“Kriegsvermeidung in Deutschland: 11 Fragen”

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Kriegsvermeidung in Deutschland: 11 Fragen
von Joachim Wernicke, Berlin, Dezember 2022

Und hier der Text kopiert mit weniger Hervorhebungen.


Inhalt
1. Militärische Verteidigung Deutschlands –
nützlich oder schädlich?
2. Was bedeutet die atomare Abschreckung?
3. Wie kam es zu dieser Denkweise?
4. Sind Atomwaffen in Deutschland Schutz oder Gefahr?
5. Ist die NATO für Deutschland nützlich oder schädlich?
6. Ist Deutschland Kriegspartei im Ukrainekrieg?
7. Brach der Westen Versprechen an Russland?
8. Welche Ursache für den russischen Angriff auf die Ukraine?
9. Was hat es mit Hyperschallwaffen auf sich?
10. US-Hyperschallraketen nach Deutschland?
11. Perspektive für Deutschland?


1. Militärische Verteidigung Deutsch-
lands – nützlich oder schädlich?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Deutschland muss sich militärisch verteidigen können, sonst würde es leichte Beute für aggressive Staaten wie Russland und China.


Genauer hingeschaut: Ja, Selbstverteidigung gegen einen Angriff ist völkerrechtlich erlaubt.
Aber gibt es einen Staat, der Deutschland erobern und besetzen will? Und selbst wenn es ihn gäbe: Was würde denn bei militärischer Verteidigung hier im Land passieren?
Noch niemals in der Geschichte war Deutschland so verletzlich wie heute, bei der hohen Siedlungsdichte, der extrem verwundbaren technischen und sozialen Infrastruktur, den industriellen Gefahrenquellen im Land, darunter Atomkraftwerke und Großchemie, und dem Fehlen jeglichen Zivilschutzes – keine
Schutzräume. Raketentreffer auf ein paar Dutzend kritische Schaltstellen können zumindest die Städte praktisch unbewohnbar machen. Allein aus technischen Gründen ist eine erfolgversprechende militärische Verteidigung Deutschlands nicht mehr möglich. Etwa die Abhängigkeit von Elektrizität:
Ohne Strom kein Licht, kein Wasser, kein Elektroherd, kein Kühlschrank, keine Heizung, kein Radio/Fernsehen, kein Telefon/Handy, kein Computer, kein Supermarkt, keine Tankstelle, also für das Auto weder Benzin noch Elektroladung, keine Bahn, kein elektrisch betriebenes Medizingerät, kein Abpumpen der Abwässer, kein Wärmer für Babyflaschen …
nichts mehr geht. Und das noch bei winterlichen Temperaturen?
Gar nicht zu reden von Sabotageangriffen:
eine Autobahnbrücke gesprengt, eine Panzerabwehrrakete in ein Tanklager oder eine Chemieanlage gefeuert, ein zentraler
Verwaltungscomputer von einer Cybertruppe manipuliert …
Keinesfalls also Kampfhandlungen in Deutschland! Militär im Land – eigenes oder fremdes – verursacht mit seinen Waffenein-
sätzen schwerste zivile Schäden und ist zugleich Angriffsziel, also nutzlose Gefährdung der Bevölkerung. Deutschland ist heute ebenso wenig militärisch zu verteidigen wie ein Krankenhaus oder eine Schule. Was nützen den Menschen neue Sirenen, wenn es keine Schutzräume gibt, in die sie sich flüchten können?
Was nützt ihnen ein militärischer Sieg, der Deutschland als entvölkertes Trümmerfeld hinterlässt? Nutzen haben nur Rüstungsindustrien. Deutschland darf also niemals mehr
militärisch verteidigt werden, sondern nur noch zivil, gewaltfrei, durch Diplomatie, Völkerrecht und im Extremfall durch passiven Widerstand der Bevölkerung. So sehr eine Besetzung auch
den Alltag der Bürgermehrheit stört, die doch mit außenpolitischen Streitigkeiten gar nichts zu tun hat welches Gewicht hat eine militärische Besetzung in Abwägung gegen die
Zerstörung der Lebensgrundlagen im Land?
Vorbilder sind die Tschechoslowakei 1938 und Dänemark 1940, beide damals in Reaktion  auf den Einmarsch der Nazi-Wehrmacht, als kampflose Kapitulation, tatsächlich aber in
wohlüberlegtem Widerstand mit anderen Mitteln. Diese Länder waren sich der Stärke und des Zusammenhalts ihrer Menschen bewusst, und sie sahen die geistige und kulturelle Schwäche des Angreifers, der deswegen über kurz oder lang scheitern müsste. Denn ein Angreiferstaat ist immer autokratisch. Durch den Kontakt seiner jungen Soldaten mit der gewaltfrei agierenden freiheitsgewohnten Jugend des angegriffenen Landes verliert er zwangsläufig die Glaubhaftigkeit seiner Gewaltideologie. Der Einmarsch ist für ihn also gefährlich.
So galt Besetzung damals als weit weniger schlimm als Verwüstung. Hauptsache keine Waffenexplosionen! Ist Deutschland so viel anders als Tschechien oder Dänemark?
Schutzschild Völkerrecht. Wenig bekannt, ist der umfassende Schutz der Zivilbevölkerung in Deutschland heute möglich,
durch das moderne Völkerrecht, aus eigener Kraft und Souveränität – NATO und EU hin oder her. Selbst zu entscheidende deutsche Maßnahmen liegen auf der Hand, als gewaltfreier Selbstschutz, darunter:
(a) die Erklärung der Siedlungsgebiete als entmilitarisierte Rotkreuz-Schutzzonen“, dort kein Krieg, gemäß Artikel 60 des
Zusatzprotokolls I von 1977 zu den Genfer Rotkreuz-Konventionen von 1949 [1], (b) gegenseitige Nichtangriffsverträge mit allen
NATO-Verbündeten; damit unterbleiben Kriegswaffeneinsätze verbündeter Truppen auf deutschem Boden Freunde
bombardieren einander nicht“ (warum fehlt diese Regelung bisher in der NATO?), (c) als Schutzschirm gegen Atomangriffe der
deutsche Beitritt zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag. Bereits 91 der 193 Staaten in der UN haben ihn unterschrieben. 68 haben ihn ratifiziert, darunter in Europa Österreich und Irland. Atomwaffen sind Atomziele.
Im Ergebnis versetzt sich Deutschland in den Sicherheitszustand der NATO-Nachbarstaaten Frankreich, Dänemark und Tschechien und der neutralen Nachbarn Österreich und Schweiz.
Ein über 1.000 km langer Schlachtfeld-Sperrriegel quer durch Europa entsteht, als Schutzzone für die Bevölkerung. Dies ist zugleich ein zentraler deutscher Beitrag zu einer gesamteuropäischen Friedensordnung: keine gegnerischen Militärbündnisse, Schlichtung politischer Streitigkeiten gewaltfrei in Gerichten statt in mörderischer Selbstjustiz mit Kriegswaffen.
Ein historischer Seitenblick: Warum durfte Österreich 1955 seine Souveränität zurück erhalten, unter der Zusicherung der militäri-
schen Neutralität, Deutschland durfte dies aber nicht? Für ihren militärischen Brückenkopf in Europa gegen die Sowjetunion brauchten die USA das westdeutsche Flachland, und sie
brauchten den Hochseehafen Bremerhaven.
Österreich ist Gebirgsland, ohne Hochseehäfen.
Ein Blick auf die Landkarte zeigt: Ohne über Deutschland, seinen Luftraum und seine Nordseehäfen frei zu verfügen, kann keine
Macht einen großen Krieg in Europa führen und gewinnen. Weiter westlich gelegene Länder sind kein Ersatz, weiter östlich
gelegene auch nicht, denn deren Häfen liegen an der Ostsee oder dem Schwarzem Meer – die engen Zufahrten lassen sich leicht sperren.


2. Was bedeutet die atomare Abschreckung?


Die offizielle Antwort kurzgefasst: Solange es Atomwaffen gibt, sind sie ein Kernbestandteil der Gesamtfähigkeit der NATO für
Abschreckung und Verteidigung.


