Transkript der “sieben Mythen zum Ukrainekrieg”

“Mein” Transkript der “sieben Mythen zum Ukrainekrieg”  https://wp.me/paI27O-5o3

Mit meinen Hervorhebungen…

Die 7 Mythen des Ukraine-Krieges – Widerlegt!
Interview mit Ex-NATO General Harald Kujat

Flavio von Witzleben, 31.3.2024
https://www.youtube.com/watch?v=sQXbSJdH4ME

Im Krieg in der Ukraine gibt es zahlreiche Erzählungen in den Medien und der Politik, die stetig wiederholt werden. Sei es der “unprovozierte Angriffskrieg” Russlands gegen die Ukraine, die Behauptung, dass mit Putin nicht verhandelt werden kann, oder die Einschätzung, dass Waffenlieferungen den Krieg zugunsten der Ukraine entscheiden werden. Diese Narrative werden in zahlreichen Talkshows, den Massenmedien oder von führenden Politikern ständig wiederholt.

Einer der bekanntesten Kritiker dieser Aussagen ist Harald Kujat. Er war von 2000 bis 2002 Generalinspekteur der Bundeswehr und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.

Somit bekleidete er sowohl die höchste militärische Position in der Bundeswehr als auch in der NATO. Im Interview geht er auf die sieben Mythen im Ukraine-Krieg ein und beleuchtet, wie gefährlich die aktuelle Situation angesichts eines möglichen Engagements der NATO ist.

Hier ein etwas überarbeitetes, automatisches Transkript:

Heute freue ich mich einen hochkarätigen Gast auf meinem Kanal begrüßen zu dürfen und zwar den ehemaligen Nato-General Harald Kujat
Servus, schönen guten Tag Herr Kujat. Ich freue mich, dass wir hier heute zusammengefunden haben und sie sind schon das zweite Mal hier bei mir auf dem Kanal. Wir haben uns schon im Dezember getroffen damals noch mit Peter Brand zusammen und wir sind hier heute auf Schloss Döbelin, ein ehemaliges Anwesen des eisernen Kanzlers Otto von Bismarck. Dort haben sie hier gerade ein Gespräch mit dem Großneffen Alexander von Bismarck geführt, das auch die nächsten Tage erscheinen wird.
Und ja, wir möchten uns heute über die sieben Mythen des Ukraine-Krieges unterhalten und da mal die Kernaussagen die Narrative von Medien und Politik mal etwas genauer unter die Lupe nehmen und dafür habe ich mir exemplarisch sieben Kernaussagen mal rausgesucht, die wir dann mal genauer untersuchen wollen. Und dafür, das möchte ich gleich zu Beginn sagen, sind sie glaube ich ein wirklich ausgewiesener Experte. Sie waren nicht nur Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses und damit ranghöchster Soldat der Bundeswehr und ranghöchster Soldat der NATO. sondern sie waren auch Vorsitzender des NATO-Russlandrates und Vorsitzender der Nato-Ukraine Kommission der Generalstabschefs. Also sie sind wirklich ein ausgewiesener Experte und deswegen freue ich mich sehr, dass wir hier heute zusammenfinden können und dieses Gespräch aufzeichnen können.
Und ja, ich habe es gerade schon angesprochen, im Dezember letzten Jahres vor knapp vier Monaten haben wir uns das erste Mal kennengelernt und jetzt ist seitdem einiges passiert. Rund vier Monate später bildet der Krieg Metastasen, er breitet sich immer weiter aus. Die Lage hat sich immer mehr zugespitzt.
Herr Kujat, wie blicken sie denn auf die aktuelle geopolitische Lage vor allen Dingen im Ukrainekrieg? Wie gefährlich ist die Situation da unten?

K:  Das war klar von Anfang an klar. Wenn die Situation sich tatsächlich zuspitzt, so wie sie das eben formuliert haben, steigt natürlich die Gefahr dass es tatsächlich zu einer weiteren Eskalation kommt.
Ich habe immer gesagt, wenn wir Waffen liefern unterstützen wir die Ukraine in ihrem Selbstverteidigungsrecht, aber die Probleme der Ukraine sind eben nicht nur fehlende Waffen, im Augenblick
fehlende Munition, zu wenig Munition. Sondern die Ukraine hat auch erhebliche Personalprobleme.
Die Verluste der ukrainischen Streitkräfte sind tatsächlich enorm und die militärische Lage ist kritisch geworden. Das heißt das Risiko, so habe ich es damals bezeichnet, dass den westlichen
Waffen westliche Soldaten folgen, zumindest die Forderung erhoben wird, das steigt natürlich, je schlechter, je schwieriger die Situation für die Ukraine wird. Und tatsächlich ist es auch so, dass der französische Präsident gesagt hat das können wir nicht ausschließen. Es wäre, das versteht glaube ich inzwischen jeder, eine große europäische Katastrophe, wenn das der Fall wäre.
Aber die Frage ist dann ‒ jetzt konzentrieren wir uns mal auf die Ukraine ‒ was sich jetzt abzeichnet, ist dass die Amerikaner sozusagen zum Disengagement übergehen. Dass sie ihre Unterstützung der Ukraine zurückfahren. Das ist auch verständlich. Denn ein amerikanischer Präsident im Präsidentschaftswahlkampf kann keinen Krieg im Hintergrund gebrauchen, noch dazu ein Krieg, bei dem jeder weiß, dass er nicht mehr lange dauern wird, weil er für die Ukraine verloren geht. Deshalb ist ist diese Situation ja auch entstanden.
Auch verschärft natürlich dadurch, dass der Kongress dieses Paket über 61 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung der Ukraine bisher nicht gebilligt hat und niemand weiß ob er das billigen wird.
Was die Situation natürlich die Lage für die Ukraine dramatisch verschärft. Die Alternative dazu wäre – das habe ich noch vergessen, das muss man der Vollständigkeit halbe auch erwähnen, die das Risiko, dass der nächste Präsident Trump heißt, der gesagt hat, ich beende den Krieg innerhalb von 24 Stunden. Das spielt natürlich im Hintergrund eine große Rolle. Das bedeutet, dass die Europäer diesen Krieg für die Vereinigten Staaten weiterführen sollen, durch ihre finanzielle, wirtschaftliche und materielle Unterstützung weiterführen sollen.
Das heißt, auch das worüber wir schon vor einiger Zeit gesprochen haben, die Europäisierung dieses Krieges, schreitet mit großen Schritten voran. Die Frage ist nur, sind die Europäer überhaupt in der Lage die Vereinigten Staaten zu ersetzen? Nun sie sind, so ist es abgesprochen worden, sie haben bilaterale Verträge, die meisten von ihnen jedenfalls schon oder viele von ihnen jedenfalls schon. Und Deutschland, Frankreich, Großbritannien, von denen weiß ich es, die Niederländer haben bilaterale Verträge mit der Ukraine geschlossen, in denen sie sich verpflichten, die Ukraine weiter wirtschaftlich finanziell auch militärisch zu unterstützen und zwar für die nächsten 10 Jahre.
Das ist natürlich eine so existenzielle Situation für Europa, die jetzt entsteht, eine existenzielle Situation, in der die Vereinigte Staaten sich zurückziehen, die Europäer sozusagen in die Fußstapfen in die viel zu großen Schuhe der Vereinigten Staaten eintreten. Denn die Vereinigten Staaten liefern ja
nicht nur Geld an die Ukraine, liefern nicht nur Waffen an die Ukraine, sondern die Vereinigten Staaten machen, wie wir wissen, die Operationsplanung im Wesentlichen. Sie haben sie gemacht
für die Offensive im letzten Jahr, übrigens in Deutschland, in einem ihrer Hauptquartiere hier in Deutschland. Und sie liefern Zieldaten, sie liefern Informationen. Ohne diese Unterstützung wären die Ukrainer überhaupt nicht in der Lage diesen Krieg weiterzuführen. Das heißt also, die Frage ist worauf läuft das hinaus?

F:  Das hatte ich sie damals im Dezember auch schon im Interview gefragt und damals hatten sie gesagt, sie glauben nicht, dass die NATO, dass der Westen soweit gehen würde, eigene Truppen in
dieses umkämpfte Gebiet zu schicken, in die Ukraine zu schicken. Würden sie das jetzt vier Monate später immer noch so sagen Herr Kujat?

