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Gregor Gysi: „Es gibt auf dem Arbeitsmarkt eine Art Altersrassismus“
- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker – unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Leserinnen und Lesern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Von Linke-Politiker Gregor Gysi erwarten sie unter anderem Antworten auf ihre Fragen zu Rente, Vertrauen in die Politik – und Sahra Wagenknecht.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Gregor Gysi (Die Linke), Ralph Brinkhaus (CDU/CSU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Alice Weidel (AfD), Kevin Kühnert (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) haben sich jeweils bereit erklärt, zehn Einsendungen unserer Leserschaft zu beantworten, die wir aus der Vielzahl von Fragen ausgesucht haben.
Linke-Politiker Gysi interessieren die Leserinnen und Leser vor allem die Themen Armut und Rente, Vertrauen in die Politik – und Sahra Wagenknecht.
„Was möchte Ihre Partei gegen den Pflegenotstand und für die pflegenden Angehörigen tun?“
Jens, Recklinghausen, 55, arbeitssuchend bzw. pflegender Angehöriger
Gregor Gysi: Das A und O ist, dass die Pflegenden endlich angemessen bezahlt werden. Das gilt auch für die pflegenden Angehörigen, für die es großzügigere Regelungen bei Arbeitsfreistellung und Entlastung in der Pflege geben muss. Lob reicht nicht, wenn man die Lücke bei den Pflegekräften schließen will. Dazu gehört für mich, dass man wie im Krankenhaus mit der Gesundheit auch mit der Pflege von Menschen keinen Profit machen darf. Wenn 43 Prozent aller Pflegeeinrichtungen in Konzernhand sind, heißt das, dass fast die Hälfte der Pflege in Deutschland auf Profitmacherei ausgerichtet ist. Schon wenn diese Unternehmensgewinne nicht an Aktionäre, sondern in Personalausstattung und Pflegematerial flössen, wendete sich vieles zum Besseren, ohne dass die Heimkosten explodierten.
„Wird aus Ihrer Sicht der Immobilienmarkt unter den weiter anhaltenden Spekulationsmechanismen zusammenbrechen und wenn ja, welche Auswirkungen sehen Sie dann auf die Menschen beziehungsweise den Finanzmarkt zukommen?“
Steffen, Leipzig, 38, Logistiker
Gysi: Das ist schwer vorherzusehen, aber Spekulation mit einem Grundrecht, das für mich das Recht auf Wohnen ist, verbietet sich von selbst. Um dem einen Riegel vorzuschieben, braucht es einen bundesweiten Mietendeckel, die Vergesellschaftung von großen Wohnungskonzernen und steuerliche Regelungen, die Spekulation mit Grund und Boden unattraktiv und das Bauen von Wohnungen zu erschwinglichen Mieten attraktiv machen.
„Unterstützen Sie den Wunsch vieler Bürger nach einem bedingungslosen Grundeinkommen? Wenn ja, wie würden Sie es umsetzen?“
Indoha, Berlin, 56, Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit
Gysi: Gerade vor den Herausforderungen der Digitalisierung und auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise ist die Frage dringender denn je, wie mit solchen Situationen und der Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft durch weitgehende Automatisierung und Roboterisierung sowie durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz umgegangen werden soll. Das Grundeinkommen könnte eine Antwort sein. Das Finanzierungsvolumen betrüge etwa eine Billion Euro im Jahr, die zunächst eingenommen und dann verteilt werden müssten. Ein Volumen von fast drei Bundeshaushalten, ein knappes Drittel des Bruttoinlandsproduktes. Das macht die Größe der Aufgabe deutlich, die nicht wirklich kleiner wird, selbst wenn man die Höhe des Grundeinkommens reduzierte, was ohnehin nur in einem beschränkten Umfang möglich sein dürfte, wenn es wirklich als gesellschaftliche Kompensation für ersetzte menschliche Arbeit funktionieren soll. Außerdem entfielen auch die Arbeitslosen- und die gesetzliche Rentenversicherung, was zu groben Ungerechtigkeiten führte. Dafür eine gesellschaftliche Mehrheit zu gewinnen, scheint mir absehbar eher schwierig zu sein.
Ich sehe deshalb die Arbeitszeitverkürzung als eine Form der Weitergabe der Produktivitätszuwächse, also mit Lohnausgleich, und eine gesamtgesellschaftliche Offensive zur Nutzung des freigesetzten Arbeitskräftepotenzials für den umfassenden Dienst am Menschen – auch und gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung – als sinnvollere und für die Menschen Sinn stiftende Alternative zum Grundeinkommen. Egal welche Lösung man bevorzugt – sicher gibt es auch noch andere –, man wird um eine vergleichsweise radikale Umwälzung nicht herumkommen und muss dabei die soziale Frage in Deutschland, Europa und weltweit in den Mittelpunkt stellen, zumindest wenn wir die Demokratie und den sozialen Zusammenhalt erhalten wollen.
„Laut der offiziellen Armutsstatistik der Bundesregierung haben wir mittlerweile circa 13 Millionen Arme in Deutschland. Würde man realistischere Lebenshaltungskosten ansetzen, wäre die Zahl sicher noch höher. Wir sind daher ein reiches Land mit vielen armen Bürgern. Daher meine Frage: Wie würden Sie dieses Problem zu lösen versuchen?“
Harald, Niedersachsen, 50, IT-Fachmann
Gysi: Bertolt Brecht dichtete schon 1934: „Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“ Ohne mehr Steuergerechtigkeit, die die Bestverdienenden und Vermögenden mehr als bisher zur Finanzierung von Bildung, Gesundheit, sozialen Leistungen, öffentlicher Daseinsvorsorge und Infrastruktur heranzieht, wird dies so bleiben. Zudem muss der Mindestlohn endlich auf ein Niveau angehoben werden, dass die Menschen im Alter nicht von Armut bedroht sind. Das wären heute 13 Euro pro Stunde. Und natürlich müssen Frauen für die gleiche Arbeit in gleicher Arbeitszeit genauso viel verdienen wie Männer. Das Gleiche gilt für die Arbeit in Ost und West.
