Interview“Krieg oder Frieden“: Dohnanyi und Vad https://wp.me/paI27O-6l2
Hier ist ein Interview, das mal in einem „Mainsstreammedium“, dem Nachrichtendienst in web.de, die Sorgen der Friedensbewegung richtig wiedergibt:
Interview„Krieg oder Frieden“
Von Dohnanyi und Vad warnen: „Deutschland würde zum Schlachtfeld“
Sie loben Donald Trump, fordern Dialog mit Moskau und warnen vor einem Krieg in ganz Europa: Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi (97) und der frühere Brigadegeneral und Merkel-Berater Erich Vad (68) haben ein Buch veröffentlicht. Der Titel lautet schlicht „Krieg oder Frieden“? Die beiden sehen Deutschland vor genau dieser Entscheidung, werben für Diplomatie – und Verständnis für Russland.
Die überfallene Ukraine, sagen sie, müsse Gebiete abtreten. Eine Nato-Mitgliedschaft des Landes? Ausgeschlossen. Mit ihren Thesen ecken die Autoren bei weiten Teilen der Politik an. Zeit für ein Gespräch.
Herr von Dohnanyi, Sie sind der Meinung: Es ist ein großer Unterschied, ob man über den Krieg redet oder ob man ihn mal um die Ohren gehabt hat. Sie haben den Zweiten Weltkrieg selbst erlebt. Wie hat die Erfahrung Sie geprägt?
Klaus von Dohnanyi: Das ist schwer zu sagen, weil ich nur diesen einen Blick und keinen Vergleich habe. Ich erinnere mich jedenfalls an die Brutalität, den Schrecken, gerade für junge Leute. Ich habe erlebt, wie 16-jährige Fahnenflüchtige aufgehängt wurden, weil sie nach Hause zu ihrer Mutter wollten. Die Schlussphase des Zweiten Weltkriegs war Krieg in seiner schrecklichsten Form.
Haben die jüngeren Generationen ein zu naives Bild vom Krieg?
Klaus von Dohnanyi: Das glaube ich eigentlich nicht. Kriegsbilder sind im Fernsehen oder über Social Media überall zu sehen. Krieg ist allgegenwärtig. Das gilt nicht nur für die Ukraine, sondern auch für den Nahen Osten oder Syrien.
Erich Vad: Ich denke trotzdem: Krieg ist für die meisten Deutschen weit weg, irgendwo im Osten, in Gaza oder im Sudan. Wir schauen uns diese Bilder im TV und im Internet an, während wir zu Hause auf dem Sofa sitzen. Ich kann mir diese leichtfertige Kriegsrhetorik anders nicht erklären. Da fordern Politiker, bei der Ukraine „all in“ zu gehen, das russische Hinterland oder sogar Moskau zu beschießen. Ich glaube nicht, dass sie sich darüber im Klaren sind, was Krieg ist, und ob sie den Ernst der Lage wirklich verstanden haben.
Man könnte auch argumentieren: Angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine ist unsere Solidarität gefragt. Wir müssen der Ukraine beistehen in der Verteidigung gegen den russischen Überfall.
Klaus von Dohnanyi: Das ist einerseits richtig. Andererseits hat sich die Ukraine selbst in eine Angriffsposition gebracht, indem sie die Nato-Mitgliedschaft angestrebt hat. Deswegen bin ich überzeugt: Die Ukraine hat selbst einen Anteil an den Entwicklungen. Kiew und der Westen hätten wissen müssen, dass Russland das nicht akzeptieren kann. Die Russen wollen nicht, dass eine ehemalige Provinz zur Speerspitze des Westens in ihrem eigenen russischen Fleisch wird. Die Nato-Osterweiterung war ein großer historischer Fehler.
Die Ukraine ist doch keine russische Provinz, sondern ein eigenständiger Staat.
Klaus von Dohnanyi: Durch das Budapester Memorandum hat die Ukraine eine eigene Staatlichkeit bekommen. Es bleibt aber dabei: Eine Sezession ist für den Staat, von dem sich ein Gebiet abspaltet, schwer zu verkraften. In den USA gab es auch einen blutigen Bürgerkrieg, nachdem sich die Südstaaten für unabhängig erklärt hatten. Amerika hat es vorgemacht.