Genauer hingeschaut: Atomwaffen sind Bomben mit millionenfach größerer Sprengkraft und Brandwirkung als konventionelle Waffen, dazu mit der Giftwirkung der Radioaktivität.
Atomwaffen hinterlassen Opfer mit der unheilbaren Strahlenkrankheit. Auch schädigt die Strahlung das Erbgut künftiger Generationen. Schutz oder Verteidigung ist kaum möglich. Kriegsrecht. Angesichts der zunehmend
gewaltsameren Industriekriege mit Maschinenwaffen hatte sich die Völkergemeinschaft 1899 auf den damals neuen Grundsatz geeinigt: „Die Kriegsparteien haben kein unbeschränktes
Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes.“
Daraus entstand ein Kriegsrecht mit Regeln über erlaubte Kampfarten und Waffen, die Behandlung von Kriegsgefangenen und den Schutz der Zivilbevölkerung. Diese Regeln eines Mindestrespekts gegenüber dem Feind als Mitmenschen gelten auch heute. Verstöße dagegen sind Kriegsverbrechen. Staaten, die
sich außerhalb des Kriegsrechts stellen, werden als Parias international verabscheut. Markantes Beispiel ist die rassistische Nazi-Diktatur der 1930er/40er Jahre in Deutschland: Sie nahm
Gruppen von Menschen ihr Lebensrecht.
Das Kriegsrecht führte auf das Totalverbot chemischer und biologischer Waffen.
Massenmord und Vergiftung des Lebensraumes sind die Verneinung von Recht und Menschenwürde.
Atomwaffen gehören ebenfalls in dieses Verbot. Der erwähnte UN-Atomwaffenverbotsvertrag holt dies nach. Aber die Atomwaffen-
staaten wehren sich, dem Vertrag beizutreten.
Ein Grund ist, dass mit Atomrüstung immense Gelder verdient werden, während dies mit chemischen und biologischen Waffen nicht gelingt.
Bereits 1996 hatte das UN-Weltgericht ICJ in Den Haag bekräftigt, dass Atomwaffeneinsätze das Kriegsrecht in vielfacher Weise
verletzen. So fehlt ihnen jegliche Verhältnismäßigkeit, und sie können nicht zwischen Militär und Zivilbevölkerung unterscheiden. Mit traditionellen militärischen Handlungs-
weisen haben Atomwaffen nichts zu tun. Der eingeführte (und deshalb auch hier verwendete) Begriff Waffen für diese Mittel des Massenmords ist vorsätzlich irreführend.
Niemand würde etwa die Gaskammern des Nazi-Regimes „Waffen“ nennen.
Atomare Abschreckung. Um das Atomgeschäft trotz dessen Unvereinbarkeit mit Recht und Menschenwürde weiterführen zu
können, bot sich propagandistisch der Begriff der „Abschreckung“ an: Atomwaffen würden den Frieden sichern, denn die angedrohte
Rache – die Vernichtung von Großstädten – würden Gegner von Angriffen abschrecken.
Die atomare Abschreckung beruht auf der staatlichen Bereitschaft zu größten Kriegsverbrechen, macht den Staat also totalitär.
Neun Staaten besitzen heute Atomwaffen, nämlich neben den USA und Russland sieben weitere: die NATO-Mitglieder Großbritannien und Frankreich, ferner (in zeitlicher Reihe)
China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea.
Diese sieben betreiben jeweils atomare Abschreckung in einer Spanne zwischen 20 (Nordkorea) und 350 Atomsprengköpfen
(China). Im Prinzip reicht eine kleine Anzahl von Atomraketen in wechselnden Verstecken, als gesicherte „Zweitschlagsfähigkeit“.
Aber die USA und Russland gehen weit über solche „minimale“ atomare Abschreckung hinaus. Sie modernisieren ihre Atomwaffenarsenale auf hohen Niveaus, mit je rund 6.000
Sprengköpfen fast zwanzigmal mehr als – auf dem dritten Platz – China. Sollten diese Arsenale zünden, würden Wolken aus radioaktivem Ruß und Staub weltweit die Sonne verdunkeln,
ein „nuklearer Winter“, das Ende der Zivilisation. So gefährden die USA und Russland nicht nur einander, sondern die gesamte Menschheit. Die atomare Abschreckung kann niemals
ein stabiler Zustand sein, denn die großen atomaren Arsenale belauern einander mit aufwendiger Technik rund um die Uhr. Dabei führt die laufende Weiterentwicklung der Waffentechnik zu immer kürzeren Vorwarnzeiten.
So wächst die Gefahr, dass ein technischer Fehler unbeabsichtigt den Atomkrieg auslöst. Der einzige Ausweg ist das Totalverbot der
Atomwaffen. Ein Hoffnungsschimmer: Auf dem G-20-Gipfel 2022 bestätigten erstmals mehrere Atomwaffenstaaten, darunter Russ-
land, die USA und China, die Drohung mit und der Einsatz von Atomwaffen sei „unzulässig“.
Genau dies war die UN-Feststellung von 1996. Bis 1990 unterstanden die Teile Deutschlands den Besatzungsbefehlen von vier Atomwaffenstaaten mit deren totalitärer Denkweise.
Aber warum hat das wiedervereinte souveräne Deutschland nach der eigenen totalitären NaziGeschichtserfahrung nicht als wirklichen Neubeginn eines Rechtsstaats Atomwaffen im
eigenen Land ausgeschlossen, wie es 21 der 26 nicht-atomaren NATO-Staaten in Europa tun?


3. Wie kam es zu dieser Denkweise?
Die Verneinung des Kriegsrechts lässt sich im Rückblick genau datieren. 1937 bombardierte im spanischen Bürgerkrieg die Nazi-Luftwaffe die Stadt Guernica. 1940, im Zweiten Weltkrieg, wiederholte sich dies mit der britischen Stadt Coventry. In beiden Fällen ging ein Aufschrei um die Welt, denn nach Kriegsrecht
galt der Angriff auf Wohngebiete als Kriegsverbrechen. Aber eine begrenzte Gegenmaßnahme gleicher Art, Repressalie genannt, war erlaubt.  So steigerten Deutschland und England gegenseitige Städtebombardierungen, bis 1942 die deutsche Luftwaffe dazu nicht mehr fähig war, durch ihre zweite Front in der Sowjetunion.
Doch statt damit aufzuhören, war auf britischer und ab 1943 auch auf amerikanischer Seite diese strategische Luftkriegsführung
gegen Städte als wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Rüstungsindustrie erkannt worden:
Zehntausende Flugzeuge und Millionen Tonnen Bomben waren zu produzieren. So hatte sich mit Blick auf vermeintliche Zwänge der Kriegswirtschaft das totalitäre Denken des deutschen Diktators Hitler auch in den führenden Köpfe der beiden großen
traditionellen Demokratien festgesetzt. Das Kriegsrecht war in den Hintergrund gedrängt. Der Massenmord an Zivilbevölkerung
erschien ab 1943 als unvermeidliche Erscheinungsform des modernen Krieges. Städte waren normale Bombenziele gewor-
den. Solche Großangriffe brachten das neue Phänomen des Feuersturms mit sich: die ganze Stadtfläche ein zusammenhängendes Großfeuer, keine Überlebenden, auch in Schutzräumen nicht, denn deren Insassen erstickten
an den giftigen Brandgasen. Höhepunkte waren 1943 Hamburg und 1945 Dresden und Tokio.
Das Ausmaß der Spreng- und Brandschäden war jeweils vergleichbar mit den Atomangriffen auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, die wenige Monate später folgten.
Einsteins Warnung. Das Kernland der USA war in seiner Insellage bis 1960 niemals durch Angriffe bedroht. Trotzdem wurde dort
bereits ab 1935 eine Fernbomber-Luftwaffe aufgebaut. Im Zweiten Weltkrieg finanzierte und lieferte das große Land – wie schon im
Ersten Weltkrieg – erneut massenhaft Waffen für Kriegsparteien, diesmal für Großbritannien und die Sowjetunion. Schließlich griffen die USA selbst in den Krieg in Europa ein und führten einen eigenen Krieg gegen Japan.
1938, kurz vor Kriegsbeginn, war in Berlin-Dahlem die Atomkernspaltung entdeckt worden. Vor der Nazi-Verfolgung in die USA geflohen, warnte der Physiker Albert Einstein die dortige Regierung, Hitler könnte anhand der neuen Entdeckung Bomben extremer Zerstörungskraft bauen lassen, Atombomben.
Die USA sollten dem zuvorkommen.
Überflüssig. Angesichts ihrer Militärüberlegenheit gab es zu der Zeit für die USA keinen Grund, sich auf eine solche neue und exotische Waffenart einzulassen, zumal deren Entwicklung erkennbar extrem teuer würde. Dennoch lief Anfang 1943 genau diese Entwicklung mit voller Kraft an, das „Manhattan-Projekt“. Zu der Zeit war die deutsche Kriegsniederlage bereits unausweichlich. Fast ungehindert verwüsteten britisch-amerikanische Bomberverbände deutsche Städte. An eine deutsche
Atombombe war nicht zu denken. Einsteins Warnung war nicht mehr begründet.
Aber seine Anregung hatte in den USA eine Eigendynamik entfaltet. Im August 1945 demonstrierten die Atompilze über Hiroshima und Nagasaki ein neues militärisches US-
Monopol. Allerdings ging eine Welle der Abscheu in die Welt hinaus, gegen die heimtückische neue Strahlenwaffe und gegen
deren Abwurf auf ein schon besiegtes Land.
Neues Geschäftsfeld. Bis dahin hatte das Manhattan-Projekt in heutigem Geldwert die erhebliche Summe von 38 Milliarden Dollar gekostet. Bei Rüstungskonzernen und Militär waren Begehrlichkeiten für die Zukunft erweckt, in den Worten des US-Außenministers James Byrnes 1945: Wie bringt man den
Kongress dazu, Gelder für Atomenergie zu bewilligen, wenn man keine Ergebnisse der bereits ausgegebenen Mittel vorweisen kann?
Aber würde nicht die fortgesetzte US-Atomrüstung und deren fremde Nachahmung irgendwann das amerikanische Volk selbst zum Atomziel werden lassen, also ihm die Zukunft stehlen, und anderen Völkern ebenso? Genau dies geschah keine zwei Jahrzehnte später, als sich die Atomrüstung in mehreren Ländern in schier grenzenlosen neuen Geschäftsaussichten eingerichtet hatte. Dies vorherzusagen, brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten. Durch Spionage war in Moskau die Technik der US-Atombomben bekannt. 1946 stellte die Sowjetunion in der
UN den Antrag, Atomwaffen international zu ächten [2]. Aber die US-Führung war bereits auf einem Weg, den Militärhaushalt im Frieden auf Kriegshöhe zu halten, und dabei spielten Atomwaffen eine zentrale Rolle. Nach dem Sieg über das alte Feindbild Hitler hatte die Regierung seit Herbst 1945 in der Öffentlichkeit nahtlos ein neues Feindbild aufgerichtet, die Sowjetunion, kurz zuvor noch geschätzter Kriegsverbündeter der USA. Tatsächlich lieferten brutale Aktionen der sowjetischen Führung unter Diktator Stalin laufend furchterregende Propaganda für dieses neue Feindbild. So
konnte der Leiter der amerikanischen UN-Delegation, ein Banker, die Ablehnung des sowjetischen Abrüstungsantrags betreiben, mit dem Argument, die Sowjets könnten ja betrügen.
Die USA abschrecken. Die sowjetische Führung stand somit vor der Frage, wie sie sich zur Atomrüstung verhalten sollte. Der Spionage bekannt, aber geheimgehalten vor dem amerikanischen Volk, plante die US-Luftwaffe schon ab 1947, lange vor dem ersten sowjetischen Atomtest, Atomangriffe gegen Städte in der kriegszerstörten Sowjetunion [3]. Warum das? So verfestigte sich in Moskau die Entscheidung, eine eigene Atomrüstung mit Fern-
waffen mit Vorrang zu forcieren, um die USA von solchen Angriffen abzuschrecken. Angesichts der mehr als 25 Millionen sowjetischen Kriegstoten und der am Boden liegenden
Wirtschaft erschien dieses Ziel aberwitzig.
Auch würde es der US-Führung die Rechtfertigung liefern, ihrerseits die Atomrüstung zu forcieren, als technischen Wettlauf: Dies sei alternativlos zur Abschreckung der Sowjets.
1949 zündete die Sowjetunion ihren ersten Atomtest. Fernbomber und Raketen, geeignet, um gegen die USA zurückzuschlagen, waren nicht vor 1960 einsatzbereit, als die USLuftwaffe bereits für ihre hunderte Fernbomber tausende sowjetische Atomziele listete.
Sowjetische Erfahrungen. Zu der Zeit hatte der russische Bär mit dem amerikanischen Adler schon traumatische Vorerfahrungen, allein aus sowjetischen Spionageberichten, deren Wahrheit heute historisch belegt ist.
Darunter dies: Als 1961 John F. Kennedy neu ins Präsidentenamt kam, wollte er von seinem Generalstab wissen, wieviele Todes-
opfer die Ausführung der amerikanischen Atomkriegsplanung namens SIOP in Europa und Asien fordern würde – China zählte damals noch zum sowjetischen Machtbereich. Die Antwort, unfassbar: Innerhalb des ersten halben Jahres nach dem Angriff 600 Millionen.  Der Nazi-Holocaust mal hundert [4].
Bis 1968 kreisten ununterbrochen Tag und Nacht US-Atombomber B-52 nahe den Grenzen des sowjetischen Machtbereichs [5].
In den 1970er Jahren hatten die Sowjets in der atomaren Fernwaffenrüstung dann tatsächlich etwa mit den USA gleichgezogen, mit der absurden Menge von je rund viermal so vielen Sprengköpfen wie heute. Dies hätte ausgereicht, um die gesamte Menschheit mehrfach auszulöschen. Internationaler Protest gegen diese Existenzbedrohung der ganzen Welt
durch nur zwei Staaten führte ab 1970 zu ersten Abkommen über atomare Rüstungsbegrenzung. Sieg im Atomkrieg? Aber dann wurde um 1980 mit neuartigen zielgelenkten atomaren
Mittelstreckenraketen Pershing-2 die Möglichkeit technisch real, dass die USA von Westeuropa aus einen Enthauptungsschlag
gegen die sowjetische Regierung führen und so den Atomkrieg gewinnen [6]. Umgekehrt war dies der Sowjetunion, gegen die US-Regierung gerichtet, technisch niemals möglich.
All dies ist im Westen kaum noch bekannt.
Aber die ältere Hälfte der heutigen Einwohner Russlands wuchs nicht nur unter kommunistischer Ideologie auf, sondern dazu unter dieser amerikanischen Bedrohung. Was hatte das sowjetische Volk dem amerikanischen Volk angetan? Die USA als stärkstes Land der Welt, in seiner Insellage am wenigsten bedroht –  warum dieses Übermaß an Rüstung und Drohung? Dass es dabei nicht um Landesverteidigung ging, nicht um Furcht oder Hass,
um gar nichts Persönliches, sondern um die Automatik von Geldflüssen für Industrieaufträge und Militärkarrieren, das war für die Menschen in der sowjetischen Mangelwirtschaft kaum vorstellbar.
US-Außenpolitik. Tatsächlich steht seit dem Zweiten Weltkrieg die Außenpolitik der USA unter maßgeblichem Einfluss einer Ver-
flechtung von Militär und Rüstungsindustrie.
Ziel ist, den Militärhaushalt auch im Frieden auf hohem Kriegsniveau zu halten. Voraussetzung für diesen Geldfluss ist ein Feindbild, das den US-Bürgern lückenlos Furcht einflößt: Bis 1990 die Sowjetunion, dann islamistischer Terror, heute Russland, am Horizont China. Ein besonderer Umstand: Im Präsidentschaftswahlkampf der USA fließen hunderte Millionen Dollar Industriespenden an jeden der beiden Kandidaten. Wer auch immer USPräsident wird er ist daraufhin seinen Spendern verpflichtet. War es also unlogisch, dass die Regierungen in Moskau ihre militärische Sicherheit zum Hauptziel erklärten? Dies wiederum ermöglichte im Westen die Lesart, man selbst sei friedfertig, aber der russische Bär sei paranoid,
expansiv und hochaggressiv. Nur militärische Stärke könne ihn abschrecken. Zum Glück würden die USA mit den modernsten Waffen Schutz bieten. Ein Teufelskreis der Aufrüstung.
Triebkraft Konzern. Alle Atomwaffenstaaten haben, an ihren wirtschaftlichen Verhältnissen gemessen, leistungsstarke Rüstungsindustrien. In den westlichen Ländern sind dies
meist Konzerne mit anonymen privaten Eigentümern, den Aktionären. Vielfach finanzstärker als Regierungen und über Staatsgrenzen hinweg tätig, haben Konzerne alle Wirtschafts-
bereiche erobert, von der Herstellung von Autos bis zu Babynahrung und bis zu Banken, Handelsketten, Rohstoffunternehmen und Wohnungsgesellschaften. Sie haben aber nichts gemein mit den traditionellen kleinen und
mittelständischen Privatunternehmen mit regionaler Bindung, wie sie in Deutschland 99 von 100 Unternehmen ausmachen.
Besonders beliebt bei Konzernen ist der Militärbereich, wegen dessen Bestellmengen und Gewinnspannen, am höchsten in Kriegssituationen, je länger, desto ertragreicher.
Hierzu zwei Beispiele: Im Vietnamkrieg 1964-75 verbrauchte das US-Militär das Zweieinhalbfache der Munitionsmenge aller Fronten des Zweiten Weltkriegs. Der „Krieg gegen den Terror“ 2001-21 kostete auf US-Seite pro Bürger rund 17.000 Dollar. Dass die USA beide Kriege militärisch verloren, war zweitrangig.