„Die Deutsche Rentenversicherung ist aufgrund der demografischen Entwicklung bald zahlungsunfähig. Haben Sie ein Konzept, um unser Rentensystem zu retten – ohne Steuererhöhung, ohne ‚Erschießung von Reichen‘ und ohne Enteignung?“
Ulrich, Mannheim, 72, Rentner
Gysi: Die Rentenversicherung muss und kann reformiert werden. Alle mit Erwerbseinkommen müssten in die Rentenversicherung einzahlen, also auch Politiker, Manager, Rechtsanwälte, Selbständige und auch die Beamten. Die Beitragsbemessungsgrenzen müssten aufgegeben werden. Der Rentenanstieg Bestverdienender wäre abzuflachen.
„Viele ehemalige Linken-WählerInnen sind wegen spaltender Aussagen von Sahra Wagenknecht zu den Grünen gewechselt. Wie möchten Sie diese zurückgewinnen?“
Steve, Mülheim an der Ruhr, 32, Staatlich examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger
Gysi: Man ist immer gut beraten, wenn man in Parteien auf das schaut, was dort die Mehrheiten beschlossen haben, und weniger auf das, was Einzelne sagen. Danach hat Die Linke das sozial gerechteste, klimapolitisch konsequenteste und friedliebendste Wahlprogramm. Viele Grün-affine Wählerinnen und Wähler bemerken das gerade, wenn sie sich im Wahl-O-Mat und vergleichbaren Programmen testen. Ich hoffe, dass es zu einem Umdenken führt.
„Inwieweit können Sie sich eine Koalition mit der SPD und den Grünen unter Führung einer Kanzlerin Baerbock vorstellen?“
Andreas, Niedersachsen, 48, Verwaltungsfachwirt
Gysi: Ich kann mir vieles vorstellen. Entscheidend ist, dass es zunächst einmal arithmetisch für eine Mitte-Links-Mehrheit reichen muss. Dafür müssen wir noch einiges tun. Und dann wird man sehen, ob die drei Parteien anders als 2005 und 2013 die Chance auch ergreifen und dem Land einen neuen sozial gerechten, ökologisch nachhaltigen und im Äußeren und Inneren friedlicheren und Polarisierungen abbauenden Schwung geben wollen und können. Voraussetzung dafür ist eine gesellschaftliche Stimmung, die auf eine solche Änderung drängt.
„Inwieweit glauben Sie, haben Politiker den letzten Rest an Vertrauen eingebüßt? Damit sind nicht nur die Skandale der letzten Wochen bezüglich Schutzmasken, Wirecard und vieles mehr gemeint. Es ist eher der Eindruck, dass sich auch innerparteilich trotz gröbster Verfehlungen niemand mehr etwas von seinen Parteigenossen sagen lassen muss. Es ist wohl keine Strafe zu befürchten, die eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“
Michael, Dortmund, 59, Fachwirt für Versicherungen
Gysi: Ich finde, man muss da schon differenzieren. Was Sie beschreiben, erlebt man vor allem bei CDU und CSU und auf die Parteispenden bezogen bei der AfD. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die CDU einen korruptionsbelasteten Politiker wie Philipp Amthor als Spitzenkandidat in Mecklenburg-Vorpommern aufstellt oder Andreas Scheuer als vollkommen untauglicher Verkehrs- und Digitalminister die gesamte Legislaturperiode im Amt bleibt. Angela Merkel kann man dergleichen nicht nachsagen, aber sie hat es als Kanzlerin und CDU-Vorsitzende zugelassen. Das hat zweifellos den Ruf der Politik weiter beschädigt und Glaubwürdigkeit gekostet. Vertrauen kann nur durch ehrliche und harte Arbeit zurückgewonnen werden.
„Ich bin 54 Jahre alt und seit Jahren arbeitssuchend (gut ausgebildeter Maschinenbautechniker). Nach einem Jahr Weiterbildung als Projekt- und Qualitätsmanager und in Businessenglisch (alles vom Steuerzahler bezahlt) hatte ich nur zwei Telefongespräche. Viele Stellenbewerbungen werden gar nicht beantwortet. Liegt es an Corona? Vermutlich mehr am Alter. Ab 50 ist man auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr zu gebrauchen. Und jetzt meine konstruktive Frage: Warum ist der Staat nicht in der Lage, seinen Bürgern, welche 30 Jahre Steuern gezahlt haben, einen Job (beispielsweise bei der Stadt) anzubieten. Nach zwei Jahren erfolglosem Bewerbungsschreiben fühlt man sich gedemütigt, ausgeschlossen und nicht mehr der Gesellschaft zugehörig. Ich lebe übrigens vom Verdienst meiner Frau und bekomme vom Staat keinen einzigen Cent. Ist das gerecht?“
Marco, Schorndorf, 54, arbeitssuchend
Gysi: Es gibt ohne Zweifel auf dem Arbeitsmarkt eine Art Altersrassismus. Auf der einen Seite fordern die Arbeitgeber, man solle am besten bis 70 arbeiten, andererseits stellen sie Menschen jenseits der 50 kaum noch und jenseits der 60 gar nicht mehr ein. Wir schlagen schon seit Langem vor, dass der Staat einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einrichtet, in dem Menschen nach Tariflohn gesellschaftlich wichtige Arbeit verrichten, für die sich das Kapital nicht interessiert, weil die Rendite nicht hoch genug ist. Und vielleicht muss man gerade vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaft immer wieder über fehlende Fachkräfte klagt, neben der Beschäftigungsquote für Menschen mit Handicap auch über eine Quote für Ältere nachdenken.
„Wie können Sie, nachdem die SED mit sozialistischer Politik in der DDR nichts als Armut und Unfreiheit erreicht hat, immer noch an die sozialistische Irrlehre glauben?“
Gerald, Düsseldorf, 54, IT-Berater
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Gysi: Sie haben offenbar nicht in der DDR gelebt. Armut gab es dort kaum, Unfreiheit allerdings sehr wohl. Dies hatte seine Ursache darin, dass die DDR wie die anderen staatssozialistischen Länder eben keinen demokratischen Sozialismus gestaltete, wie ihn Die Linke will, sondern die gesellschaftliche Entwicklung dem Diktat der Partei unterwarf. Die Idee des Sozialismus findet ihren Ursprung zum Beispiel in der Bergpredigt. Und Marx und Engels formulierten: „Die Freiheit des Einzelnen ist die Bedingung der Freiheit aller.„ Es geht also nicht um eine Irrlehre, sondern darum, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit auf demokratische Weise, also mit demokratischen Mehrheiten zu lösen. Leider gibt es kein Beispiel in der Geschichte, wo dies dauerhaft gelungen ist. Erfolgreiche Anfänge wie im Chile Allendes oder im Prager Frühling wurden sehr schnell durch militärische Gewalt gestoppt. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
In der zweiten Folge unserer Reihe stellt sich Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) den Fragen unserer Leserinnen und Leser.