K:  Na ja nachdem Präsident Macron diese Ankündigung gemacht hat, stehe ich natürlich nicht mehr zu meiner Aussage oder ich, sagen wir es so, ich muss sie variieren. Denn wenn Frankreich Truppen, französische Truppen in die Ukraine schickt, dann sind das französische Truppen. Es sind keine Nato-Truppen. Denn, und die Frage wenn, es tatsächlich dann zu Kampfhandlungen käme, zwischen französischen Streitkräften und russischen Streitkräften wäre dies nicht der Bündnisfall, also
nach Artikel 5.

Darüber sollte sich Frankreich auch im Klaren sein. Natürlich entsteht dann eine Situation in der die Verbündeten Frankreich sagen würden, was tun wir jetzt? Können wir Frankreich da alleine lassen?
Dann würde sich Frankreich im Krieg mit Russland befinden. So ist das ja. Aber es ist nicht der Bündnisfall, das muss man ganz deutlich sagen. Ich hoffe nach wie vor, dass dies ein Bluff ist. Wir wissen ja auch in welchem Zustand die französischen Streitkräfte sind und ich habe größte Zweifel, dass die einen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung der Ukraine leisten könnten. Aber nachdem, was Präsident Macron gesagt, hat kann man das eben nicht mehr ausschließen.
Aber wie gesagt, das ist nicht die NATO und der Bundeskanzler hat ja gerade in diesen Tagen noch einmal ganz deutlich gemacht, dass es unbedingt verhindert werden muss, dass Nato-Truppen dann in der Ukraine zum Einsatz kommen und dass es damit zu einem Krieg zwischen Russland und der
NATO kommt. Und ich hoffe, dass er bei diesem Wort bleibt, dass dieses Wort hart ist und harte Politik bedeutet. Wir mussten jetzt aber in der Vergangenheit schmerzvoll erfahren, dass die Worte, die gesagt worden sind, nicht immer so eingehalten worden sind. Wenn wir uns an die roten Linien
erinnern, die im Ukrainekrieg stets überschritten worden sind.

F:   Herr Kujat ich möchte mit ihnen die sieben Mythen des Ukrainekrieges mal heute etwas genauer unter die die Lupe nehmen. Mit den sieben Mythen meine ich die sieben Kernaussagen, die sieben Narrative, die sich immer wiederholen und wir fangen mal gleich mit der ersten Kernaussage an.
1. Mythos  Das ist der unprovozierte Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Das ist etwas, was immer
wieder gesagt wird. Es wird immer wieder vom unprovozierten Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gesprochen Außenministerin Baerbock bezeichnete den Krieg Russlands gegen die Ukraine damals als Urverbrechen. Aber von russischer Seite wird immer wieder betont, dass der Krieg im Grunde genommen unvermeidbar gewesen ist. Und ja es wird auch immer wieder betont, dass das was damals am 24. Februar geschehen es, im Grunde genommen die ultima ratio gewesen ist . Deswegen meine Frage an Sie, zum einen, wie sehen sie diese Aussage des „unprovozierten Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine“? Und zum anderen, wie sehen sie dieses russische Narrativ,
dass das damals die „ultima ratio“ gewesen ist?

K:   Also, dass dieser Krieg unter Völkerrechts-Gesichtspunkten ein russischer Angriffskrieg ist, das ist
außer Frage und das lässt sich auch sehr leicht anhand der UN-Charta belegen. Auf der anderen Seite gibt sich daraus auch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine. Das halte ich für unstrittig und darüber kann man auch gar nicht diskutieren. Auf der anderen Seite gibt es durchaus ernstzunehmende Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten, die sagen, der Krieg ist vom Westen provoziert worden.

Ich würde einen anderen Ansatz empfehlen. Ein Krieg entsteht ja nicht, weil einer der Kriegführenden sagt, völlig überraschend, heute greifen wir mal das Land x an. Sondern ein Krieg
entsteht aus einer bestimmten politischen Konstellation heraus. Und er führt zu einer neuen politischen Konstellation.
Deshalb muss auch immer am Ende, das ist ja Clausewitz in Reinkultur sozusagen, darf neben den Kampfhandlungen die Diplomatie nicht suspendiert werden. Sondern, sie muss versuchen, diesen Krieg zu beenden und zwar in einem Interessenausgleich zu beenden. Denn nur ein Krieg, der in
einem Interessenausgleich beendet wird, mit Verhandlung beendet wird, der hat auch Bestand für die Zukunft.
Also dieser Krieg ist, sagte ich, aus politischen Gründen, hat seine politischen Ursachen und da muss man eben zurückgehen ‒ einfach mal einen Schritt zurückgehen und sagen, wie war denn das Verhältnis zwischen der Nato beispielsweise und Russland in den 90er Jahren. Es war ein sehr enges vertrauensvolles Verhältnis. Es gab eine enge politische Abstimmung. Es gab eine enge militärische Zusammenarbeit.
Und dann entstand eine Entwicklung 2002, mit der einseitigen Kündigung des ABM-Vertrages durch die Vereinigten Staaten. Das war sozusagen der strategische Wendepunkt. Dann 2008 der Versuch, durch Präsident Bush eine Einladung an Georgien und die Ukraine durchzusetzen auf dem
Bukarester Gipfel, der gescheitert ist. Dieser Ansatz aber, wie das immer in solchen Fällen ist, wird aus Gründen der Gesichtswahrung dann das Kommuniqué aufgenommen, in diesem Fall also für diese beiden Staaten eine Perspektive der NATO- Mitgliedschaft erklärt.
Das war der politische Wendepunkt und da gibt es also genügend Zeitzeugen, beispielsweise der damalige amerikanische Botschafter in Russland, heute Chef des CIA, William Burns, der damals
gesagt hat, damit wird jetzt, das wird Russland so nicht akzeptieren. Es wird eine harte Reaktion geben, auch gegenüber der Krim und dem Donbas. Und er hat das im Grunde vorhergesehen und genauso entwickelte sich das dann ja auch.
Also, ich will die Antwort vereinfachen. Der Krieg war nicht unausweichlich. Er war von Russland auch nach meinem Eindruck nicht von vorneherein so geplant. Sondern der Krieg hätte verhindert werden können, wenn man mit Russland verhandelt hätte, ernsthaft verhandelt hätte, beispielsweise
auf der Grundlage der beiden sogenannten Vertragsentwürfe an die Vereinigten Staaten und an die NATO, die Russland am 17 Dezember 2021 verschickt hat. Das ist nicht geschehen und insofern gibt es natürlich die eine Variante, Russland hat mit seinem Einmarsch, mit seinem Angriff, versucht letztlich doch den Westen zu Verhandlung zu zwingen. Ich weiß nicht, ob das stimmt.