Herr Vad, Sie haben direkt nach der russischen Invasion im Februar 2022 gesagt: Militärisch ist die Sache gelaufen. Das war sie aber nicht. Die Ukraine hält bis heute stand. Haben Sie die Ukraine unterschätzt?
Erich Vad: Nein. Am Anfang hatte der Krieg in der Ukraine den Charakter einer Regimewechsel-Operation: Die Russen wollten mit Spezial- und Luftlandekräften die Regierung in Kiew austauschen. Nur vor diesem Hintergrund habe ich damals gesagt: Das dauert ein paar Tage. Die Operation ist dann aber gescheitert, auch weil die US-Geheimdienste der Ukraine Informationen zur Verfügung gestellt haben. Russland musste – nach einer ziemlich chaotischen Phase – seine Strategie ändern, den militärisch gesehen harten, mühsamen und blutigen Weg durch den Donbass gehen. Und den gehen sie bis heute.
„Putin ist nun einmal ein mächtiger Mensch. Ohne ihn wird in Europa kein Frieden zu schließen sein.“
Sie beide fordern, wieder Gespräche mit Russland zu führen. Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass Putin daran Interesse hätte? Das ist jedenfalls nicht zu erkennen.
Klaus von Dohnanyi: Die Politik lebt nicht von Hoffnungen, sondern vom Tun. Wir müssen mit dem russischen Präsidenten reden. Das gilt für die Europäer genauso wie für die Amerikaner. Putin dürfte aber nicht einmal für Gespräche nach Berlin kommen, weil man ihn dann verhaften müsste. Das ist doch Blödsinn. Putin ist nun einmal ein mächtiger Mensch. Ohne ihn wird in Europa kein Frieden zu schließen sein.
Erich Vad: Ich halte es auch für einen großen Fehler der Europäer, einseitig auf eine militärische Lösung gesetzt zu haben und zu setzen. Wenn man Waffenlieferungen nicht an realistische politische Ziele koppelt und parallel dazu mit einem Dialogangebot versieht, ist die Strategie zum Scheitern verurteilt. Und unsere eindimensionale „Strategie“ der Waffenlieferungen war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Auch sie führt im Ergebnis mit zur Zerstörung der Ukraine und führt sie in die militärische Niederlage. Andere machen doch vor, wie es geht.
Wer zum Beispiel?
Erich Vad: Zwischen der Trump-Administration und Moskau wird ständig kommuniziert. Der türkische Präsident Erdogan – immerhin Staatsoberhaupt des militärisch stärksten Nato-Partners in Europa – tauscht sich ständig mit beiden Seiten aus. Erst vor kurzem hat er auf einem Gipfel in China mit Putin gesprochen. Die Türkei hat der Ukraine Waffen geliefert, aber Gesprächskanäle nach Moskau offengehalten, Friedensgespräche durchgeführt, mit den Vereinten Nationen das Getreideabkommen ausgehandelt. Und wir in Europa sind stolz darauf, dass wir nicht mit der Russischen Föderation reden? Das verstehe ich nicht.
Westliche Politiker haben es doch jahrelang versucht. Russland war Mitglied im Kreis der großen Industriestaaten, wir haben massig russisches Gas gekauft. Das alles hat Putin aber nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren.
Klaus von Dohnanyi: Das sehe ich völlig anders. Bemühungen, mit Russland im Gespräch zu bleiben, gab es schon im Kalten Krieg. Die Wiedervereinigung Deutschlands ist das Ergebnis von gegenseitigem Vertrauen und von Gesprächen. Egon Bahr, Willy Brandt und später auch Helmut Kohl haben großen Wert darauf gelegt, dieses Vertrauen aufzubauen. Auf dieser Grundlage müsste man auch heute mit Russland umgehen. Ja, die Russen sind in die Ukraine eingefallen. Das heißt aber nicht, dass der Krieg nicht wieder beendet werden kann. Darum muss es doch gehen.
Erich Vad: Es stimmt schon, dass der Westen die strategische Verschlechterung der russischen Position mit einer ganzen Reihe von diplomatischen, politischen Initiativen abgefedert hat. Beide Seiten sind aufeinander zugegangen. Doch der Westen hat diesen Weg unter Führung der USA später wieder verlassen.