Ralph Brinkhaus: „Ganz klar: Benzin wird in den kommenden Jahren teurer werden“
- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker – unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Leserinnen und Lesern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Hier beantwortet Ralph Brinkhaus, Chef der CDU/CSU-Fraktion, zehn Fragen, unter anderem zum Benzinpreis, zur Rente, zum Asylrecht und zur Freigabe von Cannabis.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Teil 1: Ihre Fragen an Linke-Politiker Gregor Gysi
Gregor Gysi (Die Linke), Ralph Brinkhaus (CDU/CSU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Alice Weidel (AfD), Kevin Kühnert (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) haben sich jeweils bereit erklärt, zehn Einsendungen unserer Leserschaft zu beantworten, die wir aus der Vielzahl von Fragen ausgesucht haben.
Hier nimmt Ralph Brinkhaus, der Chef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Stellung.
„Ihre Partei möchte Steuererhöhungen unter anderem zur Finanzierung der Tilgung der neuerlichen Staatsverschuldung aus der noch nicht beendeten Corona-Pandemie, aber auch der unbedingt notwendigen Modernisierung fast aller Bereiche in Deutschland vermeiden. Woher soll das Geld für die Zukunftsinvestitionen also kommen?“
Jürgen, Landkreis Nordsachsen, 57, freiberuflicher Ingenieur
Ralph Brinkhaus: Steuererhöhungen wollen wir nicht, weil damit das wirtschaftliche Wachstum abgeschwächt würde. Jetzt nach der Coronakrise muss die Wirtschaft wieder in Fahrt kommen, da sind Steuererhöhungen Gift. Unser Plan ist deswegen: Wir wollen aus der Krise mit voller Wirtschaftskraft herauswachsen. Genauso haben wir es nach der Finanzkrise 2011 gemacht. Ich bin sehr optimistisch, dass das wieder klappt, weil wir unglaublich gute Voraussetzungen in Deutschland haben: Wir haben tolle Unternehmen, wir haben sehr kreative Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und tolle Forscher und Ingenieure.
„Was halten Sie von der Frauenquote?“
Gerlinde, Potsdam, 63, Rentnerin
Brinkhaus: In wichtigen Posten in der Wirtschaft sind Frauen heute immer noch unterrepräsentiert. Ich bin sehr froh, dass wir dagegen etwas unternommen haben: Wir haben vor der Sommerpause ein Gesetz verabschiedet, sodass Frauen in den Vorständen großer deutscher Unternehmen künftig stärker vertreten sind. Schon seit vier Jahren gilt für Aufsichtsräte eine Frauenquote, und diese Regelung wirkt: Zum Jahresende 2020 lag der Frauenanteil in Aufsichtsräten in der Privatwirtschaft schon bei über 35 Prozent. Das zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg.
„Welche Möglichkeiten sehen Sie, um besonders Frauen besser abzusichern, wenn sie später in Rente gehen? Ich denke da am meisten an berufstätige alleinerziehende Mütter, die doch tagtäglich vor einer großen Herausforderung stehen und auch in der heutigen Zeit oft noch weniger Lohn als Männer beziehen.“
Sieglinde, Landkreis Friesland, 73, Rentnerin
Brinkhaus: Wer ohne Partner Kinder großzieht, kommt finanziell schwer über die Runden. Um ihnen das Leben zu erleichtern, haben wir schon eine deutliche Entlastung für Alleinerziehende beschlossen. Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende steigt von 1.908 Euro auf 4.008 Euro und gilt auch in diesem und den nächsten Jahren fort. Auf diesem Weg wollen wir weitergehen und Alleinerziehende weiter entlasten. Wir haben überhaupt sehr viel unternommen, um Familien finanziell zu helfen, so haben wir beispielsweise das Kindergeld um 25 Euro erhöht und den Kinderzuschlag auf bis zu 205 Euro monatlich erhöht. Das ist die beste Grundlage für eine auskömmliche Rente später.
„Es ist nicht mehr zeitgemäß, dass Beamte (auch Politiker) keine Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Pflege- und Krankenversicherung zahlen. Wann wird das endlich geändert, damit die Rentenkassen entsprechend mehr Einnahmen haben?“
Silvia, Cuxhaven, 58, Kaufmännische Angestellte
Brinkhaus: Zunächst einmal finde ich wichtig, festzuhalten, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung in der Krise unter schwierigen Bedingungen wirklich großartige Arbeit geleistet haben. Es ist für unseren Staat unumgänglich, dass der öffentliche Dienst des Bundes auch weiterhin seine Aufgaben mit gut ausgebildeten und motivierten Beschäftigten effizient erledigt. Dazu brauchen wir zum Beispiel in den Bereichen Polizei, Bundeswehr und Finanzen Mitarbeiter, die eine besondere Bindung und Loyalitätspflicht zum Staat haben, dafür ist die Verbeamtung ein guter Weg.
„Das staatliche Verbot von Cannabis ist gescheitert. Die Zahlen von Konsumenten jedes Alters steigen. Wird es in der nächsten Legislaturperiode mit der CDU zu einer Liberalisierung von Cannabis als Genussmittel kommen?“
Philipp, Friedberg (Hessen), 26, Architekt
Brinkhaus: Eine verantwortungsvolle Gesundheits- und Drogenpolitik – und genau dafür stehen die Unionsparteien – muss einer Ausweitung riskanter und gesundheitsgefährdender Konsummuster entgegenwirken. Daher dürfen und werden wir keine zusätzliche Einladung für eine illegale Droge wie Cannabis aussprechen.