Ich favorisiere eher eine andere Variante. Nämlich die, dass Russland, nachdem diese Versuche, den Krieg durch Verhandlungen zu vermeiden, gescheitert waren, versucht hat, nach Kiew zu marschieren, die ukrainische Regierung abzusetzen und durch eine russlandfreundliche Regierung zu
ersetzen. Dann wäre der Krieg auch beendet gewesen, nach wenigen Tagen. Aber das ist, das muss
ich auch aus meiner Sicht zugeben, Spekulation.
Jedenfalls eines kann man mit Sicherheit sagen. Es war mit Sicherheit nicht die Absicht Russlands, die Ukraine vollständig zu erobern, ab dem 24 Februar. Denn der Einmarsch erfolgte mit etwa 190.000 russischen Soldaten und gegenüber stand eine Armee von mehr als 400.000 gut ausgerüsteten, vom Westen gut ausgebildeten und ausgerüsteten ukrainischen Soldaten. Also so dumm sind selbst die Russen nicht, dass sie glauben, damit sozusagen ein so großes Land wie die Ukraine erobern zu können.
Ich glaube vielmehr, dass ‒ gerade diese Frage, will Russland die NATO angreifen und die baltischen Staaten? ‒ ich glaube eher,  es geht den Russen darum, tatsächlich eine Pufferzone zu errichten, zwischen sich und der NATO, um zu verhindern, dass es tatsächlich zu einer Entwicklung kommt, zu einer Krise, zu einer Eskalation, die nachher politisch nicht mehr kontrolliert werden
kann.
Nun, jetzt gibt es auch zahlreiche Experten und Analysten die sagen, dass Russland vom Westen in eine Falle gelockt worden ist. Dass man im Grunde genommen von westlicher Seite aus diesen Angriff Russlands bewusst provoziert hätte und dann eben diese politische Agenda durchzuwinken, die wir jetzt sehen können. Nämlich, dass das Russland isoliert wird und infolgedessen der Westen und in allervorderster Front Deutschland, sich selber wirtschaftlich ruiniert. Was natürlich, das haben Sie auch schon mehrfach in Interviews ausgeführt zugunsten der USA wäre. Also sehen sie auch das als eine mögliche Hypothese, dass da Russland in eine Falle des Westens getappt ist.
Ich kann das nicht belegen, aber wir müssen es, wenn wir es geopolitisch betrachten, dann muss man eben sehen, im Hintergrund spielt ja die Rivalität der großen Mächte, also Russland, China, Vereinigten Staaten, eine große Rolle. Und Russland ist sehr eng mit China verbunden. Also nehmen sie die BRICS-Organisation also diese Organisation, die sich sozusagen als Gegengewicht zum Westen gebildet hat.
Aber in dieser Rivalität der großen Mächte, ist die einzige Macht, die wirklich gefährlich werden könnte für die Vereinigten Staaten, die also sozusagen die Vereinigten Staaten als führende Weltmacht ablösen könnte, nicht Russland, sondern China. Und wir sehen, dass gerade jetzt auch aktuell, dass sich die Vereinigten Staaten versuchen, aus diesem Russlandkrieg zurückzuziehen. Wenn Sie beispielsweise den Verteidigungsetat der Vereinigten Staaten für 2024 sehen, dann sehen sie er ist zu 100% fokussiert auf eine Auseinandersetzung mit China.
Aber das bedeutet natürlich, wenn tatsächlich China der eigentliche Gegner der Vereinigten Staaten ist, dann macht es natürlich sehr viel Sinn dessen Verbündeten, den zweitstärksten Rivalen zu schwächen, sodass er den eigentlichen Rivalen nicht in dieser Rivalität unterstützen kann. Das würde durchaus Sinn machen. Es bestätigt nicht diese These, die Sie eben erläutert haben, aber wir sind im Augenblick tatsächlich
auch in dieser in dieser neuen geopolitischen Weltordnung, in einer neuen Phase. Es bilden sich nämlich jetzt zwei Blöcke heraus. Auf der einen Seite nach wie vor die BRICS-Staaten, aber auch
diese Shanghai-Kooperation, und die Aufnahme von sechs weiteren Staaten seit Anfang des Jahres, darunter Saudi-Arabien, ein bisher ganz enger Verbündeter der Vereinigten Staaten und nach meiner Erkenntnis über 30 weitere Staaten, die dieser BRICS-Organisation beitreten wollen, darunter sehr viele südamerikanische Staaten. Wir sehen, hier bildet sich ein sehr starker Block heraus. Auf der anderen Seite versuchen die Vereinigten Staaten über die Brücke NATO die europäischen Staaten mit in den westlichen Block gegen China einzubinden. Das heißt also, was wir hier im Augenblick sehen, durch den Ukrainekrieg, ist, diese Entwicklung hat eine neue Dynamik entfaltet. Der Ukrainekrieg hat dazu beigetragen, dass
diese Blockbildung sich verfestigt. Dass sie entsteht und sich verfestigt ist für uns ein ganz, ganz entscheidender Punkt.
Denn wir, die EU, es ist ja ein Krieg, der auf dem europäischen Territorium stattfindet und das Risiko einer Eskalation besteht eben nicht darin, wie viele sagen, dass ein dritter Weltkrieg entsteht, sondern dass ein großer europäischer Krieg entsteht, mit dem weiteren Risiko, dass aus einem europäischen traditionellen Krieg auch ein Nuklearkrieg entstehen könnte. Und das ist ein ganz entscheidender Faktor für Europa, aber eben nicht so sehr für die Vereinigten Staaten. Und insofern haben wir hier durchaus völlig unterschiedliche Sicherheitsinteressen. Nur niemand benennt sie. Das ist
eben unser Problem. Würden wir sie benennen, dann würde man auch, zu der Schlussfolgerung kommen, dass man sagt, wir Europäer müssen das Ziel einer Selbstbehauptung, einer politischen, wirtschaftlichen, technologischen, ja und auch einer militärischen Selbstbehauptung nun gerade aufgrund der Dynamik, die dieser Ukrainekrieg entfaltet hat, mit massiv vorantreiben.
Aber was deutsche nationale Interessen sind und was europäische Interessen sind, das wird hier ja kaum mehr wirklich noch ernsthaft artikuliert und besprochen.

F:  2. Mythos
Herr Kujat, ich möchte dann ganz gerne mit ihnen zum zweiten Mythos kommen, nämlich die Aussage, dass Sanktionen Russland wirtschaftlich in die Knie zwingen werden. Das ist ja etwas, das hat Baerbock, die Außenministerin schon gleich zu Beginn gesagt, Russland muss wirtschaftlich ruiniert werden. Aktuell haben wir, ich muss vor dem Gespräch noch mal nachschauen, das 13. Sanktionspaket das jetzt gegen Russland verabschiedet worden ist und weitere Strafmaßnahmen im Zuge des Todes von Alexei Nawalny sollen jetzt verhängt werden.
Albert Einstein hat einmal gesagt, die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Also ist denn diese Definition des Wahnsinns auf die Sanktionen sehr zutreffend?

K:  Ich glaube man muss in Erinnerung rufen, was am Beginn der Sanktion gesagt wurde. Es wurde nämlich gesagt, wir ergreifen jetzt Sanktionen um Russland zur Einstellung des Angriffskrieges zu zwingen und es wird keine Nachteile für die Europäer haben. Das Gegenteil ist geschehen. Russland macht große Fortschritte in seinem Angriffskrieg gegenüber der Ukraine und die Schäden, die dadurch entstanden sind, treffen die Europäer. Natürlich auch Russland, aber nicht in dem Ausmaße
wie das beabsichtigt war. Jedenfalls der der Effekt, der beabsichtigt war, der ist überhaupt nicht eingetreten. Der wird auch nicht eintreten. Und Russland kommt offensichtlich mit den Sanktionen und dem Druck der Sanktion besser klar als die Europäer.