Roboter. So sind Konzerne die mächtigen Treiber der atomaren Bedrohung der Menschheit – und auch der Bedrohung durch
die Klimaerwärmung. Dies liegt aber – entgegen einer möglichen plausiblen Erwartung – keineswegs daran, dass sich etwa in Rüstungskonzernen besonders gewissenlose Führungspersonen zusammenfinden. Tatsächlich sind bei einem Konzern Fragen
der Geschäftsmoral völlig unerheblich, denn er funktioniert mechanisch wie ein Roboter, mit nur zwei Zielen: Gewinne und Wachstum. Ein Aufsichtsgremium im Konzern steuert das
Erreichen dieser Ziele anhand betriebswirtschaftlicher Zahlen. Über den Konzern herrschen also nicht Menschen, sondern allein
diese Zahlen. „Zukunft“ ist ein Fremdwort.
Die leitenden Personen sind Angestellte, die durch Beteiligungsmechanismen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. Sie dürfen aber nicht darauf sehen, wie die Ziele erreicht werden, ob durch Korruption, Umweltzerstörung, Ausbeutung, soziale Spaltung oder Krieg. Ein Konzernmanager, der mit schlechtem Gewissen vor solchen Schäden zurückscheut, wird ausgewechselt, denn mit seiner Rücksichtnahme veruntreut er Geld, das den
Börsenwert des Konzerns erhöhen soll. Der Manager ist lediglich ein austauschbares Rädchen in einem Getriebe.


Konzerne sind also totalitäre Gebilde. Durch ihre Rechte als „juristische Personenwirken sie in den Ländern als bösartige Krebsgeschwüre. Ist eine stabile Demokratie möglich ohne strikte gesetzliche Kontrolle über die im Land tätigen Konzerne?


4. Sind Atomwaffen in Deutschland Schutz oder Gefahr?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Die US-Atomwaffen in Deutschland und die nukleare Teilhabe Deutschlands garantieren die Abschreckung, also Frieden und Sicherheit.


