Wie erreichen wir Frieden mit Russland?/ Ukraine Frieden Schweitzer…

31.10.2022 
Wie erreichen wir Frieden mit Russland?
Dr. Christine Schweitzer
Bund für Soziale Verteidigung e.V.
https://soziale-verteidigung.de/


Das Entsetzen ist groß. Aber ist es eine „Zeitenwende“?
Es ist nicht der erste Angriffskrieg in den letzten 30 Jahren: Kosovo/FR Jugoslawien, Afghanistan,
Irak, Libyen …
Es ist nicht der erste Krieg in Europa seit dem 2. Weltkrieg: Kriege im ehem. Jugoslawien, Nordirland, Südkaukasus*.
Es ist nicht das erste Mal, dass mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht wird. Allerdings Gefahr Atomkrieg seit Kubakrise 1962 nie mehr so real.
Nach Angaben der Vereinten Nationen waren im Jahr 2021 mehr Menschen von Kriegen und gewaltsamen Konflikten betroffen als je zuvor seit Ende des 2. WK.
Die Bedrohung durch den Klimawandel ist die echte Zeitenwende
Mehr als 120 Millionen Geflüchteter : 89,3 Mio IDPs plus 27,1 Mio refugees (UNHCR, 16.6.2022)
Bei uns suchen Menschen aus vielen Ländern Schutz vor Krieg und Zerstörung ihrer
Lebensgrundlagen aufgrund des vom globalen Norden verursachten Klimawandels. Aber nur ukrainischen Geflüchteten werden menschenwürdige Lebensbedingungen geboten.
* Südkaukasus ist geografisch Asien, wird aber oft kulturell zu Europa gezählt.

31.10.2022

Die Opfer
Die Ukraine nannte Mitte Juni die Zahl von ca. 10.000 im Krieg getöteten ukrainischen
Soldat*innen. Das OHCHR hat bis zum 16.9.22 5.916 zivile Tote auf ukrainischer Seite gezählt.
Wie viele Soldat*innen auf russischer Seite ums Leben gekommen sind, ist unbekannt; die
Ukraine behauptet, es seien 50.000.
Zerstörung von Städten, Industrieanlagen, Natur
Traumatisierung, Trauer, Leben in permanenter Krise
Bevölkerung im Jemen, weil Rüstungsexporte an Saudi-Arabien wieder aufgenommen.
Kurdischen Aktivist*innen droht die Abschiebung aus Schweden in die Türkei
Bemühungen um Abrüstung und eine zivile Friedenspolitik („Lumpen-Pazifismus“ – Sascha Lobo im Spiegel)
Die Ärmsten der Weltbevölkerung: Globale Nahrungsmittelkrise, Reduzierung von EZ-Mitteln (Dt: minus 1,27 Mrd für 2023); Diebstahl von Getreide durch Russland
Auch die europäische Bevölkerung: Preiserhöhungen, drohender Gasmangel, neue Umlagen und Steuern (während viele Konzerne Gewinne machen) und Staatsverschuldung (Deutschland zum Jahresende 2021 bei mehr als 2,32 Billionen €).
Militarisierung der Politik Ziel der NATO-Politik anscheinend: Ukraine soll siegen. Viele sprechen schon von Stellvertreterkrieg.
Lieferung immer mehr und schwererer Waffen an die Ukraine, und Ausbildung an ihnen, u.a. Panzer, Raketenwerfer, Flugabwehrsysteme, Panzerhaubitzen, and. Militärfahrzeuge,
Hubschrauber, Gewehre, Drohnen, Mörser, Panzerabwehrminen
Immer weiter verschärfte Sanktionen gegen Russland
Stärkung NATO (neue Beitritte, Einigkeit)
Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr
2 Prozent-Ziel
„Neue“ Rüstungsvorhaben „durchgewunken“ : Bewaffnete Drohnen (Leasing und Eurodrohne), FCAS, 35 F-35; NATO: Modernisierung Atomwaffen, Hyperschallraketen, FCAS
Rückdrehen der Anstrengungen zur ökologischen Neuausrichtung (Kohle, Fracking, Atomkraft)

31.10.2022

Erklärungsversuche für den russischen Angriff
Russland und die Sowjetunion als Ziele von expansionistischer Kriege
Abnahme von Dialog und Kooperation in den letzten 20-25 Jahren (schon vor 2014),
Aufkündigung von Rüstungskontrollverträgen; Erosion
Völkerrecht
Drohender Verlust von Großmachtstatus Russlands nach Zerfall der SU
Brauchte die Regierung Putin einen Krieg, um ihre
Opposition weiter unterdrücken zu können?
NATO-Osterweiterung
Schutz des „Hinterhofs“
Pläne der Rückeroberung des Donbas und der Krim durch die Ukraine   Was jetzt?