Woran machen Sie das fest?
Erich Vad: Die Vorgängerregierungen von Donald Trump haben eine Nato-Erweiterung um die Ukraine und Georgien politisch und militärisch vorbereitet und massiv vorangetrieben. Es gab gemeinsame Militärübungen in der Ukraine und im Schwarzen Meer, Gespräche über die Nutzung ukrainischer Militärstützpunkte durch die USA. Irgendwann war die rote Linie aus russischer Sicht überschritten. Das gehört zur Vorgeschichte des Krieges.

US-Präsident Donald Trump hat sich jetzt als Vermittler eingeschaltet. Sind Sie ihm dankbar?
Klaus von Dohnanyi: Wir tun heute so, als wäre ein Deal etwas Ungewöhnliches. Dabei ist die Geschichte der Diplomatie voller Deals. Du gibst mir, ich gebe dir. Trump hat vollkommen recht, wenn er versucht, die Interessen auszugleichen. Im Fall der Ukraine könnte das heißen: Sie verzichtet auf den Donbass, Bereiche am Schwarzen Meer oder die Krim, die ohnehin immer zu Russland gehörte. Dafür bekommt sie Sicherheitsgarantien.
Erich Vad: Ich bin Donald Trump sehr dankbar. Klar, er ist erratisch unterwegs. Im Ukraine-Krieg, für den es keine militärische Lösung gibt, hat er aber den richtigen, den diplomatischen Weg eingeschlagen. Für uns Europäer ist das eine einmalige Gelegenheit. Wir sollten diese Chance, dieses politische Zeitfenster, bis zur nächsten US-Präsidentschaftswahl im November 2028 nutzen und den Friedensprozess mit aller Kraft fördern.
„Deutschland wäre in einem Krieg das Aufmarschgebiet und die logistische Drehscheibe der Nato.“
Klaus von Dohnanyi: Für die USA ist dieser Krieg weit weg. Kürzlich hat der ukrainische Präsident zu Donald Trump gesagt: ‚Auch wir schützen die USA.‘ Woraufhin Trump nur kühl geantwortet hat: ‚Uns schützt der Atlantik.‘ So ist es.
Erich Vad: Und wir Deutsche haben diesen Atlantik nicht und auch nicht den Ärmelkanal wie die Briten. Deutschland wäre in einem Krieg das Aufmarschgebiet und die logistische Drehscheibe der Nato. Hier sind die US-Hauptquartiere, in denen der Ukrainekrieg koordiniert wird, und im nächsten Jahr werden bei uns US-Mittelstreckenraketen aufgestellt. Wir müssen alles daransetzen, dass es einen Ausweg aus diesem sinnlosen Abnutzungskrieg gibt, der die Ukraine zerstört und nicht bewahrt. Wenn Friedrich Merz Kriegskanzler wird, dann hat er versagt. Bei einem europäischen Krieg würde Deutschland zum Schlachtfeld.
Bislang hat Trump allerdings nichts erreicht. Russland greift in der Ukraine mit unverminderter Härte an, ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj ist nicht absehbar. Putin stellt weiter Maximalforderungen.
Klaus von Dohnanyi: Was sind denn seine Maximalforderungen?
Zum Beispiel, dass die Ukraine nicht Nato-Mitglied werden darf und auf Gebiete wie die Krim verzichten muss.
Klaus von Dohnanyi: Das ist auch unvermeidlich. Ebenso wie die Tatsache, dass der Donbass in russischer Hand bleibt. Russland hat diese Gebiete erobert. Die wird es nicht hergeben. Man hätte diesen Krieg nie führen dürfen. Und die Ukraine hat ihn durch ihr Streben in Richtung Nato mitverursacht. Da hat Trump recht. Es muss jetzt trotzdem um Frieden gehen.
Und wie kann der aus Ihrer Sicht aussehen?
Klaus von Dohnanyi: Die Ukraine könnte einem Waffenstillstand zustimmen. Auf der Grundlage, dass die Besetzung von Teilen des Landes durch Russland gegenwärtig wirksam ist. So war es doch bei der deutschen Teilung auch. Es ist ein Einfrieren des Konflikts – aber eines Tages will man die Gebiete zurück.