Genauer hingeschaut: Die nukleare Teilhabe bedeutet, dass im Kriegsfall deutsche Piloten aus deutschen Kampfflugzeugen auf US-Befehl US-Atombomben über wahrscheinlich russischen – Zielen abwerfen sollen. Sollte ein Bundeswehrsoldat so etwas tun und es trotz Flugabwehr überleben: Wird er jemals noch ein
unbeschwertes Leben führen können?
Soweit bekannt, lagern rund 20 amerikanische Freifall-Atombomben Typ B-61 auf dem deutschen Flugplatz Büchel in der Eifel. Diese Bomben werden zur Zeit auf höhere Treffgenauigkeit modernisiert, und neue in den USA gekaufte Flugzeuge F-35 sollen die älteren deutschen Trägerflugzeuge Tornado ersetzen.
Ist die deutsche nukleare Teilhabe nach
dem Atomwaffensperrvertrag (alias Nichtverbreitungsvertrag NVV) von 1970 überhaupt erlaubt? Damals akzeptierte die Sowjetunion die amerikanische Forderung, die nukleare
Teilhabe in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands fortzuführen. 1990 legte der Zwei-plus-Vier-Vertrag in Artikel 3 für den neuen souveränen Staat Bundesrepublik Deutschland fest, dass die Bindungen des NVV gelten. Das westliche Besatzungsgebiet, das den gleichen Namen auf dem Etikett hatte,
war rechtlich erloschen, damit auch die Sonderregelung von 1970. Deutschland ist also seit 1990 neues und reguläres NVV-Mitglied.
Mit der nuklearen Teilhabe verstößt Deutschland gegen den NVV und somit auch gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag.
Auch ist laut Gutachten des UN-Weltgerichts ICJ von 1996 die Drohung mit und der Einsatz von Atomwaffen völkerrechtswidrig.
Somit verstößt Deutschland mit der Teilnahme an den jährlichen NATO-Luftwaffenübungen zum Einsatz von US-Atomwaffen, also
atomaren Drohungen, gegen das Völkerrecht.
Der deutsche Abwurf einer Atombombe wäre ein Kriegsverbrechen. Für die persönliche Verfolgung der Täter ist der Internationale Strafgerichtshof ICC in Den Haag zuständig.
5. Ist die NATO für Deutschland nützlich oder schädlich?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Die NATO, 1949 gegründet und gestützt auf die atomare Abschreckung der USA, ist ein Verteidigungsbündnis und eine Wertegemeinschaft demokra-
tischer Staaten. Sie ist für Deutschlands Sicherheit unverzichtbar.
Genauer hingeschaut: Der NATO-Oberbefehlshaber in Europa ist immer ein US-General, nämlich zugleich der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa. Sein Dienstherr ist nicht die NATO, sondern der US-Präsident. Juristisch ist die NATO also eine europäische Fremdenlegion des US-Präsidenten.
Ist dies im europäischen Interesse? Wäre es nicht an der Zeit, den NATO-Oberbefehl unter den Mitgliedsstaaten rotieren zu lassen?
Wie steht es mit den eigenen Werteansprüchen der NATO? Die europäischen NATOStaaten (außer Türkei) haben sich der Recht-
sprechung des Internationalen Strafgerichtshofs ICC unterworfen, die USA nicht. Dies bedeutet für US-Soldaten: „Ihr seid nicht an Kriegsrecht gebunden“. Und zum Anspruch Verteidigungsbündnis: Unter Führung der USA hat die NATO 1999 Jugoslawien angegriffen und daraufhin die Provinz Kosovo von Serbien abge-
spalten, beides ohne UN-Mandat, also völkerrechtswidrig. Die USA selbst haben seither weitere Angriffskriege geführt (Afghanistan,
Irak, Libyen, Syrien). Schließlich: Erfüllen die NATO-Mitglieder Türkei, Polen und Ungarn die rechtsstaatlichen Anforderungen an Demokratien? Wäre es nicht geboten, dass die Mitgliedsstaaten die von der NATO propagierten Werte einhalten? Oder rausfliegen?
Die NATO erweckt das Bild einer Beistandsgarantie Artikel 5 für ihre Mitgliedsstaaten, als eine Art VollkaskoVersicherung gepriesen. Eine solche Garantie existiert aber gar nicht. Im Angriffsfall reagiert jeder Mitgliedsstaat auf seine Art, wie der
Wortlaut des Artikels 5 des NATO-Vertrags klarstellt [7]. Eine mitfühlende Diplomatennote würde ausreichen. Anders dürften die USA gar nicht NATO-Mitglied sein. Der US-Senat hätte
sein Veto eingelegt, wie er es schon 1919 im Fall des Völkerbunds getan hatte: Niemals militärische Verpflichtungen der USA!
Das gilt besonders für Atomwaffen, denn deren Einsatz gefährdet die Existenz ihres Eigentümers. Im NATO-Vertrag sind Atom-
waffen nicht erwähnt. Die beiden europäischen atomaren NATO-Mitglieder Großbritannien und Frankreich haben klargestellt: ihre Atomwaffen nicht unter NATO, sondern rein national. Ebenso sind natürlich auch die Atomwaffen der USA rein national, aber die Propaganda verbreitet das – weithin gern geglaubte – Bild eines „Schutzschirms“ für Andere.
Wie kam es zu alledem? Mit Geldern aus dem Marshallplan“, als Wiederaufbauhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg, sicherte sich das
US-Militär in europäischen Staaten eigene Aufenthalts- und Verkehrsrechte, allerdings auf Kosten der Souveränität der betroffenen Staaten. Mit einer NATO-Mitgliedschaft hat solche
Truppenpräsenz nichts zu tun. Aber auf diese Weise braucht das US-Militär für eigene Kriegsführung in Europa gar nicht die NATO
mit ihren umständlichen Ritualen. Stattdessen erlaubt das Recht zur Selbstverteidigung den US-Truppen in den Stationierungsländern jederzeit eigene Militärhandlungen nach eigenem Ermessen, ohne Zustimmung der „Gastgeber“- Länder und trotzdem völkerrechtlich legal.
Ein Beispiel für solche Nutzung ist in Deutschland die Luftwaffenbasis Ramstein: Die USA verwenden sie seit Jahrzehnten als Drehkreuz für ihre nationalen Kriege, außer-
halb der NATO und vielfach auch unter Bruch des Völkerrechts. Aus genau solcher Befürchtung erlauben 17 der 28 europäischen NATOStaaten keinerlei ausländische Truppenstationierung. Darunter sind Frankreich, Dänemark und Tschechien. Auch Deutschland kann ohne weiteres aus eigener freier Entscheidung in diesen sicheren Status umschwenken.
Trauma. Dass es den USA überhaupt gelang, sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa einen starken militärischen Brücken-
kopf gegen die Sowjetunion zu errichten, war nur möglich, weil in Deutschland traumatische Erinnerungen an die sowjetische Besetzung 1945 lebendig waren. Auch die Massenvertreibungen aus den Ostgebieten, deren Annexion und die Unterwerfung osteuropäischer Staaten wurden allein der Sowjetunion
angelastet. Es bestand die Angst, „der Russewürde weiter nach Westen vordringen. Die Ursache der Situation, den deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 und die deutsche Verweigerung des Kriegsrechts gegenüber diesem Land, hatte die Mehrheit der Deutschen nicht persönlich erlebt, sondern nur die Schrecken des Kriegsendes 1945, teils in Direktkontakt mit sowjetischen Soldaten.
Wegen ihrer Traumatisierungen waren die älteren Deutschen meist nicht in der Lage, mit der jungen Generation über ihre Ängste in den Luftschutzkellern während der Bombenangriffe
der britischen und amerikanischen Luftwaffen zu sprechen. Die Bomberbesatzungen waren hoch über den Städten gesichtslos geblieben, kein Direktkontakt. „Schuld war der Krieg“.
Stichwort „Churchills Zettel. Vor allem aber: In Deutschland war nicht bekannt, dass es die beiden Siegermächte USA und Groß-
britannien waren, die auf der Jalta-Konferenz im Februar 1945 die Vertreibungen, Unterwerfungen, Annexionen und willkürlichen
Grenzziehungen abgesegnet hatten, nämlich vereinbart zwischen dem sowjetischen Diktator Stalin, dem US-Präsidenten Roosevelt und dem britischen Premierminister Churchill [8].
Anders als die Sowjets, waren die Amerikaner klug genug, sich nicht in das Privatleben der deutschen Bevölkerung einzumischen und ihre zerstörte Besatzungszone nicht durch Demontagen von Industrieanlagen zu überfordern.
So konnten die USA Westdeutschland zur militärischen Basis gegen die Sowjetunion ausbauen, ab 1953 sogar mit Atomwaffen auf deutschem Boden, dies alles im Alltag unauffällig.
Angesichts sich verbessernder Lebensbedingungen sah ein Jahrzehnt nach Kriegsende in Westdeutschland und Berlin-West eine Mehrheit die US-Truppen als willkommenen Schutz gegen eine gefühlte sowjetische Bedrohung.
6. Ist Deutschland Kriegspartei im Ukrainekrieg?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Nein.
Genauer hingeschaut: Bis zum russischen An-
griff am 24. Februar 2022 hatten die deutschen
Regierungen durchaus Kritik an der ukrainischen Führung. Seit 2002 versuchten die USA, die Ukraine in die NATO zu holen. Aber 2008 stimmten Frankreich und Deutschland gegen die Aufnahme des Landes, wegen Korruption und mangelnder Rechtsstaatlichkeit. Nach einem gewaltsamen Staatsstreich in der Hauptstadt Kiew 2014 drohte die neue, auf die USA ausgerichtete Regierung, den Pachtvertrag mit Russland über den Marinehafen Sewastopol in der russischsprachigen Ukraineprovinz Krim
zu kündigen. Um diesen Heimathafen ihrer Schwarzmeerflotte fürchtend, gliederte die Moskauer Regierung auf dem Weg über eine Volksabstimmung die Krim in das russische Staatsgebiet ein, dort als Selbstbestimmung der Völker erklärt. Doch der Westen kritisiert den Vorgang als völkerrechtswidrige Annexion.
Gleichzeitig verfügte Kiew als einzige zulässige Amtssprache des Landes Ukrainisch. Dagegen erhob sich Widerstand der russisch-
stämmigen Bürger, ein Viertel der Gesamtbevölkerung, im Osten und Süden der Ukraine konzentriert. Statt den Konflikt politisch zu lösen – zwei Amtssprachen und Dezentralisierung –, setzte die ukrainische Regierung gegen die aufständischen Ostprovinzen ihr Militär ein, also gegen ihre eigene Bevölkerung, mit tausenden Toten. Frankreich, Deutschland und Russland bemühten sich, das Blutvergießen zu beenden. 2015 schlossen sie mit der Ukraine
den „Minsk-II“-Vertrag: Waffenstillstand und größere Autonomie für das ostukrainische Konfliktgebiet. Doch die Regierung in Kiew
erfüllte keine der Auflagen, und Frankreich wie Deutschland versäumten, die Ukraine zur Vertragstreue anzuhalten. Gleichzeitig rüsteten die USA und Großbritannien die Ukraine mit
modernen Waffen auf NATO-Standard hoch.
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 verließ die deutsche Regierung ihre Position als neutraler Vermittler und schaltete um auf die Unterstützung der Ukraine, einschließlich eigener Lieferung schwerer Waffen.
Wurde Deutschland damit Kriegspartei? Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages im März 2022 zu deutschen Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet erklärte, werde
Deutschland erst dann zur Kriegspartei, wenn es ukrainische Soldaten an diesen Waffen ausbildet [9]. Aber genau dies ist eingetreten. Außerdem erlaubt die deutsche Regierung
den USA, militärische Infrastruktur in Deutschland für ihre nationale Kriegsunterstützung der Ukraine zu nutzen, außerhalb der NATO. Waffenlieferungen in die Ukraine transportie-
ren die USA über deutsche Häfen und Flughäfen, und sie bilden ukrainische Soldaten an diesen Waffen aus, auf deutschem Boden.