31.10.2022

Was jetzt? „Friedenslogische Imperative“
Stellungnahme aus der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung zu Friedenslogik im Ukraine-Krieg: „Alles dafür zu tun, um
(1.) die Gewalt zu beenden,
(2.) den Konflikt zu deeskalieren und konstruktiv zu transformieren,
(3.) Opfer zu schützen und Leid zu mildern,
(4.) Völkerrecht und Menschenrechte zu stärken und
(5.) Selbstreflexion und Empathie zu fördern.
Das bedeutet auch, alles zu unterlassen, was der Realisierung dieser Ziele entgegenliefe.“
Quelle: https://pzkb.de/wp-content/uploads/2022/05/Stellungnahme-AG-Friedenslogik-PZKB_Friedenslogik-statt-Kriegslogik-1.pdf


Weg zu einem Verhandlungsfrieden
Dilemma: Angriffskrieg nicht belohnen wollen, aber andererseits:
Fortsetzung des Kriegs führt zu immer mehr Opfern, Zerstörung und Leid und birgt Gefahr einer Konflikteskalation über die Ukraine hinaus, einschließlich eines atomaren Unfalls in einem ukrainischen AKW oder dem Einsatz von Atombomben.
Trotz militärischer Erfolge der Ukraine: ein militärischer Sieg scheint unwahrscheinlich und birgt unkalkulierbare Gefahren.
Deshalb:
Vermittler finden, die Zugang zu beiden Seiten haben (oder Teams, die das als Team können)
Verhandlungsprozess entschlossen aufnehmen, Druck auf alle Seiten (auch auf Ukraine) ausüben, sich Kompromissen gegenüber offen zu zeigen. (Wie die Ukraine im Istanbuler Plan vom März schon mal bereit war, auch zu Neutralität und Verzicht auf NATO-Mitgliedschaft.)

31.10.2022

Verhandlungen im März 2022
Im März 2022 gab es Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul auf Außenministerebene.
Punkt 1: Die Ukraine akzeptiert politische Neutralität. Im Gegenzug erhält sie eine völkerrechtliche Garantie zur Umsetzung des blockfreien und atomwaffenfreien Status. Mögliche Garantiestaaten könnten Russland, Großbritannien, China, USA, Frankreich, Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen und Israel sein.
Punkt 2: Die internationalen Sicherheitsgarantien der Ukraine im Rahmen des Vertrages gelten nicht für die Krim, Sewastopol und einzelne Gebiete des Donbass. Die Parteien müssen die Grenzen dieser Gebiete festlegen oder sich darauf einigen, dass jede Seite sie auf ihre eigene Weise versteht.
Punkt 3: Die Ukraine verpflichtet sich dazu, keinem Militärbündnis beizutreten, keine ausländischen Militärstützpunkte oder – kontingente zu stationieren und internationale Militärübungen nur mit Zustimmung der Garantenstaaten durchzuführen. Die Garantenstaaten sollen dabei ihre Absicht bekräftigen, die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU zu fördern.
Punkt 4-6: Wie die Garantenstaaten im Fall eines bewaffneten Angriffs gegen die Ukraine vorzugehen haben Punkt 7: Inkrafttreten nach einem gesamtukrainischen Referendum und Verankerung in der ukrainischen Verfassung.
Punkt 8: Bestreben, offene Fragen im Zusammenhang mit der Krim und Sewastopol innerhalb von 15 Jahren durch bilaterale Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu lösen. Vorschlag, vertraglich zu vereinbaren, die Fragen der Krim und
Sewastopols nicht militärisch zu lösen, sondern di e politischen und diplomatischen Bemühungen in dieser Frage fortzusetzen.
Punkt 9: Modalitäten für einen Waffenstillstand, den Rückzug der Truppen, humanitäre Korridore und den Austausch der Leichen sowie die Freilassung von Kriegsgefangenen.
Punkt 10: Persönliches Treffen des ukrainischen und russischen Präsidenten, um einen entsprechenden Vertrag zu unterzeichnen und politische Entscheidungen über die noch offenen Fragen zu treffen.
(Zusammenfassung: https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Waffenstillstand_und_Frieden_Ukrainekonflikt.pdf