„Bei der Diskussion um ein Tempolimit auf Autobahnen steht die CDU für an den Verkehr angepasste Limits. Wie sieht das bei möglichen Koalitionsverhandlungen mit Grün aus? Wäre ein Tempolimit ‚Verhandlungsmasse‘ oder kann ich mich bei der CDU auf die Ablehnung eines allgemeinen Tempolimits verlassen?„
Helmut, Hessen, 54, Angestellter im Außendienst
Brinkhaus: Wir haben uns als Union dazu – wie Sie es auch ausgeführt haben – klar positioniert und so gehen wir dann auch in die Koalitionsverhandlungen, wenn wir dazu einen Wählerauftrag bekommen.
„Als Eltern eines schwer behinderten, erwachsenen Sohnes sind wir auf ein Auto angewiesen und die Benzinpreise machen uns heute schon stark zu schaffen. Welche Richtung wird die Union in Bezug auf steigende Spritpreise einschlagen?“
Wolfgang, Sachsen-Anhalt, 73, Rentner
Brinkhaus: Wir halten beim Benzinpreis Maß und Mitte. Ich will aber auch hier sehr klar sein: Benzin wird in den kommenden Jahren nach und nach teurer werden – den Kampf gegen den Klimawandel gibt es nicht umsonst. Uns von der Union ist es aber wichtig, realistische und faire Übergangszeiträume zu schaffen. Die Menschen sollen natürlich ihr Auto weiter nutzen, müssen sich aber darauf einstellen, künftig auf verbrauchsarme Wagen oder Elektroautos umzusteigen. Dabei werden wir sie mit Prämien- und Anreizprogrammen unterstützen.
„Wie wollen Sie die Flüchtlingswelle eindämmen und warum setzen Sie sich nicht ein, dass die abgelehnten Asylsuchenden zurückgeführt werden?“
Peter, Wiesbaden, 75, Rentner
Brinkhaus: Die Union steht auch in der Migrationspolitik für Maß und Mitte. Wir schützen mit unserem Asylrecht diejenigen, die wirklich verfolgt werden. Wir haben bei diesem Thema sehr viel in den vergangenen Jahren erreicht und die Zahlen sind ja deutlich zurückgegangen. Aber klar ist für mich auch: Wer abgelehnt wurde in Deutschland, muss zurück in seine Heimat. Das ist eine ganz grundsätzliche Frage unseres Rechtsstaates, aber ich weiß auch, dass wir da besser werden müssen. Denn wir wollen Zuwanderung konsequent steuern und kontrollieren. Damit haben wir eine komplett andere Position als SPD, Linke und insbesondere die Grünen. Ein Einwanderungsministerium wie von Frau Baerbock vorgeschlagen, ist da ein völlig falsches Signal. Damit werden im Ergebnis Einwanderungshürden weiter abgesenkt werden, was letztlich einen höheren Zuwanderungsdruck insbesondere von Unqualifizierten mit sich bringen wird.
„Wissen Sie eigentlich über die Alltagsprobleme der Bürgerinnen und Bürger Bescheid oder verliert man als Abgeordneter die Sicht auf diese Probleme? Welches ist Ihrer Meinung nach das größte Alltagsproblem der Bürgerinnen und Bürger?“
Holger, Hof (Bayern), 46, Lehrer
Brinkhaus: Die meisten Abgeordneten wohnen und leben mit ihren Familien und Freunden vor Ort in ihren Wahlkreisen. Sie haben nicht nur ihre Sprechstunden, sondern sind darüber hinaus auch viel unterwegs, in Betrieben, sozialen Einrichtungen auf Volksfesten und in Schulen. Dort wird natürlich über alles gesprochen. Da sagen die Leute, was ihnen wichtig ist: Das ist die Zukunft ihrer Arbeitsplätze, eine intakte Umwelt, die Pflegesituation, Rente, Schulen und Kitas, aber auch Sicherheit und Migration.
„Als jahrelanger CDU-Stammwähler bin ich über das aktuelle Auftreten der CDU/CSU entsetzt. Diese zum Teil offen ausgetragene Uneinigkeit beider Fraktionen ist der letzten Volkspartei unwürdig und spielt nur den politischen Gegnern in die Hände. Was gedenken Sie als Fraktionsvorsitzender zu tun? Haben Sie überhaupt die Möglichkeit dazu, etwas zu ändern?“
Stefan, Wolfsburg, 47, Schulleiter
Brinkhaus: CDU und CSU sind Volksparteien, die ein breites Spektrum an Meinungen in sich vereinen – diese Vielfalt ist nicht nur normal, sie ist auch gewünscht, um die Anliegen der Menschen in unserem Land in der ganzen Breite widerzuspiegeln. Als Fraktionschef ist es meine wichtigste Aufgabe, die verschiedenen Strömungen, die unsere Bundestagsabgeordneten repräsentieren, unter einen Hut zu bringen. Das ist sehr anspruchsvoll, bereitet mir aber auch viel Freude.
In der dritten Folge unserer Reihe stellt sich Grünen-Politiker Cem Özdemir den Fragen unserer Leserinnen und Leser.
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Cem Özdemir: „Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein ‚Oder'“
- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker – unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Lesern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Von Cem Özdemir von den Grünen erwarten sie unter anderem Antworten auf Fragen zu Elektro-Mobilität, Gesundheit, Rente und Integrationspolitik.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Teil 1: Ihre Fragen an Linke-Politiker Gregor Gysi
Teil 2: Ihre Fragen an CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus
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Gregor Gysi (Die Linke), Ralph Brinkhaus (CDU/CSU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Alice Weidel (AfD), Kevin Kühnert (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) haben sich jeweils bereit erklärt, zehn Einsendungen unserer Leserschaft zu beantworten, die wir aus der Vielzahl von Fragen ausgesucht haben.
Beim Grünen Özdemir interessieren die Leserinnen und Leser vor allem die Bewältigung der Klimakrise, die Rente, das Gesundheitssystem oder auch die Integrationspolitik.