F:  3. Mythos
Dann können wir diesen zweiten Mythus auch schnell ad acta legen und zum dritten Mythos übergehen, nämlich die Aussage, dass westliche Waffenlieferung die Ukraine in eine starke Verhandlungsposition bringen. Das ist ja auch etwas das in jeder Talkshow sei bei hart aber fair, Maischberger, Illner wie sie nicht alle heißen, Tag ein Tag aus immer wieder betont wird. Und derzeit haben wir die Debatte in Deutschland um Taurus Marschflugkörper. Dem hat Olaf Scholz eine Absage erteilt. Die Außenministerin Baerbock will jetzt den Umweg über Großbritannien nehmen und befürwortet einen Ringtausch. Ja wie stehen sie denn Herr Kujat zu dieser häufig getroffenen Aussage, dass die Ukraine über Waffen über westliche Waffenlieferung in ihrer Verhandlungsposition gegen über Russland gestärkt wird.
Nun zunächst muss man sagen, alles das was als Gamechanger, das steht ja dahinter, der Gamechanger bedeutet ja, die die Ukraine werde dadurch in eine Position der Überlegenheit gegen die Russen gebracht, das ist ja alles nicht eingetreten. Alle diese Wunderwaffen, seien es Panzer sei es Artillerie, seien es HIMARS-Mehrfachraketenwerfer, alle haben sich nicht als Wunderwaffen erwiesen und das gleiche wäre auch bei Taurus , wenn er geliefert worden wäre. Es wäre eine enorme Eskalation dadurch entstanden, völlig klar. Das hängt mit den spezifischen Leistungsmerkmalen von Taurus zusammen. Aber der Krieg hätte damit nicht zugunsten der Ukraine verändert werden können.
Das heißt, der entscheidende Punkt ist eigentlich der, bei diesen ganzen Waffenlieferungen ist die Frage, die man beantworten muss, versetzen die Waffenlieferung die Ukraine in die Lage, die strategische Lage zu ihren Gunsten zu verändern. Also aus der Situation eines Angegriffenen herauszukommen. Den Angreifer, so wie die politischen Ziele ja auch sind, aus dem Lande zurückzudrängen, die Krim zu befreien.
Die Antwort ist nein. Im Gegenteil, die Ukraine hat sich mit ihrer großen Offensive enorm verausgabt, hat enorme Verluste erlitten. Die Streitkräfte sind personell überdehnt, die Moral sinkt nach diesem langen, verlustreichen Krieg. Und die Russen machen Geländegewinne, wenn auch nicht im großen Umfang. Das hängt mit ihrer Strategie zusammen. Sie sagen sicherlich, wir haben Zeit. Wir können langsam vorgehen. Wir können Verluste vermeiden. Aber. das muss man ganz
eindeutig sagen, es gibt keine Möglichkeit für die Ukraine die strategische Lage zu ihren Gunsten zu drehen. Und das bedeutet, dass so bitter das für die Ukraine ist, alle diese Waffen Lieferungen haben nicht dazu beigetragen und werden auch nicht dazu beitragen, dass die Ukraine die Oberhand
gewinnt. Das ist leider die Wahrheit.
Das bedeutet, dass es eine Frage der Zeit ist, wann die Ukraine eine militärische Niederlage erleidet.
Wenn man das verhindern will, wenn man die Ukraine retten, verhindern will, dass sie eine militärische Niederlage erleidet, dann kann man das nur dadurch tun indem man einen Waffenstillstand  vereinbart und dem unmittelbar Friedensverhandlungen folgen. Alles andere führt zu dem militärischen Ergebnis und dann gibt es keine Verhandlungen mehr.
Dann ist auch das, was der Bundeskanzler gerade neulich wieder gesagt hat, wir wollen einen Diktatfrieden verhindern, dann kommt genau dieser Diktatfrieden, weil wir nicht bereit waren die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen. Das ist der entscheidende Punkt. Vor dem stehen wir jetzt. Ja
und es ist nur die Frage: können wir noch mit weiteren Waffenlieferungen diesen Zeitpunkt hinauszögern? Ja ,mit dem was jetzt vereinbart wurde in Ramstein vielleicht ein paar Wochen. Ja aber nicht viel länger. Es sei denn, die Amerikaner, der amerikanische Kongress billigt doch dieses 61 Milliarden Paket. dann ist es noch mal einige Monate. Aber letzten Endes wird sich das Schicksal der Ukraine in diesem Jahr entscheiden. Und nach meinem Eindruck eher früher als später.

F:   Sie betonen ja auch immer, dass ein Krieg ein Heer, ein gutes Heer, ein gut ausgebildetes Heer entscheidet und kein Waffensystem. Das ist etwas was Sie immer wieder betonen. Jetzt kam ja kürzlich die die Aussage vom SPD-Fraktionschef Mützenich, der gefordert hat, den Krieg einzufrieren. Erwartungsgemäß hat er dafür viel Gegenwind bekommen. Was halten Sie denn von diesem Vorschlag?

K:   Na ja, ich war überrascht, dass das so kritisiert wurde. Denn dieses Einfrieren des Krieges wird ja in den Vereinigten Staaten schon seit vier Monaten diskutiert und ganz offensichtlich ist es die Strategie, die die Amerikaner den Ukrainern empfohlen haben. Also das, was sie „hold and build Strategie“ nennen, genau das, was Mützenich meint. Die Amerikaner sagen, ihr müsst in die strategische Defensive gehen, Verteidigungsstellungen aufbauen, um die dramatischen Verluste zu reduzieren und um das Territorium zu halten, das noch unter eurer Kontrolle ist. Bedeutet aber auch zugleich, dass zumindest für die vorhersehbare Zukunft der Donbas und andere Regionen, aber die Krim sowieso, die von Russland erobert wurden, abgeschrieben werden. Das muss man ganz klar sagen.
Es ist sogar in der amerikanischen Diskussion der Vergleich mit Korea erfolgt, hier ist ja der Krieg eingefroren worden in einem Waffenstillstand und das hält jetzt seit über 70 Jahren.
Aber die Situationen in Korea und der Ukraine sind überhaupt nicht vergleichbar. In Korea waren die Großmächte, also waren die Vereinigten Staaten und China mit eigenen Truppen vertreten, die
Russen indirekt. Die hatten also ein eigenes Interesse daran, dass es zu einem Einfrieren des Konfliktes kommt, zu einem Waffenstillstand. Dann wurde über diesen Waffenstillstand verhandelt in Paris zwei Jahre lang. Und ein ganz entscheidender Punkt: der Krieg begann am 38 Breitengrad und er endete dort.
Das ist in der Ukraine nicht der Fall. Abgelehnt wird ja das Einfrieren sowohl von Selenski, der mehrfach gesagt hat, also wir wollen weiter offensiv tätig sein, obwohl die ukrainischen Streitkräfte dazu gar nicht in der Lage sind und obwohl sie eigentlich dieses Konzept schon seit einigen Wochen umsetzen. Abgelehnt wird es aber auch von den Russen, weil die Russen sagen, im Grunde genommen verschaffen wir damit der Ukraine nur eine Atempause, die genutzt wird, um die Ukraine wieder aufzurüsten, auszubilden und so weiter. Und dann geht der Krieg weiter. Also die Schlussfolgerung daraus ist, ich würde auf diesen Begriff einfrieren ‒ und zwar auf der Frontlinie so wie jetzt steht ‒ darauf würde ich nicht bestehen. Ich würde sagen, was wir brauchen, ist in der der Tat einen Waffenstillstand, der aber unmittelbar gefolgt sein muss von Friedensverhandlungen. Ein Waffenstillstand allein reicht in der gegenwärtigen Situation nicht aus. Das ist die Situation in der wir uns im Augenblick befinden.
Und warum unmittelbar Friedensverhandlung danach. Weil eben genau das verhindert werden soll, dass die eine oder auch die andere Seite sich regeneriert und dann den Krieg einfach fortsetzt. Dann haben wir sozusagen den unendlichen Krieg in der Ukraine, der irgendwann dann auch das Risiko birgt, dass er sich ausdehnen und zu einem großen europäischen Krieg wird.

F:  4. Mythos
Damit haben sie mir quasi im Grunde schon die Vorlage gegeben für den vierten Mythos. Denn es heißt immer wieder, mit Putin lässt sich nicht verhandeln. Der Krieg muss auf dem Schlachtfeld entschieden werden. Auch das ist eine Aussage, die wir Tag ein Tag aus in den einschlägigen Mainstream Medien lesen können. Verhandlungen sind in der Ukraine ja per Dekret verboten worden. Wladimir Putin hat jetzt kürzlich in einem sehr viel beachteten Interview mit Tucker Carlson gesagt, dass er zu Verhandlungen bereit ist und auch Sie haben schon mehrfach in Interviews ausgeführt, dass damals im April, ich  eine am 9 April 2022, es in Istanbul schon ein Abkommen gab, das Abkommen von Istanbul, wo ein verhandlungsfrieden schon quasi ausgehandelt worden ist. Dieser wurde dann vom Westen aber boykottiert. Wir erinnern uns, dass damals Boris Johnson direkt nach Kiew geflogen ist um Selenski das wieder auszureden und davon zu überzeugen, das auf dem Schlachtfeld zu regeln. Ja was sagen Sie denn dazu? Also kann man mit Putin tatsächlich nicht
über Krieg und Frieden verhandeln?