Laut Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990, Artikel 2, wird „von deutschem Boden nur Frieden ausgehen“. Wie passen dazu deutsche Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet Ukraine
gegen den Vertragspartner Russland?
Verstoßen NATO-Militärtransporte durch oder über ehemaliges DDR-Gebiet als Nachschub für die Ukraine, also gegen Russland,
gegen den Zwei-plus-Vier-Vertrag, insbesondere das Zusatzprotokoll zu dessen Artikel 5?
Jedenfalls hat sich Deutschland ohne erkennbare Not zur Kriegspartei gegen Russland gemacht. Rechtlich geschah dies in der Rolle eines Angreifers, gegen den Russland sich zur
Selbstverteidigung legitimiert sehen dürfte.
Denn Russland hatte Deutschland nicht angegriffen. Auch bestehen keinerlei Bündnisverpflichtungen Deutschlands gegenüber der Ukraine, weder über die NATO noch die EU.
Die Rechtslage ist unabhängig von Sympathien oder Antipathien gegenüber Kriegsparteien. Dürfte die NATO im Fall eines russischen Angriffs auf Deutschland zu Hilfe kommen?
Nicht, wenn sie ihr Statut als Verteidigungsbündnis ernst nimmt, denn Deutschland ist rechtlich Angreifer, wie es auch mindestens die USA, Großbritannien und Polen sind.
Hat die deutsche Regierung das Wählermandat, Krieg gegen den Nachbarn Russland zu beginnen? Oder wären zu dieser Frage
Neuwahlen des Bundestags geboten?
7. Brach der Westen Versprechen an Russland?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Die russische Kriegspropaganda unterstellt, das westliche Bündnis hätte angebliche Zusagen gegen-
über der damaligen Sowjetunion gebrochen. Sie zielt darauf ab, die Öffentlichkeit zu manipulieren und vom völkerrechtswidrigen russischen Überfall auf die Ukraine abzulenken.
Genauer hingeschaut: 1990, wenige Monate nach Öffnung der Berliner Mauer und zugleich dem Ende des Kalten Krieges, richteten sich die Hoffnungen auf eine gesamteuropäische
Friedensordnung ohne gegnerische Militärbündnisse. Mit der Zusicherung, die NATO werde – so US-Außenminister Baker 1990 – nicht einen Zoll [11a] über die deutsche Grenze nach Osten ausgedehnt, wurde der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow verlockt, einer bizarren amerikanischen Vorbedingung für die deutsche Vereinigung zuzustimmen, nämlich: Deutschland wird NATO-Mitglied, und das US-Militär bleibt mit seinen Atomwaffen in Deutschland stationiert. Heute behauptet der Westen, eine solche Zusicherung keine NATO-Osterweiterung“ habe es niemals
gegeben, es existiere ja keine Schriftform. Aber ist diese Behauptung nicht eher Hinweis, dass der Westen 1990 seine sowjetischen Verhandlungspartner in betrügerischer Absicht getäuscht hatte? Hätte Gorbatschow, mit seinem Moskauer Politbüro im Nacken, jemals zusagen können, er werde seine Trup-
pen aus der DDR abziehen, ohne dass er als Gegenleistung die feste Sicherheitsgarantie des Westens für sein Land in der Hand hielt – keine NATO-Osterweiterung“? Er hätte den USA doch aus eigenem Recht sagen können: Wir gehen, wenn Ihr geht. Wenn Ihr bleibt, bleiben wir auch.“ Alle hätten es damals
verstanden. Aber Gorbatschow hielt Wort und zog einseitig sein Militär aus der DDR ab. Zu der Zusicherung „keine NATO-Ost-
erweiterung“ durch damalige westliche Politiker existieren zahlreiche Dokumente [11b]. Die nicht-schriftliche Verfahrensweise mit Bindungskraft völkerrechtlicher Verträge war
schon in früheren historischen Sonderfällen der Rettungsanker: Die Heimkehr tausender deutscher Kriegsgefangener aus der Sowjetunion 1955 und die Lösung der Kuba-Krise 1962 –
die Welt erstmals am Rande des Atomkriegs –, beides war nur durch Ehrenworte gelungen.
Im Rückblick offensichtlich, war die NATO-Osterweiterung unter dem US-internen Grundsatz Russland selbst niemals in die NATO!“ [11c] der Steuerkurs in einen neuen Ost-West-Konflikt. So konnte die US-Regierung das 1990 verflogene Feindbild Russland
schrittweise neu aufbauen. Dies brauchte sie, um vor dem Kongress ihr Militär in Europa zu rechtfertigen und ihren sinkenden Militärhaushalt wieder zu steigern, heute dreimal höher als der Chinas, zwölfmal höher als der Russlands.
1990 half der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Kohl den USA bei diesem Vorhaben. Seine geheimen Absprachen, Gorbatschow im US-Interesse zu hintergehen – sie sind bewegend nachzulesen im Protokoll seiner Besprechung mit US-Präsident George Bush senior in Camp David am 24. Februar 1990 [10].
Erfuhr die im März 1990 gewählte DDR-Volkskammer vor Abschluss des Einigungsvertrags im August 1990 von Kohls heimlichen Absprachen? Erfuhr Gorbatschow vor Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrags im September 1990 davon? Sind die beiden Verträge auf dieser fraglichen Basis überhaupt gültig?
Darüber hinaus wies der Zwei-plus-Vier-Vertrag dem DDR-Gebiet innerhalb der NATO einen Sonderstatus zu: Dort keine fremden
Truppen, keine Atomwaffen! Dies sollte zugleich die Modellvorlage sein für den künftigen militärischen Status der absehbar souverän
werdenden osteuropäischen Staaten [11d]. Auch diese Verabredung bestreitet der Westen heute.
1991 hatten die wirtschaftlichen Belastungen des Wettrüstens die Sowjetunion innerlich zerrüttet. Das sowjetische Militärbündnis
Warschauer Pakt löste sich auf, schließlich auch die Sowjetunion selbst. Das amerikanische Militärbündnis NATO blieb erhalten.
Auf Betreiben der USA wurde Russland die einzige Sammeladresse für die – nun über vier souveräne Staaten (Russland, Belarus, Ukraine, Kasachstan) verteilten – sowjetischen Atomwaffen [11e]. Warum nicht alle vier Länder zugleich atomar abgerüstet? Es wäre möglich gewesen. War es das Ziel, statt dessen Russland zum erneuten atomaren Feindbild aufzubauen?
Unter den Ehrenworten hätte die NATO Staaten, die 1990 unter sowjetischer Kontrolle waren, nicht aufnehmen dürfen. 1997 versäumte die deutsche Regierung, noch unter Bundeskanzler Kohl, im NATO-Rat die Notbremse zu ziehen, nämlich die Osterweiterung mit ihrem Veto zu verhindern. Sie hätte es gekonnt. So aber brach die deutsche Regierung
1997 ihr Ehrenwort gegenüber Russland.
Und so gelang es den USA bis 2008, ihre funktionslos gewordene NATO nicht nur zu erhalten, sondern nach Osten zu erweitern,
lückenlos bis an die Grenzen Russlands und des verbündeten Belarus. Als Endglied dieser Länderkette fehlte nur noch die Ukraine. Kann es uns für unsere Sicherheit egal sein,
wie in Russland das deutsche Verhalten von 1990 (gegenüber Gorbatschow), 1997 (zur NATO-Osterweiterung) und 2022 (im Ukrainekrieg) eingeschätzt wird?
8. Welche Ursache für den russischen Angriff auf die Ukraine?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Der russische Diktator Wladimir Putin ist von dem Größenwahn getrieben, einstige sowjetische
Größe zurück zu erobern. Der Angriff auf die Ukraine, unprovoziert, völkerrechtswidrig und durch nichts zu rechtfertigen, war erst der Anfang einer Serie. Hier helfen keine Verhandlungen, sondern nur militärische Gegengewalt.
Genauer hingeschaut: Der Angriff auf die Ukraine war vermutlich völkerrechtswidrig.
Der auf Putin personalisierte Kriegsgrund blendet aber die Möglichkeit einer Provokation aus, nämlich durch einen kriti-
schen Schub in der NATO-Osterweiterung. Etwa als Auslöser des Angriffs die akute Information, die Aufrüstung der Ukraine durch
den Westen habe eine bestimmte „Rote Linieüberschritten? Oder ganz anders: War der Armeebefehl des ukrainischen
Präsidenten Selenskyj vom 24. März 2021 zur Rückeroberung der Krim [13] die offene Kriegserklärung der Ukraine an Russland?
Wo ist bei der westlichen Kritik am russischen Angriff derselbe kritische Blick auf die schon erwähnte Serie unstrittig völker-
rechtswidriger Angriffskriege der USA, die vorausgegangen waren?
Ist die ukrainische Regierung frei von Mitschuld am Unglück ihres Volkes? Warum brach sie den Minsk-II-Vertrag? Warum schloss sie im November 2021 mit den USA einen Militärvertrag [12], an der NATO vorbei, gegen den Nachbarn Russland gerichtet?
Laut westlichen Berichten hatten Ende März 2022 auf Vermittlung der Türkei russische und ukrainische Unterhändler Bedingun-
gen für einen Waffenstillstand abgestimmt, darunter die ukrainische Neutralität. Warum stieg die Regierung der Ukraine Anfang April 2022 aus dieser Verhandlung aus?
Der Krieg wird auf ukrainischem Boden ausgetragen, mit russischen und westlichen Waffen und mit Zieldaten für die Ukraine aus westlicher Spionage. Gestützt von den NATO-
Staaten (außer Ungarn und Türkei), läuft dort de facto ein Stellvertreterkrieg USA – Russland, auf US-Seite mit Rüstungsverkäufen, ohne eigene Tote und Verwundete. Die Ukraine ist zum Sprengplatz geworden. Kriegspropaganda betreiben beiden Seiten. Wieweit sind in dem Krieg die Interessen der ukrainischen Bevölkerung und der US-Regierung
dieselben? Ohne Verhandlungen über einen Waffenstillstand mehr und mehr Menschenverluste der Ukraine und Russlands, mehr Verwüstung der Ukraine. Dazu deren laufend wachsende Schuldenlast, vor allem für die Waffenlieferungen aus den USA, über einen amerikanisch-ukrainischen Leih-Pacht-Vertrag.
Der Vertrag war schon im Januar 2022 in den US-Kongress eingebracht worden [14], fünf Wochen vor dem russischen Angriff in sicherer Erwartung eines Krieges in Europa?
Warum sind reale Unterstützer der Ukraine fast ausschließlich Mitglieder der NATO und US-Verbündete im Indopazifikraum? Also nicht mal ein Fünftel aller Staaten der Welt.
Atomwaffen im Ukrainekrieg? Weder die USA noch Russland schließen Atomeinsätze gegen Staaten ohne Atomwaffen aus. Es ginge um „taktische“ Atomwaffen, wie die „kleinenBomben auf Hiroshima und Nagasaki 1945. Im Kriegsgebiet Ukraine wäre dies jeweils „nurein 5 km großer Brandfleck, bei über 1.200 km Frontlänge ein Nadelstich, völlig untauglich, das Kriegsglück des Täterstaats grundlegend zu verbessern. Aber er wäre fortan international gemiedener Paria, täglich angeklagt durch un-
vermeidliche Langzeitopfer der Radioaktivität.
So bilden im Ukrainekrieg Atomwaffen eine propagandistische Drohkulisse, aber militärisch geben konventionelle Präzisionswaffen den Ton an. Sie sind es, die etwa durch punkt-
genauen Fernbeschuss von Infrastrukturknoten das Land lähmen können, eine neue Art der Kriegsführung, deren Legalität umstritten ist für den Fall, dass auch das Militär diese
Infrastruktur nutzt. Klar illegal wären hingegen Angriffe auf rein zivil genutzte Infrastruktur, etwa in militärfreien Rotkreuz-Schutzzonen.
Welche tragende Rolle das Völkerrecht heute hat, zeigt die Propaganda beider Parteien im Ukrainekrieg: Sie beschuldigen sich gegenseitig – ohne vorerst nachprüfbare Beweise –, das Kriegsrecht gebrochen zu haben.
9. Was hat es mit Hyperschallwaffen auf
sich?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Russland und China sind auf dem neuen Gebiet nicht abwehrbarer Hyperschallwaffen aggressiv in Führung, mit Interkontinentalraketen und Mittelstreckenwaffen. Die USA stehen mit leeren Händen da und müssen nachrüsten. 