„Die Grünen befürworten den Ausbau der Elektro-Mobilität. Die Herstellung und insbesondere der Abbau der für die Akkus und Batterien benötigten Rohstoffe ist jedoch teils sehr umweltschädlich – wie passt das zusammen? Und wie sollten alte Akkus entsorgt werden?“
Nils, Landkreis Nordwestmecklenburg, 46, Angestellter
Cem Özdemir: Wir fordern Verbesserungen beim Lieferkettengesetz, damit Unternehmen dem Schutz von Umwelt und Menschenrechten umfassend nachkommen. Wir wollen auch, dass weniger bedenkliche Rohstoffe verwendet werden. Hoffnung machen Forschungsprojekte zu Akkus mit alternativen Rohstoffen und schon heute sinkt der Kobalt-Anteil in vielen Batterien. Weniger Rohstoffbedarf gelingt beispielsweise durch gutes Batterierecycling. Es funktioniert technisch bereits, doch bislang fehlen gesetzliche Regelungen. Wir setzen uns für hohe Sammelquoten ein, damit mehr Akkus ins Recycling gelangen, und damit zurückgewonnene Materialien in neuen Produkten eingesetzt werden. Und vergessen Sie nicht, wo Kerosin, Benzin und Diesel herkommen. Wie sie abgebaut, transportiert werden und welche Regime wir dadurch finanzieren. Fast alles ist besser für unseren Planeten, als die Fortsetzung davon.
„Wie wollen die Grünen eine CO2-freie Energieversorgung sicherstellen, die nicht nur den heutigen Strombedarf deckt, sondern auch den erwarteten Mehrbedarf für Heizen, Transport oder Verkehr? Wie soll die Energie gespeichert werden, um Bedarfsschwankungen auszugleichen?“
Bernd, Landkreis Hameln-Pyrmont, 68, Rentner
Özdemir: Ich will unseren Kindern und Enkeln keinen kaputten Planeten hinterlassen. Einer der wichtigsten Schritte ist, dass wir komplett auf Erneuerbare umsteigen und mit diesen Versorgungssicherheit schaffen. Die tragenden Säulen dafür sind der massive Ausbau von Wind- und Sonnenenergie. Neben Zuwachs bei der sauberen Stromerzeugung braucht es mehr Energieeffizienz und Intelligenz beim Verbrauch sowie eine rentable Perspektive für die Speicherung von Strom. Für die wenigen Stunden, an denen weder Sonne noch Wind uns Strom liefern, können mit grünem Wasserstoff betriebene Gaskraftwerke die Versorgung absichern.
„Was würden die Grünen in Regierungsverantwortung tun, um die Berufsflucht aus der Pflege aufzuhalten und diese umzukehren?“
Steve, Mülheim an der Ruhr, 32, Krankenpfleger
Özdemir: Die Coronakrise hat uns wie unter einem Brennglas gezeigt, welche Stärken und auch Schwächen unser Land hat. Für den überragenden Einsatz der Menschen im medizinischen und pflegerischen Bereich bin ich sehr dankbar. Dankbarkeit und Applaus allein reichen aber nicht aus. Was den Pflegenden wirklich hilft, sind eine faire Bezahlung, gute Arbeitsbedingungen und eine angemessene Personalausstattung. Hier müssen wir an die Personalbemessung ran und unnötige Bürokratie sollte abgebaut werden. Und ich will, dass die Digitalisierung auch in jedem Krankenhaus ankommt. Es kann doch nicht wahr sein, dass Krankenhauspersonal 2021 noch handschriftlich Berichte schreiben muss. Für die Bezahlung braucht es vor allem gute Tarifverträge, die auch überall greifen.
„Wird es mit einer grünen Bundeskanzlerin eine Bürgerversicherung geben, in die jeder – also auch Beamtinnen und Beamte – einzahlt?“
Amelie, Kaiserslautern, 32, Biologin
Özdemir: Ja. Jeder Mensch in unserem Land soll sich auf unser leistungsfähiges Gesundheitswesen verlassen können und alle Versicherten sollen die Behandlung erhalten, die sie benötigen. Als Basis dafür braucht es eine gerechte und solidarische Finanzierung. Für uns Grüne steht dafür die Bürgerversicherung.
„Sollten abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden?“
Werner, Landkreis Merzig-Wadern, 64, Rentner
Özdemir: Menschen flüchten nach Deutschland in aller Regel aus Furcht um Leib und Leben. Gleichwohl stehen wir Grünen für Humanität und Ordnung – auch in der Flüchtlingspolitik. Wenn nun ein Asylantrag abgelehnt wird, weil eben keine politische Verfolgung erkennbar ist – dann kann dieser Person im Herkunftsland dennoch zum Beispiel die Todesstrafe oder Folter drohen. In solchen Fällen besteht eine Rechtspflicht, diesen Menschen Schutz zu bieten – auch wenn der eigentliche Asylantrag ohne Erfolg geblieben ist. Wenn sie aber – selbst nach sorgfältiger Prüfung und nach Ausschöpfung aller Rechtsschutzmöglichkeiten – kein Aufenthaltsrecht bekommen, dann müssen diese Menschen in ihr Herkunftsland zurückkehren. Nur so sorgen wir für Akzeptanz in der Bevölkerung und können Bleibeberechtigten die Perspektive geben, sich in Deutschland zu integrieren.
„Befürworten Sie Auslandseinsätze der Bundeswehr und den Export von Waffen?“
Barbara, Cottbus, 75, Gymnasiallehrerin im Ruhestand
Özdemir: Vor über zwanzig Jahren ging der Kosovo-Einsatz der NATO zu Ende. Die Entscheidung für diesen Einsatz mitzutragen, war eine der größten Zerreißproben für meine Partei. Unterm Strich hat sie uns als Friedenspartei jedoch gefestigt. Für mich ist klar: Als äußerstes Mittel braucht es auch den Einsatz des Militärs, damit Deutschland und Europa ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden können und beispielsweise Genozide verhindert werden können. Waffenexporte an menschenrechtsverachtende Regime lehnen wir Grünen entschieden ab. Für alle anderen Waffenexporte fordern wir ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das seinen Namen verdient – mit verbindlichen, einklagbaren Kriterien.