K:  Zunächst mal: wenn der Krieg auf dem Schlachtfeld entschieden wird, dann wird es die Ukraine, so
wie sie heute besteht, nicht mehr geben. Darüber muss man sich im Klaren sein. Diejenigen, die das sagen, die glauben, dass die Ukraine letztlich Russland besiegen könnte ‒ wir müssen zwei Dinge
unterscheiden. Ich will das noch mal ganz kurz sagen. Es wird einmal gesagt, die Ukraine muss den Krieg gewinnen. Dann wird gesagt, die Ukraine muss militärisch siegen. Das sind zwei verschiedene Dinge. Einen Krieg gewinnt man dann, wenn man die politischen Ziele erreicht, deretwegen man diesen Krieg führt. Das bedeutet für die Ukraine, sie müsste in der Lage sein, die von Russland jetzt besetzten Gebiete zurückzuerobern, die Russen aus dem Land zu treiben, die Krim zu befreien und so weiter. Das halte ich für ausgeschlossen.
Die Frage ist dann die zweite: wäre die Ukraine in der Lage Russland militärisch zu besiegen?
Russland ist, die russischen Streitkräfte sind so massiv überlegen und in vielen Fähigkeitsbereichen verfügen sie wirklich über Fähigkeiten die ihnen erlauben, wirklich ein ganz offensive Kriegführung durchzuführen ‒ ich muss jetzt hier nicht die Hyperschallwaffen erwähnen, sondern beispielsweise die enge Verbindung zwischen Aufklärungssystemen und Wirksystemen, also Waffensysteme die es ihnen erlauben, praktisch innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde, nachdem sie ein Ziel erfasst haben, das auch erfolgreich zu bekämpfen. Hinzu kommt die Luftüberlegenheit, über die Russland verfügt, die es ihn erlaubt, praktisch unbegrenzt ihre Kampfhubschrauber einzusetzen.
Also da muss man wirklich mal sich genau informieren, wie die Verhältnisse der Kampfkraft zwischen Russland und der Ukraine tatsächlich sind. Da liegen Welten dazwischen. Ganz abgesehen
von den personellen Schwierigkeiten der Ukraine.
Das ist das eine. Das ist also, wenn wer behauptet, das muss auf dem Schlachtfeld entschieden werden, das halte ich für völlig unsinnig und auch überhaupt nicht im Interesse der Ukraine, vor allen Dingen nicht im Interesse der ukrainischen Bevölkerung. Das kommt mir überhaupt in der
gesamten Diskussion wo es um Prinzipien geht, um Werte und so weiter, kommt mir das zu kurz, dass nicht an die ukrainische Bevölkerung gedacht wird, sondern dass die vielen hunderttausend Toten einfach hingenommen werden und dass man bereit ist, weitere Tote und Schwerverwundete
hinzunehmen, die Zerstörung des Landes hinzunehmen.
So und jetzt zur anderen Frage. Meine Antwort ist, wenn jemand sagt, mit Putin kann man nicht verhandeln oder will man nicht verhandeln, kann ich nur sagen, Putin hat ja verhandelt. Also das ist ja schon durch die Tatsache widerlegt, dass er nicht nur verhandelt hat, sondern dass er auch durchaus bereit war, ein sinnvolles, auch für die Ukraine, ein sinnvolles Abkommen abzuschließen. Denn die wesentlichen Aspekte dieses Abkommens von Istanbul,  die hat, was die ukrainische Position betrifft, Selenski schon vorher gesagt, vor den eigentlichen Verhandlung. Selenski ist in für mich im Grunde eine unglückliche Figur, eine tragische Figur. Weil er nämlich durchaus bereit war ein für die Ukraine vorteilhaftes Verhandlungsergebnis zu akzeptieren, aber ihm das untersagt wurde und sicherlich auch mit der Zusage Du bekommst alles von uns, was du brauchst, um die Russen zu schlagen. Das hat er nicht übersehen, aber das hat der Westen eben auch nicht übersehen. Ja, diejenigen, die ihn dazu gebracht haben, dieses Abkommen nicht zu akzeptieren, sind davon ausgegangen, dass die Russen zu schlagen wären und das ist eine völlige Fehleinschätzung des Westens gewesen, zumindest der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, aber ich gehe davon aus auch anderer europäischen Staaten. Eine völlige Fehleinschätzung. Die russischen Streitkräfte sind heute wesentlich kampfstärker als vor Beginn des Krieges. Sie sind sogar wesentlich kampfstärker als sie beispielweise während der Zeit des Kalten Krieges in den 80er Jahren waren ‒ und zwar in vielerlei
Hinsicht auch technologisch.
Und wenn dann das will ich vielleicht noch mal bei dieser Gelegenheit einmal deutlich sagen, weil es wird ja dann auch immer gesagt na ja, die haben da diese alten T-60 Panzer und sie haben ja gar nichts mehr. Die Russen kalkulieren eindeutig das Risiko ein, dass es zu einem Krieg zwischen der Nato und Russland kommt und halten erhebliche Bestände zurück, erhebliche Kampfkraft zurück, auch personelle Kampfkraft zurück für diesen Worst Case aus ihrer Sicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Russen nicht die Absicht haben die NATO anzugreifen, sondern dass im Grunde genommen das vermeiden wollen. Aber sie sehen eben auch aufgrund der Bemerkungen wie beispielsweise der von Präsident Macron jetzt, aber auch von anderen westlichen Politikern, sehen sie
dass dort ein, na sagen wir mal, ein Restrisiko besteht, dass es doch zu einer militärischen Konfrontation kommen kann und darauf sind sie vorbereitet. Darauf haben sie auch ihr Kräfte-Dispositiv ausgerichtet. Darüber muss man sich im Klaren sein.
Was jetzt die Verhandlungen betrifft, da ist ja auch in den deutschen Medien ‒ also in den amerikanischen Medien überhaupt nicht, im Foreign Affaires Magazin aber auch bei Responsible Statecraft sind Artikel erschienen, die im Grunde genommen, das bestätigt haben, was auch in ukrainischen Zeitschriften stand, im Zusammenhang mit dem Besuch von Johnson. Jetzt hat ja das Wall Street Journal sogar den Vertragstext in die Hand bekommen. Ja ich weiß nicht, wie ein russisch-ukrainischer Vertrag nach Amerika kommt, aber sie haben ihn bekommen. Es stimmt was sie schreiben, 17 Seiten. Sie haben sehr präzise auch beschrieben was in den Anlagen steht, beispielsweise, dass es in
den Anlagen dieses Vertrag par Obergrenzen für die ukrainischen Streitkräfte angegeben waren.
Das wird sehr genau im Wall Street Journal benannt, dass sie Russen relativ niedrige Zahlen für die Ukraine wollten, die Ukrainer höhere Zahlen. Das sollte dieser Punkt und ein zweiter Punkt nämlich der Details zu der Regelung für den Donbas ‒ also damals waren es ja nur diese beiden Regionen
Luhansk und Donjetzk ‒ sollten in einem bilateralen Gespräch zwischen Selenski und Putin geklärt werden. Auch das wird deutlich in diesem Bericht des Wall Street Journals.
Also alle die Deutschen, die jetzt sagen, es sei nicht wahr, dass es ein solchen Vertrag gab, es sei eine falsche Information und so weiter ‒ ich hoffe jedenfalls, dass der eine oder andere durch die
die Tatsache dass das Wall Street Journal selbst ein parafiertes Exemplar offenbar in der Hand hat, dazu gebracht wird, endlich diese Fehlinformation diese Desinformationen aufzugeben.

F:  5. Mythos
Das führt uns auch direkt zu dem fünften Mythos nämlich der Aussage, dass der Westen keine Kriegspartei ist in diesem Konflikt. Bundeskanzler Olaf Scholz betont ja auch immer wieder wie
wichtig es ist, dass Deutschland keine Kriegspartei wird im Ukraine Konflikt. Und dem gegenüber steht jetzt aber das, was kürzlich in diesem Abhörskandal ans Licht gekommen ist, bei dem hochrangige Bundeswehrsoldaten abgehört worden sind. Man kann das Gespräch auch nachhören, sind knapp 37 Minuten. Und sie führen da doch sehr brisante aufschlussreiche Details auf, wie beispielsweise, dass US-Soldaten bereits sich in Zivil in der Ukraine befinden, aber auch britische Soldaten sollen vor Ort sein. Und es wird ganz offen über einen Anschlag auf die Kertschbrücke, auf die Krimbrücke gesprochen und auch darüber wie man das ganze vertuschen kann.
Herr Kujat wie sehen Sie das? Denn ist dieses Gespräch der Beweis für Sie dass Deutschland, der Westen Kriegspartei ist?