Genauer hingeschaut: Die Logik der atomaren Abschreckung versagt, wenn es dem Gegner gelingt, Atomraketen abzuwehren. 1972 hatten deshalb die USA und die Sowjetunion im
ABM-Vertrag vereinbart, für ihre Fläche keine Abwehr gegen Fernraketen zu installieren. Doch 2002 kündigte die US-Regierung den ABM-Vertrag. Inzwischen schien Raketenabwehr eine reale technische Option. Es war gelungen, die ballistischen Wurfbahnen der Raketen per Radarbeobachtung genau vorauszuberechnen und sie mit Abwehrraketen vomBoden aus zu treffen und zu zerstören – ein Geschoss trifft ein Geschoss. So würde es möglich, einen massiven Atomangriff zu führen – etwa USA gegen Russland – und den dann vielleicht noch möglichen, jedenfall weit abge-
schwächten Zweitschlag des Angriffsopfers vollständig abzuwehren. Der atomare Überfall bliebe also straflos. Die USA installierten ein solches Abwehrsystem namens GMD (Ground-
based Midcourse Defense) an ihrer Westküste.
Hyperschall. Die ABM-Vertragskündigung öffnete in Russland und China die Schleusen zu Hyperschall-Zweitschlagswaffen,
die Raketenabwehr durchdringen sollen, und zwar in geringerer Flughöhe am Rande der Atmosphäre, erst spät vom Radar entdeckbar, und in schlingernden Flugkursen, die der Gegner nicht vorausberechnen kann. Hyperschall bedeutet den Flug mindestens fünfmal so schnell wie die Schallgeschwindigkeit.
Russland und China bauten selbst keine strategische Raketenabwehr, sondern sie begannen, ihre Interkontinentalraketen auf hyperschall-manövrierende Atomsprengköpfe umzustellen, die Flugbahnen schlingernd,
GMD also nutzlos, die atomare Abschreckung gegen die USA wiederhergestellt. Hyperschall-Fernwaffen gibt es heute in
zwei Techniken: Entweder beschleunigt eine Rakete ein Gleitgeschoss und gibt es in der dünnen Luft am Rand der Atmosphäre zum antriebslosen Weiterflug frei, gelenkt durch
Steuerruder. Oder nach Raketenbeschleunigung übernimmt ein luftverbrennender Staustrahlantrieb den Weiterflug. Generell gelten Hyperschall-Fernwaffen als nicht abwehrbar.
Diese Techniken sind unterstützt durch die Neuerung Satellitennavigation: Trotz ihrer Schlingerkurse, mit denen sie Raketenabwehr durchdringen, erreichen Fernwaffen am Ziel-
punkt extreme Treffgenauigkeit, wenige Meter, jeder Schuss ein Volltreffer, egal welche Schussweite.
2021 präsentierte China eine weitere Neuerung: Um die konzentrierte Radarüberwachung und GMD-Raketenabwehr an der Westküste der USA zu vermeiden, flog ein interkontinentaler Hyperschallgleiter auf einer speziellen Flugbahn, nämlich nicht auf
kürzester Strecke zum Ziel, sondern „hinten herum“ zunächst wie ein Satellit fast einmal die Erde herum und dann aus unerwarteter
Gegenrichtung ins Ziel stürzend. An der Süd- und Ostgrenze der USA befindet sich wenig Radarüberwachung und keine Raketenabwehr. Eine neue Art von Interkontinentalrakete mit
unbegrenzter Reichweite.
Weil weder Russland noch China strategische Raketenabwehr haben, brauchen die USA für ihre Interkontinentalraketen keine Hyperschallsysteme. Russland und China besitzen aber Abwehrwaffen gegen ballistisch anfliegende Mittelstreckenraketen. Um diese Art der Abwehr zu durchdringen, müssen diese
Raketen in Hyperschalltechnik ausgeführt sein.
Hierzu laufen in den USA Entwicklungen, unter anderem das Projekt Dark Eagle, von dem im nächsten Kapitel die Rede ist.
Technisch sinnvoll? Nicht alle neuen Rüstungsentwicklungen machen technisch Sinn.
Ein Beispiel: Mit konventionellen Präzisionswaffen ist es heute möglich, jeden Punkt der Erde metergenau anzugreifen. Mit dieser Technik lässt sich also auch der Verschlussdeckel jedes im Erdboden versenkten Atomraketensilos treffen und die Rakete in dem Silo zerstören. Aber von diesem Stand der Technik unbeirrt, ersetzen die USA ihre 400 in Erdsilos stationierten Interkontinentalraketen Minuteman III ab 2029 durch den Nachfolgetyp Sentinel, für die geplante Einsatzzeit bis 2075!
[15] Werden dann Atomwaffen überhaupt noch erlaubt sein? Egal: 2020 der erste Industrievertrag über Sentinel, 13 Milliarden Dollar. Ebenso fragwürdig ist, was die nur 44 GMD-Abwehrraketen gegen mehr als tausend Sprengköpfe auf russischen Interkontinentalraketen ausrichten sollen. Auch diese Antwort dürfte in dem Geschäftsvolumen liegen: Eine GMD-Rakete kostet 75 Millionen Dollar.
Die neuen Hyperschall-Interkontinentalraketen machen zwischen den Hauptakteuren USA, Russland und China deutlich, dass es
einen straflosen Sieg nach einem atomaren Überfall nicht geben kann. Aber die Hyperschalltechnik macht die schon kurzen Vorwarnzeiten gegen einen Angriff noch kürzer. Wie gesagt sind das Hauptproblem die übermäßigen und sich im Duell belauernden Atomarsenale der USA und Russlands. China, mit anderem historischen Bewusstsein, verfolgt seine Sicherheitsziele
eher wirtschaftlich als militärisch. Die Pekinger Führung hält Atomwaffen für nicht kriegsentscheidend. Sie sieht ihre minimaleatomare Abschreckungsstärke als ausreichend
an und wirbt seit langem in der UN für die weltweite atomare Abrüstung. Angenommen, einer der beiden Hauptkampfhähne, USA oder Russland, rüstet einseitig ab auf das niedrigere chinesische Niveau würde dann die Gegenseite unbeeindruckt
auf zwanzigfacher Höhe weiterrüsten? Warum sollte deren Führung das dann noch bezahlen?
Also wäre mit einem solchem einseitigen Schritt wohl wenigstens die Gefahr gebannt, dass die USA und Russland weltweit die
Zivilisation vernichten können. Von welcher der beiden Seiten wäre eine solche Initiative eher zu erwarten? In den USA
ist die Erfahrung von Krieg im eigenen Land unbekannt. Was waffentechnisch möglich ist, gilt dort als nationaler Vorteil und wird – teils im parallelen Wettbewerb – mit erstaunlichen
technischen Leistungen realisiert, allerdings meist ohne Blick auf international destabilisierende Folgen. In Russland bestehen stärkere Sparzwänge als in den USA, und der Geldfluss aus der Atomrüstung in private Taschen ist geringer. Auch kamen aus Russland bereits mehrfach in Krisensituationen überraschende
politische Impulse, den Atomkrieg abzuwenden, von Chruschtschow bis Gorbatschow, mit deren offenbar geschichtsbewussten europäischen Denkweisen. Etwa ein Rückblick auf den Reykjavik-Gipfel 1986: Die Sowjetunion bot
an, binnen zehn Jahren beiderseits alle Atomwaffen abzurüsten. Die USA lehnten ab.
Sollten die USA und Russland auf ChinaNiveau abgerüstet haben, dann käme der nächste Schritt: Wie lange werden die einzelnen
Atomwaffenstaaten sich dem – auch wirtschaftlichen – Druck der 184 nichtatomaren Staaten der Welt widersetzen können, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten? Wird die EU, mit Österreich und Irland im Atomwaffenverbotsvertrag, eine gemeinsame Militärpolitik finden können, solange Frankreich nicht seine Atomwaffen abgerüstet hat?
10. US-Hyperschallraketen nach Deutschland?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Pläne der USA zur Stationierung von Hyperschallraketen in Deutschland sind der Bundesregierung nicht bekannt.
Genauer hingeschaut: Um 1980 war mit den atomaren Mittelstreckenraketen Pershing-2 in Westdeutschland die Möglichkeit eines US-Enthauptungsschlag gegen die sowjetische
Regierung greifbar geworden. Daraufhin erschienen sowjetische Kurzstreckenraketen in der DDR und der Tschechoslowakei. Ihre
Aufgabe war offensichtlich, in einer Krise rechtzeitig die amerikanischen Militärstellungen in Westdeutschland zu zerstören. USA und Sowjetunion standen also in einem Raketen-
duell mit dem Anreiz: Wer zuerst schießt, hat gewonnen. Mitteleuropa wäre dadurch zum entvölkerten radioaktiven Dschungel geworden. Dabei fatal mitgeholfen hätten die rund
5.000 (!) Atomsprengköpfe, die die USA für diesen Kriegsfall in Westdeutschland lagerten, propagiert als „Verteidigung“.
1987 beendeten der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow und US-Präsident Reagan ihr höchst fehlerriskantes europäisches Raketenduell mit dem INF-Vertrag, dem beiderseitigen Verbot landgestützter Mittelstreckenwaffen. Aufatmen, Europa war wieder sicher. Doch diesen INF-Vertrag kündigte 2019
US-Präsident Trump. Die gegenseitigen amerikanisch-russischen Vorwürfe über angebliche INF-Vertragsverletzungen blieben ungeklärt. Verhandlungen, um den Vertrag zu retten, gab
es nicht. Europa, um das es ging, schwieg.
Vom INF-Vertrag befreit, bestellte die US-Regierung Hyperschall-Mittelstreckenraketen LRHW [16] alias Dark Eagle (dunkler Adler), direkter Nachfolger der Pershing-2-Raketen,
aber konventionell bestückt. Wozu? Diese neuen Raketen mit 2.700 km Reichweite können von Westeuropa aus Moskau erreichen, Flugzeiten unter zwölf Minuten. Die Lieferung
ist ab 2023 geplant. Anders als einst Pershing-2 ist das Thema Dark Eagle in der deutschen Öffentlichkeit nahezu unbekannt.
Bereits 2021 stationierte das US-Heer Dark-Eagle-Bedienpersonal in Deutschland. Eine reaktivierte Pershing-2-Einheit mit
den Zielplanern kam nach Wiesbaden. Die Raketenkanoniere zogen nach Grafenwöhr in Nordbayern. Brauchten die USA dafür eine Genehmigung der deutschen Regierung? Auf diese Frage der Fraktion der Linken im Bundestag antwortete die Bundesregierung im Juni 2022 mit Nein, nämlich mit dem Verweis auf einen – als „Vertrag“ verkleideten – Befehl der Besatzungsmächte Westdeutschlands aus dem Jahr 1954 [17]. Wie kann so etwas für das souveräne vereinte Deutschland gelten?
Das US-Heer schuf sogar eine neue Truppenstruktur für ihre moderne Fernartillerie, unter dem Begriff MDTF (Multi-Domain Task Force) [18]. Davon gibt es bisher zwei, eine in den USA, die andere in Wiesbaden, am Hauptquartier des US-Heeres. Der
moderne Artilleriesoldat zieht nicht mehr Kanonen durch den Schlamm, sondern er bearbeitet am Bildschirm Zieldaten, die ihm
von Aufklärungssensoren am Boden, in der Luft und im Weltraum zufließen. Die Zielkoordinaten programmiert er in die Fernwaffen ein. Zu dieser neuen US-Aufrüstung erklärte Russland 2020, selbst solche Mittelstreckenraketen nicht zu beschaffen. Die USA und die
NATO seien aufgefordert, sich diesem Moratorium anzuschließen. Aber die westliche Antwort war ablehnend. Warum?
Erneut Enthauptungsschlag? Hinter der Moskauer Initiative dürfte die erneute Furcht vor einem US-Enthauptungsschlag stehen. Der
Mord an missliebigen ausländischen Amtsträgern – meist per Drohnenangriff – ist für die US-Regierung kein Tabu. Warum schweigen die europäischen NATO-Regierungen zu solchen Verbrechen ihres großen Verbündeten?
Die Wirkung eines Dark-Eagle-Treffers entspricht etwa einer 500-kg-Flugzeugbombe – ein Wohnhaus wird zu einem Krater. Benachbarte Gebäude erleiden schwere Schäden. Im
weiteren Umkreis zersplittern Fensterscheiben.
Eine Raketensalve zwecks Regierungswechsels in Moskau würde binnen Minuten die ausspionierten Aufenthaltsgebäude der
Führungspersonen zerstören, mit geringen Begleitschäden in der Umgebung. Nicht betroffen wäre die russische Militärführung in unterirdischen Kommandobunkern.
Aber würden die Generäle – egal, was ihre Befehle sind nach einem solchen nichtatomaren Mordanschlag gegen ihre Regierung
einen atomaren Gegenschlag gegen die USA auslösen? Sie wissen: Wenig später käme der atomare Gegen-Gegenschlag aus den USA.
Ihre Heimat Russland würde verwüstet und das Leben ihrer Familien beendet, gar nicht zu reden von weltweiten Schäden wie dem nuklearen Winter als eisigem Endpunkt der menschlichen Zivilisation. Könnten also die USA durch einen Enthauptungsschlag mit konventionellen Präzisionsraketen straflos die russische Führung beseitigen und durch eigene Gefolgsleute ersetzen? Würde Moskau dies tatenlos abwarten?
Erhielte Russland mit der ersten Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Europa wegen deren minutenkurzer
Flugzeit – das Recht zur Selbstverteidigung durch einen Präventivangriff? Wäre Russland dann – oder im Ukraine-
krieg heute schon im Recht, mit Luftangriffen die US-Militärpräsenz in Europa lahmzulegen? Deren Masse befindet sich in Deutschland, einige Dutzend Ziele. Auch nutzt das US-Militär kritische deutsche Infrastruktur, die ebenfalls zum Ziel würde, seien es Stromnetzverteiler oder Straßen- und Eisenbahnbrücken über Weser, Elbe und Oder. Ob und wenn ja wann so etwas geschehen könnte, dürfte vom weiteren Verlauf des Ukrainekriegs abhängen und davon, ob wir verbindlich sichergestellt haben, dass Dark-Eagle-Raketen und ihre Kommandostellen sich nicht auf deutschem Boden befinden.
Der Adler gestolpert? US-Medien brachten 2022 die Nachricht, Dark Eagle habe technische Entwicklungsprobleme, werde auch
vom US-Kongress als – mit über 100 Millionen Dollar pro Rakete [16] – zu teuer kritisiert und beim Militär inzwischen als zu wenig geländegängig bemängelt. Auch wären bis 2027 nur drei Feuerbatterien zu je acht Raketen geplant [16], insgesamt ein Zehntel der damals bei Pershing-2 vorhandenen Raketenzahl. Dies
wäre weit entfernt von der sicheren Fähigkeit zu einem Enthauptungsschlag gegen die Moskauer Führung. Aber sind diese Informationen aus den USA die ganze Wahrheit?
Das Problem von US-Hyperschallraketen in Europa ist für Russland nicht vom Tisch, auch nicht für Deutschland. Mittelstreckenwaffen des US-Heeres in Europa würden unter
dem Kommando der MDTF in Wiesbaden stehen. Deshalb zwei dringende Maßnahmen:
Die MDTF raus aus Deutschland! Und niemals Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden!
11. Perspektive für Deutschland?
Die offizielle Antwort kurzgefasst: Deutschland braucht für die sicherheitspolitischen Herausforderungen eine gut ausgestattete
Bundeswehr. Bei Auslandseinsätzen und der NATO-Verteidigung übernimmt Deutschland heute oft eine führende Rolle. Mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russland sich vom Energieexport nach Deutschland ausgeschlossen.
Genauer hingeschaut: Wie schon dargelegt, kann das hochverletzliche Deutschland aus technischen Gründen militärisch nicht mehr erfolgversprechend verteidigt werden, sondern
nur noch gewaltfrei. Krieg auf deutschem Boden muss um jeden Preis unterbleiben. Bestandserhaltung statt verwüstender Sieg.
Militär zieht Angriffe auf sich. Wozu also weiterhin eine militärische Rolle der Bundeswehr, abgesehen von einer kleinen Blauhelmtruppe für Einsätze im Rahmen von UN oder OSZE? Was hat deutsches Militär sonst im Ausland verloren? Warten nicht auf die Bundeswehr anspruchsvolle zivile Aufgaben, darunter im Katastrophenschutz und als Cyberwehr, um die öffentliche Datensicherheit im Land herzustellen und zu pflegen?
Über Jahre kritikbereiter Vertragspartner der Ukraine – Minsk-II”-Vertrag 2015 –, hat sich Deutschland seit dem russischen Angriff 2022 zur Kriegspartei gegen Russland gewandelt. Damit ist Deutschland zum Ziel möglicher russischer Angriffe geworden und hat seine Rolle als Vermittler für Waffenstillstandsverhandlungen aufgegeben. Haben wir keine andere Möglichkeit des Umgangs mit dem großen Nachbarn? Auch wenn weithin die Sichtweise besteht, Russland habe einen schweren Fehler begangen? Mag sein – aber helfen da Gespräche oder Bomben? Ist Deutschland fehlerfrei?
Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland – wessen Schaden, wessen Nutzen? War es Russland, das 2022 Energielieferungen zu den vereinbarten Preisen an Deutschland verweigerte? Oder war es Deutschland, das den weiteren Bezug dieser Produkte aus Russland ablehnte? Die Preisexplosion für Gas, Öl und Strom in Deutschland füllt private Taschen.
Unvermeidlich? Gerecht? Zukunftsverträglich?
Wie weit geht es auf westlicher Seite um Wirtschaftskonkurrenz zwischen Industriestaaten? Durch die russische Brille? Der Versuch, im Ukrainekrieg aus deutscher Sicht die russische Situation zu verstehen, führt etwa auf folgendes Bild, sicherlich nur eines von vielen: Russland kann sich nicht sicher fühlen,
solange die USA mit kampfstarkem Militär in Europa sitzen. Aber der Schwachpunkt der USTruppen in Europa ist ihre Zentralisierung in Deutschland. Zwar befürwortet ein großer Teil
der deutschen Öffentlichkeit die NATO, zugleich lehnt aber eine überwältigende Mehrheit jegliches Kriegsgeschehen auf deutschem
Boden ab. Sollte das Übergreifen des Ukrainekriegs auf deutschen Boden drohen, wäre keine deutsche Regierung in der Lage, den dann rasanten politischen Umschwung in der öffentlichen Meinung aufzuhalten, nämlich in den Status der NATO-Nachbarn Frankreich, Dänemark und Tschechien zu gehen: Kein
ausländisches Militär im Land! Damit wäre zugleich die Gefahr für Russland gebannt. Sollte ein Angriff gegen US-Militär in
Europa doch nötig werden, müsste er schlagartig die US-Truppen lähmen, so dass eine Eskalation in Europa nicht möglich wäre.