„Wie sollten in Zukunft Familie und Job besser miteinander vereinbart werden?“
Alina, Burgdorf, 29, Erzieherin
Özdemir: Als berufstätiger Vater von zwei Kindern weiß ich, wie schwierig Familie und Beruf häufig zu vereinbaren sind. Vor allem für Alleinerziehende ist die Lage häufig extrem herausfordernd. Wir wollen uns in der nächsten Bundesregierung unter anderem für ein Recht auf Ganztagsgrundschulen einsetzen und das Elterngeld auf 24 Monate ausweiten. Eltern wissen meist am besten, was richtig für ihre Kinder und ihre Familie ist. Wir wollen ihnen mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit ermöglichen, zum Beispiel durch eine „flexible Vollzeit“, bei der sie ihre Arbeitszeit zeitweise reduzieren können. Das kann der Staat aber nicht alles lösen, dafür brauchen wir auch die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die flexiblere Arbeitswelten schaffen und auf Familien mehr Rücksicht nehmen.
„Wie lassen sich fortwährende Forderungen zum Umweltschutz und steigende Umweltauflagen für das produzierende Gewerbe und der Erhalt des Industriestandorts Deutschland vereinbaren, sodass Unternehmensbereiche oder ganze Firmen nicht weiter nach Asien abwandern?“
Torsten, Regensburg, 58, Geschäftsführer
Özdemir: Mein Motto ist: Zwischen Umwelt und Wirtschaft gehört kein „Oder“. Schon heute ist klar, die Märkte der Zukunft sind klimaneutral. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir es schaffen, dass unsere Unternehmen die saubersten Produkte herstellen – Klimaschutz „Made in Germany“ als Exportschlager für die ganze Welt. Dabei wollen wir die Unternehmen unterstützen und setzen auf Innovationen und Wettbewerb aber auch verlässliche Rahmenbedingungen und Anreize. Beispielsweise mit Investitionszuschüssen und degressiven Abschreibungen.
„Wie sieht Ihr ÖPNV-Konzept für Menschen auf dem Land aus, wenn diese vom Auto auf Busse und Bahnen umsteigen sollen?“
Christian, Schleswig-Holstein, 36, Angestellter im öffentlichen Dienst
Özdemir: Es ist kein Naturgesetz, dass Leute ohne Auto auf dem Land aufgeschmissen sind. Das ist die Folge falscher CSU-Verkehrspolitik! In Deutschland wurden seit 1994 rund 5.400 Kilometer Bahnstrecke stillgelegt, rund 115 Mittelzentren haben keinen Bahnanschluss. Wenn der Schulbus das einzige öffentliche Verkehrsmittel vor Ort ist, hängt man ländliche Räume ab. Wir wollen, dass alle selbst aussuchen können, ob sie mit Auto, Bus, Bahn oder Rad mobil sind. Dafür braucht es ein gutes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln. Um das in der Fläche zu ermöglichen, muss Mobilität in Zukunft zunehmend intelligent und vernetzt gedacht werden. Zum Beispiel, indem vom Regionalbahn-Halt bei Bedarf ein Fahrzeug gerufen werden kann, das dann je nach Nachfrage die umliegenden Dörfer abfährt. Technisch ist das alles schon möglich, was fehlt ist der Wille in der Politik.
„Was sollte Ihrer Meinung nach an den Hartz-IV-Gesetzen geändert werden?“
Peter, Landkreis Ammerland, 54, Angestellter
Özdemir: Wir Grünen wollen Hartz-IV zu einer echten Grundsicherung weiterentwickeln, die das Existenzminimum wirksam sichert und gesellschaftliche Teilhabe möglich macht. Dazu gehört auch, durch bessere Beratung auf Augenhöhe die Sanktionen überflüssig zu machen. Das allein reicht aber nicht. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, die echte Chancengleichheit und Teilhabe für alle ermöglicht. Dafür müssen wir vor allem in die Bildung für alle investieren, damit die Durchlässigkeit unserer Gesellschaft wieder zunimmt.
In der vierten Folge unserer Reihe stellt sich Alice Weidel von der AfD den Fragen unserer Leserinnen und Leser.
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Alice Weidel: „Im Kampf gegen Corona ist es Zeit für Eigenverantwortung“
- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker – unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Usern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Von Alice Weidel von der AfD erwarten sie unter anderem Antworten auf ihre Fragen zur sozialen Absicherung, der Migrationspolitik und dem Klimaschutz.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Teil 1: Ihre Fragen an Linke-Politiker Gregor Gysi
Teil 2: Ihre Fragen an CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus
Teil 3: Ihre Fragen an Grünen-Politiker Cem Özdemir
Gregor Gysi (Die Linke), Ralph Brinkhaus (CDU/CSU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Alice Weidel (AfD), Kevin Kühnert (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) haben sich jeweils bereit erklärt, zehn Einsendungen unserer Leserschaft zu beantworten, die wir aus der Vielzahl von Fragen ausgesucht haben.
An AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel hatten die Leserinnen und Leser vor allem Fragen zur sozialen Absicherung, der Migrationspolitik und dem Klimaschutz.
Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf und sind Bundeskanzlerin: Was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Michael, Leinfelden-Echterdingen, 30, Lokomotivführer
Alice Weidel: Meine erste Amtshandlung wäre es, dem Grundgesetz und den darin verankerten Grundrechten endlich wieder uneingeschränkt Geltung zu verschaffen. Dazu gehört auch die Aufhebung sämtlicher Corona-Maßnahmen, denn es ist höchste Zeit, im Kampf gegen Corona auf die Eigenverantwortung der Bürger zu vertrauen, statt sie durch immer neue Maßnahmen zu gängeln.
Wie sieht Ihr Programm für die Zukunft der gesetzlichen Rente aus?
Bernd, Berlin, 55, Postzusteller
Weidel: Wir befürworten einen ausgewogenen, leistungsgerechten Ansatz, der die Belange aller Betroffenen einbezieht und das umlagefinanzierte Rentensystem für den Eintritt der Babyboomer ins Rentensystem tauglich macht. Es ist inakzeptabel, die Bürger bis zum Umfallen arbeiten zu lassen, während ihr Steuergeld in alle Welt verteilt wird. Der drohenden Überlastung der Beitragszahler muss durch einen höheren Steuerzuschuss in der Rentenfinanzierung entgegengewirkt werden, versicherungsfremde Leistungen sind aus Steuermitteln zu begleichen. Dieser höhere Steueraufwand darf jedoch nicht durch Steuererhöhungen finanziert werden. Die Steuerzuschüsse zur Rente sind durch konsequente Streichungen von unsinnigen ideologischen Politikmaßnahmen gegenzufinanzieren. Gute Renten bleiben nur dann finanzierbar, wenn wir die richtigen haushaltspolitischen Prioritäten setzen.
