contradictory.

Initially, Russian President Vladimir Putin, in a meeting with members of the Human Rights Council he founded in Moscow in early December 2022, emphasized that nuclear weapons serve as a deterrent and a means of retaliation. He did not want to rule out first use. At the same time, German Chancellor Olaf Scholz declared that the danger of nuclear escalation had receded for the time being.

Only a few days later, at the Eurasian Economic Union summit in Kyrgyzstan, President Putin publicly considered the concept of a preemptive nuclear strike. Russia could adopt this concept from the United States and change its nuclear doctrine accordingly.

So far, China is the only nuclear-armed country that has an unconditional no-first-use policy. This means that China is committed to not using nuclear weapons first under any circumstances, whether as a preemptive or first strike, or in response to a non-nuclear attack of any kind. U.S. and Russian military doctrines do not preclude first use. The threatening defeat in a conventional conflict could also lead to the use of nuclear weapons.

And if a steady stream of weapons from the U.S. and Europe puts the Russian president on the defensive, the use of nuclear weapons cannot be ruled out. That’s exactly what the Peace Report 2022 of Germany’s four leading peace and conflict research institutes says: „It is important to be aware that the risk increases when Russia is on the defensive.“ Even with a „low probability“ of Russian nuclear weapons use, the West should act with restraint given the risk of escalation.

Unfortunately, NATO’s leadership seems unsure of the consequences of its own actions. „When things go wrong, they can go terribly wrong,“ NATO Secretary General Stoltenberg said. The war in Ukraine is terrible, he said, and it could escalate into a major war between NATO and Russia. From the Russian government’s point of view, by supplying Ukraine with weapons, training its soldiers and providing military intelligence for attacks on Russian troops, NATO allies have in effect already made themselves a party to the conflict.

With each passing day, the risk grows that this war will spread to other states or escalate to nuclear war. This was demonstrated by both the missile strike in Poland and the drone attacks on Russian military airfields far inland. Every day, war brings suffering, death and devastation. Every day the intransigence increases, the fronts harden more and more. For all these reasons, the war must end as soon as possible.

So far, neither waiting for a military stalemate nor arms deliveries nor sanctions have been able to open a window of opportunity for ceasefire talks. The international community is challenged. In particular, the nations allied with the parties to the conflict now have a duty to influence the warring parties, to press for a cease-fire and for compromises – even if these are perceived as painful by both sides.

The German government should join French President Emmanuel Macron’s push for negotiations that take into account the legitimate security interests of all sides, including Russia. We now need a ceasefire and ideas for a new European peace order.

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Ralph Urban

ist Vorstandmitglied der Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges)

Nur wenige Tage später, beim Gipfeltreffen der Eurasischen Wirtschaftsunion in Kirgistan, dachte Präsident Putin öffentlich über das Konzept eines atomaren Präventivschlags nach. Russland könne dieses Konzept von den USA übernehmen und seine Nukleardoktrin entsprechend ändern.

Bisher ist China das einzige atomar bewaffnete Land, das eine bedingungslose No-First-Use-Politik verfolgt. Das bedeutet, dass sich China verpflichtet, Atomwaffen unter keinen Umständen zuerst einzusetzen, sei es als Präventiv- oder Erstschlag oder als Reaktion auf einen nicht-nuklearen Angriff jeglicher Art. Die Militärdoktrinen der USA und Russlands schließen den Ersteinsatz nicht aus. Auch die drohende Niederlage in einer konventionellen Auseinandersetzung könnte zum Einsatz von Atomwaffen führen.

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Leider scheint sich die Führung der Nato der Folgen ihres eigenen Tuns nicht sicher zu sein: »Wenn die Dinge schiefgehen, können sie furchtbar schiefgehen«, sagte Nato-Generalsekretär Stoltenberg. Der Krieg in der Ukraine sei schrecklich, und er könne sich zu einem großen Krieg zwischen der Nato und Russland ausweiten. Aus Sicht der russischen Regierung haben sich die Nato-Verbündeten durch die Versorgung der Ukraine mit Waffen, die Ausbildung ihrer Soldaten und die Bereitstellung militärischer Aufklärung für Angriffe auf russische Truppen faktisch bereits zu einer Konfliktpartei gemacht.

Mit jedem Tag wächst das Risiko, dass sich dieser Krieg auf andere Staaten ausweitet oder zum Atomkrieg eskaliert. Das zeigten sowohl der Raketeneinschlag in Polen wie auch die Drohnenangriffe auf russische Militärflughäfen weit im Landesinneren. Jeden Tag bringt der Krieg Leid, Tod und Verwüstung. Jeden Tag nimmt die Unversöhnlichkeit zu, die Fronten verhärten sich mehr und mehr. Der Krieg muss aus all diesen Gründen so schnell wie möglich beendet werden.

Bisher haben weder das Warten auf ein militärisches Patt noch Waffenlieferungen oder Sanktionen ein Zeitfenster für Waffenstillstandsgespräche eröffnen können. Die internationale Gemeinschaft ist gefordert. Insbesondere die Nationen, die mit den Konfliktparteien verbündet sind, haben jetzt die Pflicht, auf die kriegsführenden Parteien Einfluss zu nehmen, auf einen Waffenstillstand zu drängen und auf Kompromisse – auch wenn diese von beiden Seiten als schmerzhaft empfunden werden.

Die deutsche Regierung sollte sich dem Vorstoß des französischen Präsidenten Emmanuel Macron für Verhandlungen anschließen, die die berechtigten Sicherheitsinteressen aller Seiten, auch Russlands, berücksichtigen. Wir brauchen jetzt einen Waffenstillstand und Ideen für eine neue europäische Friedensordnung.

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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