Selbstschutz. Nach verbreiteter Sichtweise liegt es nicht in deutscher Hand, ob der Ukrainekrieg auf deutschen Boden übergreift. Das ist aber falsch: Deutschland ist genau so
souverän wie jedes andere europäische Land.
Ein amerikanisches Sprichwort lautet: „Better safe than sorry“. In dem Sinne können wir zum Selbstschutz das Völkerrecht nutzen, um den Krieg auszusperren, siehe die drei Vorschläge in Kapitel 1 – militärfreie Rotkreuz-Schutzzonen, Nichtangriffsverträge mit den NATO-Partnern und Atomwaffenverbotsvertrag.
Im Kalten Krieg durch die Frontlinie geteilt, hat Deutschland mehrfach erfolgreich als Gesprächsbrücke zwischen Ost und
West gewirkt. Warum nicht wieder so?
Dies setzt aber voraus, dass wir vorher den selbstgemachten Kriegszustand mit Russland beenden.
Nachbarschaft. Russland ist und bleibt unser wichtigster Nachbar, egal, ob Mehrheiten bei uns den Chef dort gerade gut (Gorbatschow) oder böse (Putin) finden, ebenso die Politik dort. Ließe sich das riesige Russland – doppelt so groß wie die USA – überhaupt zusammenhalten unter einem politischen System etwa nach deutschem Muster?
Deutschland war jahrzehntelang gut in Soft Power. Wie wäre es mit deutsch-amerikanisch-russischer Jugendbegegnung, breit angelegt, jährlich die Einladung an 30.000 junge Gäste?
Die Kosten liegen bei 100 Millionen Euro, der Preis eines Kampfbombers.
Klimaschutz. Hat Deutschland nicht jahrzehntelang wirtschaftliche Vorteile genossen, weil der Nachbar Russland zuverlässig und zu
günstigen Vertragspreisen Energie geliefert hat? Auch nach Umstellung auf Energieträger ohne fossilen Kohlenstoff wird der dichtbesiedelte Industriestaat Deutschland Energie hinzukaufen müssen, für minimalen Transportaufwand von nahgelegenen Lieferanten. Dabei ist Außenhandel nicht einseitige Abhängigkeit,
sondern wechselseitige Ergänzung.
Wenn auch im regionalen Umfeld elektrische Leitungsnetze den Hauptanteil der Energieverteilung übernehmen dürften, werden
chemische Energieträger Bedeutung behalten,
wegen ihres einfachen Ferntransports durch
Rohrleitungen. Hier stehen synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff im Vordergrund, wie sie auch in Russland vorerst – für die nächsten Jahrzehnte – aus Erdgas oder Erdöl produziert
werden dürften, indem der Kohlenstoff herausgezogen und als schwarze Kohle umweltsicher abgelagert wird – Kohlebergbau umgekehrt. Egal, wieviele Klimakonferenzen – die immensen Konzerngewinne aus dem Handel mit Erdgas, Erdöl und Kohle dürften auch künftig weltweit-gemeinsame Maßnahmen zum Klimaschutz unterlaufen. Und egal, welchen Aufwand Deutschland treibt, es wird die weltweite Klimaerwärmung nicht aufhalten können. In der Antike hatte der Mittelmeerraum feuchteres und kühleres Klima, bis der Mensch die Wälder für Schiffbau und als Brennmaterial abholzte und das Wüstenklima aus Afrika vor-
drang. Kann nachbarschaftliche Zusammenarbeit Europas einschließlich Russlands – oder ganz Eurasiens und Nordafrikas Wetterextreme auf dieser großen Landmasse dämpfen? Vorstellbar sind flächenhafte Wiederbepflanzung, Bewässerung, dazu verminderte Emissionen durch Umstieg von Wegwerfwirtschaft auf Kreislaufwirtschaft. Gewonnene Erfahrungen lassen sich dann weltweit nutzen.
Verfassung. Schließlich zum Thema eigene Demokratie ein Blick in den Spiegel: Keine Volksabstimmung auf Bundesebene?
Über die Parteien der Kurzschluss in der Gewaltenteilung? Fehlende Transparenz gegen Korruption? Würde der französische Graf de Montesquieu, 1748 der „Erfinder“ der dreigewaltenteiligen Demokratie, das heutige politische System in Deutschland als
Musterbeispiel für seine Konstruktion loben?
Wo bleibt die deutsche Verfassung, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen“ ist, wie es das Grundgesetz
seit 1990 in seinem Schlussartikel 146 fordert?
Ein Verfassungsentwurf, nicht von politischen Parteien vorgegeben, sondern aus den Bedürfnissen und unter Federführung der Bürgergesellschaft entstanden, unbeeinflusst von Interessengruppen und am Ende durch eine Volksabstimmung in Kraft gesetzt? Kann der Text des bestehenden Grundgesetzes, auf einen westalliierten Besatzungsbefehl von 1949 zurückgehend, den Bürgeranforderungen für eine gerechte und auskömmliche gesellschaftliche Zukunft Deutschlands genügen?
Die Schaffung der deutschen Verfassung ist wohl eine größere Aufgabe. Sollte sie aber nicht binnen weniger Jahre lösbar sein?
Anregende Ideenvorlagen und Erfahrungen aus dem In- und Ausland gibt es reichlich.
Dabei dürfte auch die Frage aufkommen: Wieweit hat ein demokratischer Staat das Recht, in den heutigen – stets wirtschaftlich motivierten – Industriekriegen eigene und an-
geblich „feindliche“ Menschen in Lebensgefahr
zu bringen, zu verwunden und zu töten?