Wie unterstützen Sie die Mitte der Gesellschaft und vor allem diejenigen, die vom Mittelstand in die Arbeitslosigkeit abgerutscht sind?
Heiko, Main-Tauber-Kreis, 49, erwerbslos
Weidel: Die industriefeindliche und ideologiegetriebene Politik der Bundesregierung schlägt jetzt gnadenlos auf den Arbeitsmarkt durch. Mittelstand, Mittel- und Geringverdiener müssen endlich entlastet, das Arbeitslosengeld gerechter ausgestaltet werden: Wer arbeitslos wird, hat im Regelfall nur Anspruch auf ein Jahr Arbeitslosengeld I. Anschließend erhält er Arbeitslosengeld II wie jemand, der noch nie zuvor in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat. Dies stellt eine Geringschätzung langjähriger Beitragszahler dar. Die AfD setzt sich für eine Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I in Abhängigkeit von der Dauer der Vorbeschäftigung ein. Der Selbstbehalt bei der Berechnung von Arbeitslosengeld II ist sanktionsfrei zu erhöhen. Dies ist ein Gebot der Gerechtigkeit.
Was halten Sie vom bedingungslosen Grundeinkommen als Antwort auf die Digitalisierung und den absehbaren Rückgang an Arbeitsplätzen?
Eva, Hessen, 51, selbstständig
Weidel: Ein Grundeinkommen, das an keinerlei Bedingungen mehr geknüpft ist, motiviert nicht mehr Eigenengagement und ist daher keine geeignete Antwort auf die tiefgreifenden ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland. Jede menschliche Gesellschaft beruht auf dem Prinzip einer gewissen Eigenverantwortung von Individuen, ihre Lebensbedürfnisse aus eigener Kraft befriedigen zu können. Die AfD fordert die Wiederbelebung des Leistungsprinzips im Sozialstaat und will eine ‚Aktivierende Grundsicherung‘ als Alternative zum Arbeitslosengeld II einführen. Das erzielte Einkommen soll nicht wie bisher vollständig mit dem Unterstützungsbetrag verrechnet werden. Stattdessen verbleibt dem Erwerbstätigen stets ein spürbarer Anteil des eigenen Verdienstes. Wer arbeitet, wird auf jeden Fall mehr Geld zur Verfügung haben als derjenige, der nicht arbeitet, aber arbeitsfähig ist.
Wie können Sie als homosexuelle Frau die Politik einer homophoben Partei vertreten?
Nico, Bayern, 24, Maschinenbauingenieur
Weidel: Die AfD die ist keine homophobe Partei. Die sexuelle Orientierung eines Menschen spielt in unserer Partei und für unsere Politik keine Rolle. Aber unsere politischen Gegner versuchen immer wieder, der AfD negative Etikette wie ‚homophob‘ aufzukleben, um uns zu diskreditieren. Mit der Realität und mit unserer Politik hat das allerdings überhaupt nichts zu tun.
Wann trennt sich die AfD von den rechtsextremen Führungsmitgliedern, sodass Ihre Partei für den Normalbürger akzeptiert werden kann?
Hans-Peter, Schwarzwald-Baar-Kreis, 74, Rentner
Weidel: Die Einschätzung dessen, was rechtsextremistisch ist, hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschoben. Viele unserer politischen Positionen, etwa in der Ausländer- und Einwanderungspolitik, wurden in den 80er- und 90er-Jahren noch von der Union vertreten – und damals wie heute sind diese Positionen nicht rechtsextremistisch, sondern vernünftig. Was sich geändert hat, sind die öffentliche Meinung und die Medien, die in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter nach links gerückt sind. Auch hier gilt: Nicht immer glauben, was andere über die AfD erzählen, sondern sich selbst ein eigenes Bild machen. Wo sich dennoch mal jemand von uns im Ton vergreift und damit deutlich macht, dass er nicht zu uns passt, handeln wir schnell und konsequent.
Sollen wir weiter tatenlos zusehen, wie Menschen in Syrien von russischen Kampfbombern oder in Afghanistan von den Taliban terrorisiert werden und dann, wenn sie versuchen, ins sichere Europa zu flüchten, im Mittelmeer ertrinken?
Klaus, Berlin, 55, selbstständig
Weidel: In Afghanistan ist gerade auf erschreckende Weise der Versuch gescheitert, einem vom Islam geprägten Land das westliche System überzustülpen. Die Menschen vor Ort müssen selber klären, unter welcher Regierung sie leben möchten. Wir können nur im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, Fluchtursachen zu bekämpfen und den Menschen in ihrer Heimat zu helfen. Gleichzeitig muss alles dafür getan werden, dass sich niemand auf die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer begibt. Natürlich müssen Menschen, die in Seenot geraten, gerettet und zu ihren Ausgangshäfen zurückgebracht werden. Aber es ist unverantwortlich, dass private sogenannte Rettungsschiffe das schmutzige Geschäft der kriminellen Schlepperorganisationen unterstützen und die Flüchtlinge quasi aufs Meer locken.
Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland ist 1959 in die Bundesrepublik geflohen, um eine bessere Ausbildung zu bekommen. Worin unterscheidet sich Herr Gauland von den Flüchtlingen, die heute nach Deutschland kommen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive sehen?
Ernst, Landkreis Amberg-Sulzbach, 61, selbstständiger Handwerker
Weidel: Der entscheidende Unterschied ist: Alexander Gauland ist von Deutschland nach Deutschland geflohen. Er war also ein Binnenflüchtling. Das ist, Gott sei Dank, seit der Wiedervereinigung nicht mehr nötig. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben ihr Glück in Deutschland versuchen wollen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen. Doch die Politiker in Deutschland sind ihren Bürgern verpflichtet und nicht Menschen, die aus fremden Ländern zu uns kommen wollen. Das schließt aber nicht aus, dass wir dabei helfen, die Bedingungen in den Heimatländern zu verbessern. Doch darüber, wer zu uns kommen kann, um dauerhaft hier zu leben, muss Deutschland souverän entscheiden.