„Ich finde es notwendig, dass Deutschland nicht nur für den Frieden eintritt, sondern ihn auch sichert.“
Einen Waffenstillstand fordern auch die Europäer. Nur einer will davon nichts wissen: der russische Präsident.
Klaus von Dohnanyi: Putin will eine Regelung, die näher am Frieden als an einem Waffenstillstand ist. Das kann man auch verstehen. Für ihn geht es darum, den Status quo festzuhalten.
Erich Vad: Und dazu gehört auch das Thema Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. Die ist praktisch mausetot und wirklich nicht realistisch. Um ehrlich zu sein: Auch eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine wäre problematisch.
Warum?
Erich Vad: Auch der EU-Vertrag enthält eine Beistandsverpflichtung. Wir würden uns bei einem EU-Beitritt der Ukraine das russische Problem für immer ins europäische Haus holen. Zumal die Ukraine nach den geltenden Beitrittskriterien von Nato und EU zu keinem der Bündnisse beitrittsfähig ist. Es braucht andere, bessere Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Ich könnte mir eine privilegierte Partnerschaft mit Sicherheitsgarantien vorstellen. Egal, welche Lösung es am Ende wird: Sie muss immer auch die Sicherheitsinteressen der Russen mitberücksichtigen.
Sollte sich Deutschland an der Absicherung eines möglichen Friedens in der Ukraine beteiligen?
Erich Vad: Ja und nein. Einerseits muss man darüber reden. Aber die Bundeswehr war zu Beginn des Ukraine-Krieges „blank“, wie es der damalige Inspekteur des Heeres auf den Punkt brachte. Und jetzt? Jetzt sind wir blanker als blank, weil wir auch aus den Beständen der Bundeswehr Waffen an die Ukraine geliefert haben, die noch nicht ersetzt sind. Denken Sie nur an die Leopard-2-Panzer, die angeblich die Kriegswende bringen sollten.
Klaus von Dohnanyi: Ich sehe das etwas anders. Auf jeden Fall sollte Deutschland etwas beitragen. Was das ist, darüber muss geredet werden. Aber ich finde es notwendig, dass Deutschland nicht nur für den Frieden eintritt, sondern ihn auch sichert.
Erich Vad: Das ist richtig. Man muss aber auch an die Machbarkeit denken. Die Bundeswehr schafft es in ihrem jetzigen Zustand nicht, Tausende Soldaten in die Ukraine zu senden. Eine politische und finanzielle Beteiligung oder Hilfe bei der Ausbildung können natürlich trotzdem möglich sein. Zudem: Bundeswehrtruppen sind Nato-Truppen. Die würden die Russen – wenn überhaupt – nur nach Sicherheitsgarantien auch für sie akzeptieren.
Herr von Dohnanyi, die SPD ist seit fast 70 Jahren Ihre politische Heimat. Ist die SPD aus Ihrer Sicht noch eine Friedenspartei?
Klaus von Dohnanyi: Nein. Ich glaube, dass die SPD diese Seite leider völlig vernachlässigt hat. Was oft vergessen wird: Für Frieden zu sorgen, ist harte politische Arbeit. Und vor allem: Es setzt eine intensive Kenntnis der Interessen der anderen Seite voraus. Der alte Bismarck hat mal gesagt, Russland sei ein unbesiegbares Land. Es gibt keine Alternative zum Interessenausgleich.
Über das Buch
- Der Gesprächsband „Krieg oder Frieden – Deutschland vor der Entscheidung“ von Erich Vad und Klaus von Dohnanyi ist im Westend-Verlag erschienen.
Über die Gesprächspartner
- Klaus von Dohnanyi wurde 1928 in Hamburg geboren, seine Eltern waren im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv. Der Jurist wurde 1957 Mitglied der SPD. Er war unter anderem Bundesbildungsminister sowie von 1981 bis 1988 Erster Bürgermeister von Hamburg.
- Dr. Erich Vad ist Jahrgang 1957 und ehemaliger Brigadegeneral der Bundeswehr. Er arbeitete als Berater für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, unter anderem für die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Heute ist er als Unternehmensberater und Dozent für verschiedene Universitäten tätig.