Friedensplan von Italien (Mai 2022)
Im Mai 2022 legte der italienische Außenminister Luigi di Maio dem UN-Generalsekretär António Guterres einen Friedensplan in vier Schritten vor.
Dieser soll die UN, die EU und die OSZE in die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine einbinden. Unter der Aufsicht einer internationalen Vermittlungsgruppe solle ein vierstufiger Plan umgesetzt werden:
Waffenstillstand,
Neutralität der Ukraine,
Lösung territorialer Fragen
einen europäischen und internationalen Sicherheitspakt.
In jeder Etappe solle geprüft werden, ob sich die Parteien an ihre
Verpflichtungen halten, damit der nächste Schritt eingeleitet werden kann.
Zusammenfassung: IPPNW

31.10.2022

Vertragsentwurf Russlands Dez 2021
17. Dezember 2022: Die russische Regierung überstellt an die USA einen Vertragsentwurf, den die NATO unterzeichnen soll:
Die NATO solle ihre Osterweiterung stoppen und die Ukraine und andere ehemalige Sowjetrepubliken nicht aufnehmen, den Ausbau der militärischen Infrastruktur in Osteuropa einfrieren (Militärbasen, Waffensysteme), die Militärhilfe an die Ukraine beenden, Manöver dort beenden und keine Mittelstreckenraketen in Europa stationieren.
Russland fordert, dass die NATO die Vereinbarungen der NATO-Russland-Grundakte vom 17. Mai 1997 einhält. Dort wurde festgehalten, dass es keine militärischen Aktivitäten der NATO in Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes geben solle und keine größeren Kampfverbände dauerhaft in den neuen Mitgliedsstaaten stationiert werden sollten. Die Stationierung von Atomwaffen wurde ausgeschlossen. Nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 entsandte die NATO aber kleine multinationale Gefechtsverbände in die baltischen Staaten und nach Polen, die alle sechs Monate rotieren.
Die NATO antwortete Ende Januar in einem nichtöffentlichen Schreiben. Dort wurde anscheinend die „Politik der offenen Tür“ der NATO betont, aber Gesprächsbereitschaft zu weiteren Fragen wie z.B. der Wiedereröffnung der diplomatischen Vertretungen in Moskau und Brüssel signalisiert.
Quelle: https://www.swp-berlin.org/publikation/moskaus-verhandlungsoffensive
Überlegungen für Schritte hin zu Verhandlungen
Im Folgenden werden einige sehr „realpolitische“ Vorschläge gemacht, die getan werden könnten, um die Situation zu deeskalieren und Menschen zu schützen.
Damit solche Bilder irgendwann der Vergangenheit angehören:

31.10.2022

Kurzfristig Militärische Verteidigung aller Städte, Einbeziehung Zivilbevölkerung in  Kampf   Kein Militär nahe ziviler Einrichtungen
Keine Kämpfe nahe von AKWs oder chemischer Industrie; entmilitarisierte Zone rund um alle AKWs „Offene Städte“: Mit Odessa beginnen Menschen schützen Völkerrecht schützen Bürokratie und Missmanagement der Hilfe Einheimische und internationale NROs fördern, die Zivilbevölkerung schützen und humanitäre Hilfe leisten.
Menschen schützen Leichtfertige Behauptungen Kriegspropaganda stoppen  Konfliktdeeskalation und Konflikttransformation
Drohung mit Atomwaffen Verzicht auf Ersteinsatz aller Atomwaffen Gewalt beenden
Sanktionen und Isolation Russlands
Klaren Endpunkt der Sanktionen (z.B. Waffenstillstand oder Abzug der Truppen) benennen, um Menschen in Russland eine Perspektive zu geben
Gewalt beenden Kurzfristig-ff “Verräter“, wer mit russländischen Menschen noch Beziehungen pflegen will
Unterscheiden bei Russland: Regierung und Zivilgesellschaft; mit Zivilgesellschaft Kooperation
fortsetzen oder verstärken
Selbstreflexion und
Empathie fördern
Angst vor „Schläfern“
Einreiseverbote für
russl. Menschen
Unbürokratisches Asyl für KDVer aus Russland und
Belarus und der Ukraine
Russländische Bürger*innen nicht stigmatisieren
oder unter Generalverdacht stellen
Menschenrechte
und Völkerrecht
schützen
Menschen schützen
Kriegsverbrechen als
Propaganda-
instrument
Dokumentation von Kriegsverbrechen (aller Seiten)
durch unabhängige Beobachter*innen
Stärkung Menschen-
und Völkerrecht

31.10.2022
8
Zwischen kurz- und mittelfristig
Waffenlieferungen,
Ausbildung
Stopp der militärischen Unterstützung, beginnend
mit Offensivwaffen
Konfliktdeeskalation
und Konflikttrans-
formation
Kritik an
Kriegshandlungen der
Ukraine ist verpönt
Alle Seiten zur Einhaltung des Kriegsvölkerrechts
anhalten und mit Sanktionen drohen, falls das nicht
geschieht. (Zu Kriegsvölkerrecht s. die nächste Folie)
Menschen schützen
Basierend auf Haager Landkriegsordnung, Genfer Abkommen, UN Charta, Konventionen zu bestimmten Waffenarten). Unter anderem:
Definition Kombattanten und deren Schutz vor Strafverfolgung
Angriffe sind auf militärische Ziele zu beschränken
Schutz von Kriegsgefangenen
Schutz von Zivilbevölkerung, Verbot, sie als Schutzschilde zu nehmen
Kollateralschaden auf Mindestmaß beschränken
Sicherheitszonen (für Behandlung Verwundeter oder Gebrechliche, Alte, Schwangere, Kinder), entmilitarisierte Zonen (kein Militär),
Unverteidigte Orte (dürfen besetzt werden), neutralisierte Zonen (keine Kriegshandlungen)
Kulturgut ist zu schützen
Verbotene Kampfmittel: chemische und biologische Waffen, Sprengfallen, Antipersonenminen, Streumunition
Bestimmte Täuschungen
Unterschiedslose Angriffe
Quelle: https://www.bmvg.de/de/themen/friedenssicherung/humanitaeres-voelkerrecht
Mittelfristig
„Russland muss den
Krieg verlieren“
Als eine Vereinbarung in Verhandlungen:
Donbass unter UN-Verwaltung stellen wie
Ostslawonien nach 1995, mit nur leicht bewaffneten
Truppen aus Nicht-NATO-Ländern
Referendum für die Krim mit Abstimmungsrechten
für alle, die 2014 dort gelebt haben.
Konflikt zu
deeskalieren und
konstruktiv zu
transformieren
Langfristig
100 Mrd.
Sondervermögen,
Vergrößerung NATO-
Präsenz in Osteuropa,
neue Rüstungskäufe
Abrüstung statt Aufrüstung
AVV unterzeichnen
Verhandlungen über Rüstungskontrolle und
Abrüstung auf allen strateg. Ebenen
Gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur
Soziale Verteidigung als Alternative für NATO-Staaten
Längerfristiger
Übergang zu einer
echten
Friedenspolitik
Nationalismus &
Chauvinismus
Nationalismus & Chauvinismus & Neokolonialismus
überwinden
Konflikttransforma-
tion

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Was können wir tun?
Gegen Aufrüstung protestieren
Dem herrschenden Narrativ widersprechen (Diskussionen,
Leser*innenbriefe, Kommentare in Online-Medien)
Schutz von KDVern und Deserteuren
https://you.wemove.eu/campaigns/russland-belarus-ukraine-schutz-und-asyl-fur-deserteure-und-
verweigerer

31.10.2022
10
Mehr Informationen:
https://sozialeverteidigung.de/

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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