K:  Für mich war vorher schon klar, dass die Beteiligung, die deutsche Beteiligung, ob nun aus Deutschland oder aus der Ukraine heraus, das spielt dabei keine Rolle, dass die Beteiligung an der Planung und Vorbereitung der einzelnen Einsätze der Schritt ist, von der „Nicht-Kriegsbeteiligung“ hin zur
Kriegsbeteiligung. Das ist für mich ganz, ganz eindeutig und ich glaube, das ist auch die Erkenntnis, zu der der Bundeskanzler gekommen ist und deshalb habe ich seine Entscheidung so kommentiert. Ich habe gesagt, das wiederhole ich hier heute, ich halte sie für strategisch absolut zutreffend.
Ich sehe sie im völligen Einklang mit unseren nationalen Sicherheitsinteressen, das ist der Punkt Kriegsbeteiligung ja oder nein und diese Entscheidung lässt keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit aufkommen. Das ist ein Punkt, der ja in der öffentlichen Diskussion überhaupt nicht stattfindet.
Ich erinnere daran, dass der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten am 18 März 2022 gesagt hat, Waffenlieferungen ist keine Kriegsbeteiligung, aber bereits die Ausbildung von ukrainischen Soldaten an diesen Waffen, mit dieser Ausbildung verlässt man den
gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung. Das halte ich für eindeutig.
Ich weise auch darauf hin, gerade im Zusammenhang mit der TAURUS-Geschichte, dass das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen eindeutig definiert hat, was denn eine Kriegsbeteiligung wäre. Ich will das jetzt hier nicht wörtlich wiederholen, weil ich den genauen Wortlaut nicht im
Kopf habe, aber ich es sind die Exurteile, das letzte ist glaube ich von 2008 sogar, indem das ganz präzise definiert wird. Also und ich sehe das auch in so wie das Bundesverfassungsgericht das festgelegt hat, das heißt eine Entscheidung des Bundeskanzlers Taurus zu liefern, hätte zwangsläufig zu einem neuen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geführt und es wäre das Ergebnis herausgekommen, was ich auch erwarte. Nämlich, dass es so nicht zulässig ist.

F:   Nun, jetzt gab’s ja auch einige Experten, Analysten, die gesagt haben, im Zuge dieses Abhörskandals, wie er hier in Deutschland genannt wird, es eigentlich zu einem Rücktritt von Pistorius kommen müsste. Einige haben auch gesagt, dass Ingo Gerhartz, der immerhin der Chef der Luftwaffe ist, und der das Gespräch auch initiiert hatte, dass dieser entlassen werden müsste. Wie sehen Sie das denn? Stimmen Sie dem dazu oder sehen Sie das anders?

K:    Also ich kann deshalb dazu keine Stellung nehmen. weil man müsste den direkten Vergleich haben, zwischen dem, was in diesem Video oder in diesem abgehörten Gespräch gesagt wurde und dem was das Briefing am letzten Montag im Verteidigungsausschuss in geheimer Sitzung ergeben hat.
Man müsste dazu in der Lage sein, das direkt miteinander zu vergleichen. Nur so kann man diese Frage beantworten.

F:  6. Mythos
Dann kommen wir noch auf den sechsten Mythos zu sprechen es wird ja immer wieder gesagt, unsere Medien berichten frei und unabhängig über den Ukrainekrieg. Russland wiederum betreibt
Propaganda. Gleich nach Kriegsausbruch wurden russische Medien in der EU verboten Russia Today und Sputnik sind seitdem hier nicht mehr zu empfangen und ja zahlreiche Politiker die für einen Verhandlungsfrieden sind, denen wird unterstellt, dass sie russische Propaganda betreiben. Und, Herr Kujat, auch sie waren lange Zeit ein gern gesehener Gast in den Mainstream Medien. Ich erinnere mich noch, als ich sie damals in den bekannten Talkshows gesehen habe. Das ist seit Ausbruch des Krieges seit dem 24 Februar nicht mehr so. Also wie verfolgen sie das Herr Kujat als  ausgewiesener Experte?

K:  
Wir haben ja eben gerade gesprochen, ob Deutschland ein kriegsbeteiligtes Land ist. Sehen Sie, wir haben ja im Grunde genommen drei verschiedene Kriege. Wir haben den militärischen Konflikt, der in der Ukraine stattfindet. Wir haben einen Wirtschaftskrieg, an dem wir beteiligt sind, das ist glaube ich, unzweifelhaft und wir haben ein Informationskrieg. Und in dem Informationskrieg sind wir auch Kriegsbeteiligte
Das ist keine Entwicklung, die einem zusagen muss als Demokrat und wenn man meint, die Werte der deutschen Verfassung hochhalten zu müssen. Aber es ist offensichtlich eine Realität, dass wenn man glaubt, sich in einem Krieg zu befinden, in einer Auseinandersetzung ‒ Frau Baerbock hat das ja sogar selbst gesagt, wir führen Krieg gegen Russland, ja vielleicht hat sie unfreiwillig etwas ausgesprochen, was tatsächlich so gesehen wird in der Bundesregierung. Man weiß das ja nicht also ‒ das heißt aber wir fühlen uns zumindest, auch unsere Medien. da habe ich manchmal den Eindruck, die haben das Gefühl. Den dass die Befindlichkeit, wir befinden uns im Krieg mit Russland, ja in zumindest in diesem Informationskrieg und ich halte es für einen demokratischen Staat für eine offene Gesellschaft nicht ….
Ich erinnere jetzt mal an das Buch von Poppa “die offene Gesellschaft und ihre Feinde”. Wenn es danach ginge, dann wüsste ich wo diese Feinde der offenen Gesellschaft im Augenblick zu suchen sind. Aber wir können offensichtlich die Wahrheit nicht ertragen, weil sie uns wahrscheinlich verunsichern würde in diesem Informationskrieg. Das ist, wir kennen, ‒ also im Zweiten Weltkrieg hieß das hier, Feindsender darf man nicht hören ja oder der Feind hört mit und so wurde diese Propaganda gepflegt ‒ heute ist es etwas anders. Wir haben ja auch ganz andere Medien. Aber im Prinzip ist es eben tatsächlich so, der Versuch hier geschlossen zu handeln. Neulich hat auch ein führender Politiker gesagt, in diesem Krieg kommt es auf Einigkeit und Geschlossenheit an, dann gewinnt man den Krieg. Ja, das mag ja sein, dass man das glaubt. Ich glaube, dass man Kriege dann gewinnt, wenn man eine starke Armee hat, aber das ist eine andere Geschichte. Tatsächlich ist es so, dass wer auch nur ein wenig abweicht, von dem was in Tagesthemen und Heute und Tagesschau so produziert wird, der wird einfach nicht zugelassen. Den lässt man nicht zu Wort kommen. Wahrscheinlich auch, ich sage jetzt mal etwas provozierend, ist man sich seiner Sache nicht so sicher, dass man eine abweichende Meinung zulassen könnte. Wäre man sich seiner Sache sicher, dann könnte man ja sagen, wie Hegel, denn das zitiere ich ja immer wieder, gesagt hat
“das Ganze ist die Wahrheit”. So gehört es sich auch eigentlich für eine offene pluralistische Gesellschaft, dass sie eben die ganze Wahrheit berichtet und dem Bürger die Möglichkeit gibt. Auch die im plattdeutschen übrigens denn ich war eine Zeit lang in Schleswig-Holstein stationiert, da heißt es
eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede, du musst sie billig hören, Bede genau. Genau das ist im Grunde ein Grundsatz der bei uns mit im Grunde ‒ ich sage jetzt mal vorsichtig, hatte ein anderes Wort jetzt auf der Zunge ‒ der bei uns nicht eingehalten wird und das finde ich äußerst bedauerlich.
Aber der entscheidende Punkt ist und das muss ich vielleicht doch noch erwähnen. Dabei man könnte auch mit dem leben, wir haben ja häufiger in Gesellschaften gelebt in der Vergangenheit, bei
denen das so war. Sind zwei Aspekte dabei. Diese Art der einseitigen Darstellung führt bei uns auch in der Politik zu falschen Entscheidungen. Denn die Politik hängt heute eben nicht nur ab von der Beratung, von ihren eigenen Experten, sondern die heutige Politik in einer Demokratie achtet natürlich sehr sorgfältig darauf wie die öffentliche Meinung ist, wie die veröffentlichte Meinung ist. Weil das alles natürlich auch Auswirkungen auf die Wahlchancen hat. Das heißt also, wir geben, wenn wir beeinflussen, die Entscheidungen der Bundesregierung in einer unzulässigen Weise, weil sie eben eine einseitige Beeinflussung ist aber es kommt noch ein weiteres hinzu.
Wir nehmen im Wesentlichen ja die Information auch Desinformation auch aus der Ukraine auf.
Und das bedeutet, wenn Sie hier sozusagen gespiegelt werden, durch Experten, die sagen, ja wir müssen das tun, die Ukraine kann gewinnen, oder wie neulich ein Politiker sagte, die Ukraine wird gewinnen, weil sie gewinnen muss ‒ das ist so ein bisschen schon wie Voodoo, das ist ja nicht Politik das ist ja wie Voodoo, schon ja das fällt natürlich zurück, auch in die Ukraine und die auch die ukrainische Führung fühlt sich dadurch bestätigt durch die deutschen Experten durch die deutschen
Medien durch die deutsche Politik. Und das finde ich fatal für die Ukraine und das hat sich bisher auch als fatal erwiesen, All diese ich nenne nur das Beispiel der Hoffnung, die wir geweckt haben,
mit den Wunderwaffen, die wir liefern, die zu Entscheidung geführt haben, beispielsweise in sich der großen Offensive, die sich als völlig verfehlt herausgestellt haben später, als unsere Ziele geführt haben, die unerreichbar waren.
Das ist in einem Krieg fatal, wenn man nicht realistisch seine eigenen Möglichkeiten und die Ziele miteinander in erblickt. Diese strategische Zweckmittel-Relation ist extrem wichtig und wir tragen dazu bei, dass die Ukraine dort häufig falsch liegt