Quellen
Hier sind die Nachweise für einige in Deutschland wenig bekannte Sachverhalte angegeben:
[1] Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), angenommen am 8. Juni 1977, Schweizerische
Eidgenossenschaft, Fedlex, die Publikationsplattform des Bundesrechts, 0.518.521 AS 1982 1362; BBl 1981 I 953, Stand 12. Juli 2018, dort siehe Artikel 60,
https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1982/1362_1362
_1362/de
[2] Address by the Soviet Representative (AndreiGromyko) to the United Nations Atomic Energy Commission, June 19, 1946, Address delivered at the second meeting of the Commission,
https://fissilematerials.org/library/un46.pdf
[3] Gian P. Gentile, Planning for Preventive War 1945 – 1950, JFQ (Joint Force Quarterly), Spring 2000, p. 68 ff.,
https://ndupress.ndu.edu/portals/68/Documents/jfq/jfq-24.pdf
[4] Daniel Ellsberg, The Doomsday Machine Confessions of a Nuclear War Planner, New York 2017: Bloomsbury USA, ISBN 978-1-6081-9670-8, p. 2 f., dazu Hintergrunddokumente:
William Burr, The Creation of SIOP-62 – More Evidence on the Origins of Overkill, National Security Archive, The George Washington University, Washington, D.C., July 13, 2004,
https://nsarchive2.gwu.edu/NSAEBB/NSAEBB130/index.htm#1
[5] Wikipedia (englisch), Stichwort Operation Chrome Dome”, 11 July 2022,
https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Chrome_Dome
[6] Wikipedia, Stichwort Enthauptungsschlag”, 6.März 2021,
https://de.wikipedia.org/wiki/Enthauptungsschlag
[7] Der Nordatlantikvertrag, Washington D.C., 4. April 1949, Last updated 25-Mar-2019, NATO, dort siehe Artikel 5,
https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_17
120.htm?selectedLocale=de
[8] Walter Mayr, Stalins Heimspiel, Der Spiegel
Special, 2/2005, https://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/39863563
[9] Rechtsfragen der militärischen Unterstützung der Ukraine durch NATO-Staaten zwischen Neutralität und Konfliktteilnahme, Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, WD-2-3000-019/22, 16. März 2022, siehe p. 6,
https://www.bundestag.de/resource/blob/892384/d9b
4c174ae0e0af275b8f42b143b2308/WD-2-019-22-
pdf-data.pdf
[10] Memorandum of Conversation between Helmut Kohl and George Bush at Camp David, Feb 24, 1990, National Security Archive, The George Washington University, Washington, D.C.,
https://nsarchive.gwu.edu/sites/default/files/documen
ts/4325690/Document-13-Memorandum-of-
Conversation-between.pdf
[11] Mary Elise Sarotte, Not One Inch, New Haven 2021: Yale University Press, ISBN 978-0-300-25993-3, a 55, b 55 ff., c 191 ff., d 168, 251 f., e 121, 133 ff.
[12] U.S.-Ukraine Charter on Strategic Partnership, U.S. Department of State, November 10, 2021
https://www.state.gov/u-s-ukraine-charter-on-
strategic-partnership/
[13] Beschluss des Präsidenten der Ukraine Nr.117/2021, Zum Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 11.März 2021 „Über die Strategie der Deokkupation
und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Territoriums der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol“, 24. März 2021, (auf Ukrainisch, übersetzbar per Google Translator),
https://www.president.gov.ua/documents/1172021-37533
[14] Ukraine Democracy Defense Lend-Lease Act of 2022, U.S. Congress, January 19, 2022,
https://www.congress.gov/bill/117th-congress/senate-
bill/3522/text/is
[15] Sentinel ICBM, Air Force Nuclear Weapons
Center, undatiert,
https://www.afnwc.af.mil/Weapon-Systems/Sentinel-
ICBM-LGM-35A/
[16] Andrew Feickert, The U.S. Army’s Long-Range Hypersonic Weapon (LRHW), Congressional Research Service, IF 11991, Updated May 23, 2022,  https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF1199
1
[17] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Stationierung weiterer US-Streitkräfte in Deutschland, Bundestagsdrucksache 20/2284 vom 15.06.2022, siehe Frage 5, https://dserver.bundestag.de/btd/20/022/2002284.pdf
[18] Andrew Feickert, The Army’s Multi-Domain Task Force (MDTF), U.S. Congressional Research Service, IF11797, May 31, 2022, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF1179
7
Sämtliche Internetquellen abgerufen am
1. Dezember 2022.
______________________________________
Autor: Prof. Dr.-Ing. Joachim Wernicke,
Berlin, Physiker, parteilos.
Stand 1. Dezember 2022

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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