F:  7. Mythos
Herr Kujat dann kommen wir mal zu unserem zum siebten Mythos und letzten Mythos und der lautet, wenn Putin die Ukraine einnimmt, dann greift er als nächstes das Baltikum an und greift womöglich auch NATO-Staaten an, das ist jetzt eine Aussage, die man auch Tag ein Tag aus hört. Und
Putin hat ja kürzlich in dem Interview mit Tucker Carlsen gesagt, dass er ein NATO-Staat nicht angreifen würde, weil er sagt das würde den Dritten Weltkrieg bedeuten. Dennoch bereiten sich die Staaten im Baltikum auf einen Krieg mit Russland vor. Schweden schwört seine Bürger auf einen Krieg mit Russland ein und auch bei uns sagt man, man muss wieder kriegstüchtig werden.  Ich glaube Habeck hat jetzt gerade heute erst gesagt, wir befinden uns hier Mitte März, dass wir uns auf einen Landkrieg mit Russland vorbereiten müssen. Also wie schätzen Sie das ein herr Kujat?  Ist das ist das alles nur Rhetorik was da geschieht oder ist da tatsächlich was dran? Und was sagen
sie auch um diesen letzten Mythos letztendlich noch zu beantworten zu dieser Aussage, dass Putin wenn er sich die Ukraine genommen hat danach noch das ganze Baltikum und Resteuropa nimmt.

K:  
Zunächst mal würde ich vielleicht sagen, dass die baltischen Staaten immer sozusagen unter einer besonderen Anspannung leben. Das halte ich für einleuchtend. Das hängt einfach mit der Geschichte zusammen. Die baltischen Staaten sind erst 1917 unabhängig geworden. Sie sind dann mit deutscher Hilfe, Hitler-Stalinpakt dann wieder unter die russische Knute gekommen. Sie haben eine Geschichte die sich zum Teil sehr stark im Zweiten Weltkrieg, z.B. haben sehr viele Balten in der
Wehrmacht gedient, nach 1945 dann sehr viele Balten in der russischen Armee gedient.
Das führt zu einem Spannungsverhältnis in der Politik der baltischen Staaten, die ich verstehe. Ich habe das ja selbst erlebt. Ich bin schon 1994 im Oktober in den baltischen Staaten gewesen um auszuloten wie wir Sie unterstützen können. Damals waren noch die russischen Truppen im Land. Ich habe ein Gefühl dafür. Es kommt hinzu, dass es ja sehr starke russische Minderheiten gibt, zwischen 25 und 35% in den drei baltischen Staaten. Und die baltischen Staaten sind sich durchaus auch der sogenannten Medwedew-Doktrin von 2008 bewusst wo Medwedew gesagt hat, das ist sozusagen eine nationale Aufgabe. Ich weiß es nicht im Wortlaut genau, aber der Schutz von russischen Staatsbürgern, ganz gleich in welchem Land Sie sich befinden, das ist unsere Aufgabe, unsere höchste Verpflichtung.
Also insofern kann ich das verstehen.
Ja die Realität sieht aber anders aus. Putin hat mehrfach gesagt, das kommt überhaupt nicht in Frage, das ist so völlig abwegig. Wie z.B. auch ‒ denn, es wird ja immer gesagt, er drohe mit Nuklearwaffen ‒ Putin hat auch gesagt, wir sind doch nicht verrückt, wir wissen, was ein Nuklearkrieg bedeutet. Ist das eine Drohung mit Nuklearwaffen? Also wenn ich das jetzt so sage, wird das natürlich wieder als Putinversteher, werde ich da in diese Kategorie gepackt. Aber man muss der Realität ins Auge sehen. Voraussetzung für einen wirklichen Angriff, einen
konventionellen Landstreitkräfte-Angriff auf NATO-Staaten wäre, dass Russland die Ukraine völlig besetzt. Ich habe dazu noch vor Beginn des Krieges im Januar 2022 die beiden Optionen die Russland hat, beschrieben. Die eine Option nämlich, nur die von russischsprachigen Bürgern besetzten Gebiete zu erobern, also Donbas und natürlich die Krim zu halten oder aber die gesamte Ukraine zu erobern. Und ich habe damals schon gesagt, das halte ich für ausgeschlossen. Der Aufwand, der damit betrieben werden müsste, also an Streitkräften, ist enorm groß. Aber auch dann als Besatzungsmacht. Sie müssen einfach mal vergleichen, die russische Besatzungsmacht in der DDR. 300 000  Mann standen da. Wie viele wollen sie denn einsetzen, um die gesamte Ukraine unter Kontrolle zu
behalten.
Und das zweite ist, ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Russen vor allen Dingen darin interessiert sind, ein Art Cordon Sanitär, eine Pufferzone zwischen sich und der NATO einzurichten, um zu verhindern, dass es aufgrund eines technischen oder menschlichen Fehlers zu einer Eskalation
kommt, die nicht mehr kontrollierbar ist und danach ein Krieg entsteht.
Wenn sie die ganze Ukraine besetzen würden, dann würden sich ja NATO und Russland Auge in
Auge gegenüberstehen. Und das ist natürlich jetzt, durch den Beitritt Finnlands tatsächlich der Fall.
Aber Finnland ist eine völlig andere Situation für Russland. Dann sage ich noch dazu, wenn diese Absicht bestünde oder von Anfang an bestanden hätte ‒ ich gehe davon aus, dass Russland einen
langfristigen Plan verfolgt ‒ warum greift Russland dann mit 190 000 Mann eine ukrainische Armee an die mehr als 400 000 Mann stark ist, vom Westen ausgebildet und ausgerüstet ist. So dumm
sind selbst die Russen nicht.
Und letzter Punkt dazu: in den Istanbuler Verhandlungen haben die Russen angeboten, dass sie als Zeichen des guten Willens ihre Streitkräfte, die aus Weißrussland überwiegend aber auch zum Teil im Norden der Ukraine bis nach Kiew vorgedrungen waren, zurückziehen. Die ukrainischen Streitkräfte haben in dieser Zeit auch mit einer Gegenoffensive begonnen, aber die Russen haben eben tatsächlich dieses Angebot gemacht und haben es auch getan. Im Westen wird das immer als große Niederlage der Russen verbreitet. Aber tatsächlich kamen hier beide Dinge zusammen. Russland hat dies tatsächlich wahrgemacht. Warum hätte Russland denn das, was sie bereits besetzt hatten, aufgeben sollen, wenn sie doch die gesamte Ukraine besetzen wollen.
Also ich sehe diese Diskussion unter zwei Gesichtspunkten: der erste Gesichtspunkt ist der, sie ist entstanden, nachdem die ukrainische Offensive gescheitert war. Da ist selbst dem Dümmsten klar geworden, dass der militärischer Sieg der Ukraine ausgeschlossen ist.
Um aber weiter die Unterstützung sicherzustellen, hat man dann diese Begründung eingeführt.
Das zweite ist, dass man auch damit im Grunde begründen wollte, insbesondere in Deutschland, da wird diese Diskussion vor allen Dingen geführt ‒ in Amerika im Übrigen nicht ‒ da muss man immer dazu sagen, das das eine rein europäische vor allen Dingen aber auch eine deutsche Diskussion ist, die hier geführt wird. Und hier wird dieses Argument eben auch angeführt, um die Umberüstung sozusagen, die neue Ausrüstung der Bundeswehr, sie zu befähigen zur Landes- und Bündnisverteidigung, um die zu begründen. Wobei ich sage, das muss man ja gar nicht begründen. Wir brauchen diese Kriegshysterie überhaupt nicht. Wir müssen eigentlich nur das tun, was die Verfassung von uns verlangt.

F:  Wenn jetzt hier ein Roderich Kiesewetter oder Strack Zimmermann an meiner Stelle sitzen würde. Dann würden die wahrscheinlich ihre Aussage aufgreifen, dass sie gerade gesagt haben, Putin hat ja gesagt er würde die baltischen Staaten nicht angreifen, dann würden Sie sagen, ja aber Putin hat
ja auch gesagt er würd die Ukraine nicht angreifen und ist trotzdem am 24 Februar einmarschiert
Also Herr Kujat sind sie da in dieser Hinsicht nicht ein wenig naiv?

K:   Ich hoffe nicht, dass ich naiv bin. Ich versuche jedenfalls so realistisch wie möglich zu sein. Also man muss natürlich immer sagen, das schwierigste bei der Vorhersage der Zukunft, ist die Vorhersage der Zukunft und ich nehme nicht für mich in Anspruch, dass ich weiß was in fünf oder sechs Jahren der Fall ist. Natürlich hängt alles von der Entwicklung von der beiderseitigen Entwicklung ab und natürlich können sich auch Ziele politische sicherheitspolitische Ziele ändern. Ich wäre ja vermessen, wenn ich sagen würde, ich habe sozusagen die die absolute Kenntnis darüber, was tatsächlich in den nächsten fünf oder sechs Jahren geschieht. Aber ich beurteile die Situation aufgrund der gegenwärtig verfügbaren Fakten. Ja und ich rate dazu auch in einer solchen Situation auch in Zeiten des Informationskrieges die Ansichten und die Aussagen der anderen Seite mit zu berücksichtigen. Das ist das ein ganz entscheidender Punkt dabei. Weil, wenn ich das nicht mache, wenn ich nur meiner eigenen Fantasie freien Lauf lasse, dann komme ich wahrscheinlich zu ganz falschen Schlüssen. Und das ist gerade in der gegenwärtigen Diskussion häufig der Fall. Und wenn wir über Fakten sprechen, dann müssen wir auch über die  Tatsache sprechen, dass jetzt kürzlich Schweden das 32 Mitglied der NATO geworden ist. Auch Finnland ist Mitglied der NATO geworden, wodurch die Grenze von Russland zu den NATO-Staaten noch mal um einige Tausend Kilometer vergrößert hat.

F:   Das wird von den Meinungsführern im Westen dahingehend als Niederlage für Putin interpretiert. Schließen sie sich dies dieser Interpretation an?

K:   Ich habe ja vorhin gesagt, ich differenziere zwischen dem politischen Gewinn eines Krieges aus politischen Gründen und einem militärischen Sieg oder einer militärischen Niederlage. Wenn wir von einem politischen Gewinn des Krieges sprechen, dann sage ich, politisch kann weder Russland diesen Krieg gewinnen, noch die Vereinigten Staaten und schon gar nicht die Ukraine. Und da gehört natürlich dazu, wenn ich jetzt von Russland spreche, dass die Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens in der NATO ein schwerer Rückschlag ist. Das kann man ja gar nicht leugnen.
Aber genauso man dann auch sagen, die Ukraine wird ihre politischen Ziele auch nicht erreichen.
Sie wird nicht das gesamte Land von russischer Besatzung befreien können und sie wird auch nicht Mitglied der NATO werden können. Und es wird auch nicht möglich sein dass auf Dauer fremde Truppen auf ukrainischem Boden stationiert sind. All das ist nicht möglich und den Vereinigten
Staaten wird es auch nicht gelingen, die Ukraine weiterhin zu einem Vorposten amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik zu machen. Also auch alle drei von mir benannten Staaten werden den Krieg nicht gewinnen.

F:   Herr Kujat zum Abschluss: in letzter Zeit hat man ja so ein wenig das Gefühl, dass die Stimmung am Kippen ist. Wir haben gerade schon über dem SPD Fraktionschef Mützenich gesprochen, der davon gesprochen hat, dass man den Krieg einfrieren muss und auch der Papst hat sich geäußert, gesagt, wir müssen die weiße Flagge hissen und hat sich für Friedensverhandlung ausgesprochen.
Also man hat so ein wenig den Eindruck, dass immer mehr auch im westlichen Mainstream ankommt, dass diese Spirale der ständigen Aufrüstung sowohl rhetorisch als auch tatsächlich militärisch uns nicht weiterbringt. Wie sehen Sie das denn? Glauben sie, dass da jetzt wirklich im Zuge der sich abzeichnenden militärischen Niederlage der Ukraine ist womöglich doch noch zu Friedensverhandlung kommen können?

K:  Ich hoffe das sehr. Also wenn man wirklich eine katastrophale militärische Niederlage der Ukraine verhindern will, dann geht das nur auf eine Weise: nämlich indem man so schnell wie möglich ein
Waffenstillstand und Friedensverhandlungen mit Russland vereinbart. Die Alternative ist eben nur diese eine. Es gibt nur diese eine Alternative und die bedeutet Niederlage, militärische Niederlage, mit allen Konsequenzen, die das bedeutet. Aber auch unter Einschluss der vielen Opfer, die bis dahin noch entstehen werden und der Zerstörung des Landes, die weiter fortschreitet.
Das ist nach wie vor meine Einschätzung und ich sage auch das Fenster für Verhandlungen schließt sich langsam, Tag für Tag. Es wird immer schwieriger. Je länger dieser Krieg dauert, desto schwächer wird die Verhandlungsposition der Ukraine. Es tritt genau das Gegenteil ein was viele behaupten. Ich sehe durchaus die Möglichkeit, nach wie vor die Möglichkeit, dass es zu Verhandlung kommen kann. Dazu muss vor allen Dingen auch in Kiew eine Einsicht Platz greifen, dass es in erster Linie, nicht um wenige Quadratkilometer Land geht, sondern es geht um die Zukunft des ukrainischen Volkes. Wenn das verstanden wird, dann wird es eine ganz andere Herangehensweise an diese Frage geben.
Ich habe den Eindruck dass sich China tatsächlich darum bemüht, wieder Verhandlungen in Gang zu bringen oder präziser gesagt die Verhandlungen in Istanbul dort fortzusetzen wo sie beendet  wurden. Und die Äußerung die beispielsweise Präsident Erdogan gemacht hat, aber auch die die sein Außenminister gemacht hat kürzlich, indem er gesagt hat, wir wollen die Verhandlungen wiederbeleben. Das stimmt mich eigentlich optimistisch. Also würde ich gerne unser Gespräch mit diesem optimistischen Ton beenden und sagen lasst uns doch hoffen, dass das tatsächlich die Vernunft Platz ergreift und dass es dazu kommt. Und da könnte eben auch gerade Deutschland, der deutsche Bundeskanzler eine entscheidende Rolle spielen, der in wenigen Wochen nach China fahren wird.
Er könnte Xi Jinping bestärken in dieser Absicht und könnte dafür werben und nicht nur werben, für die weitere Unterstützung der Ukraine, für die weitere Lieferung von Waffen. Das kann durchaus auch vernünftig sein, solange bis es tatsächlich dann zu Verhandlung kommt. Vorausgesetzt die Ukraine und wir alle sind uns über die tatsächliche Lage und die Aussichten im Klaren, dass es eben nicht zu einer völligen Umkehrung der strategischen Lage zu Ungunsten der Ukraine kommen kann, sondern dass die das Schicksal der Ukraine sich in diesem Jahr entscheiden wird ‒ wahrscheinlich eher in den nächsten Monaten als am bis zum Ende des Jahres Und wenn wir das verhindern wollen, wenn wir die Ukraine retten wollen, dann müssen wir in der
Tat dafür eintreten, dass es zu Verhandlungen kommt. Der Ansatz dazu ist von China gemacht, der Bundeskanzler sollte sich dem Anschließen. 

F:   Herr Kujat, mit diesem klaren abschließenden Statement bedanke ich mich vielmals bei Ihnen für Ihre Zeit und wünsche ihnen jetzt für diese verrückte Zeit in der wir leben alles Gute. Bleiben sie wohlauf.

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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