Wie finden Sie die Idee, dass Benzin- und Dieselautos bald nicht mehr zugelassen werden sollen?
Bernhard, Schwarzwald-Baar-Kreis, 37, erwerbslos
Weidel: Eine ideologiegetriebene Verbotspolitik, die bestimmte Verkehrsmittel bevorzugt oder diskriminiert, lehnen wir als AfD ab. Im Vordergrund steht für uns die Freiheit der Bürger in der Wahl ihres Verkehrsmittels. Individuelle Mobilität muss zudem bezahlbar bleiben.
Die Bundesregierung und Brüssel haben die deutsche Automobil- und Zulieferindustrie mit der Erzwingung der Elektromobilität ohne Not einem technologischen Strukturbruch ausgesetzt, der immer mehr zum ökonomischen Desaster wird. Denn gerade der für den Großteil der Arbeitsplätze hierzulande zuständige Mittelstand ist abhängig vom Fortbestand des Verbrennungsmotors. Wir fordern daher Technologieoffenheit: Ob der Verbrennungsmotor zukünftig durch andere Antriebsformen abgelöst wird oder nicht, sollen technischer Fortschritt und der Markt entscheiden – und nicht die verantwortungslose Verbotspolitik der EU.
Wie wollen Sie mit dem Klimawandel als der größten Herausforderung unserer Zeit umgehen?
Sonja, Berlin, 65, Diplom-Ingenieurin
Weidel: Das Klima hat sich immer schon und völlig unabhängig vom menschlichen Tun geändert. Die jüngste Erwärmung liegt zudem im Bereich natürlicher Klimaschwankungen, wie wir sie auch aus der vorindustriellen Vergangenheit kennen.
Die Menschheitsgeschichte belegt, dass Warmzeiten immer zu einer Blüte des Lebens und der Kulturen führten. Statt einen aussichtslosen Kampf gegen den natürlichen Wandel des Klimas zu führen, sollten wir uns an die veränderten Bedingungen anpassen, so wie es Pflanzen und Tiere auch tun. Um dem Vorsorgeprinzip zu genügen, wäre die Einrichtung eines Klimawandelfolgenanpassungsfonds sinnvoll. Dieser sollte mit maximal zehn Prozent der bisher für den Klimaschutz aufgewendeten Mittel gespeist werden und zukünftigen Generationen die finanziellen Mittel geben, um Anpassungsmaßnahmen zu bewältigen.
In der fünften Folge unserer Reihe stellt sich Kevin Kühnert von der SPD den Fragen unserer Leserinnen und Leser.
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Kevin Kühnert: „Dem Bundestag fehlen die Perspektiven prekär Beschäftigter“
- Leserinnen und Leser fragen Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker – unser Format bietet den Usern unserer Plattform die Möglichkeit, einen direkten Draht zum Berliner Politikbetrieb herzustellen.
- Vor der Bundestagswahl brennen den Usern offenbar sehr viele Probleme unter den Nägeln.
- Von SPD-Politiker Kevin Kühnert wünschten sie sich Antworten auf Fragen zu Rente, Vermögenssteuer und Hartz IV.
Vor der Bundestagswahl am 26. September haben wir unseren Leserinnen und Lesern die Chance gegeben, ihre Fragen und Anliegen an sechs Spitzenkräfte der im aktuellen Bundestag vertretenen Parteien zu schicken.
Teil 1: Ihre Fragen an Linke-Politiker Gregor Gysi
Teil 2: Ihre Fragen an CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus
Teil 3: Ihre Fragen an Grünen-Politiker Cem Özdemir
Teil 4: Ihre Fragen an AfD-Politikerin Alice Weidel
Gregor Gysi (Die Linke), Ralph Brinkhaus (CDU/CSU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Alice Weidel (AfD), Kevin Kühnert (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP) haben sich jeweils bereit erklärt, zehn Einsendungen unserer Leserschaft zu beantworten, die wir aus der Vielzahl von Fragen ausgesucht haben.
Von SPD-Politiker Kevin Kühnert wünschten sich die Leserinnen und Leser unter anderem Antworten auf Fragen zu Rente, Vermögenssteuer und Hartz IV.
Herr Kühnert, wenn ich in meinem Konzern eine Führungsposition übernehmen möchte, muss ich Qualifikationen und Abschlüsse je nach Anforderung vorweisen. Warum ist das bei Politikern anders? Soweit ich informiert bin, haben Sie weder ein abgeschlossenes Studium noch eine fundierte Ausbildung. Was befähigt Sie also dazu, eine Führungsposition in unserem Land zu übernehmen beziehungsweise warum kann man in unserem Land Regierungsposten besetzen, ohne irgendwelche Qualifikationen nachweisen zu müssen?
Thomas, Landkreis Börde, 56, Mitarbeiter in einem Automobilkonzern
Kevin Kühnert: Seit meinem Abi verdiene ich eigenes Geld und habe nie staatliche Leistungen in Anspruch genommen. Wie immer mehr junge Menschen hatte ich keinen Anspruch auf BAFöG. Doch Studium, Arbeit und Ehrenamt in Sport und Politik? Das war nebeneinander nicht zu schaffen.
Ich habe das Studium dann geschmissen und mehrere Jahre in einem Callcenter gearbeitet. Dafür muss ich mich nicht rechtfertigen, denn nichts an so einem Lebensweg ist falsch oder anrüchig. Ganz im Gegenteil glaube ich, dass dem Bundestag, in dem heute gut 80 Prozent der Abgeordneten einen akademischen Abschluss haben, die Perspektiven prekär beschäftigter Menschen fehlen.
7,50 Euro Stundenlohn, Kettenbefristung und kein Betriebsrat, das kenne ich nicht nur aus der Theorie. Und genau gegen diese Zustände will ich mich im Parlament einsetzen.
Warum soll man einen Olaf Scholz wählen, der weder für die Folgen des G20-Gipfels in Hamburg noch bei der Wirecard-Affäre Verantwortung übernimmt. Wenn er in der Vergangenheit keine Verantwortung übernommen hat, warum sollte er das als Kanzler tun?
Eric, Rostock, 31, Industriekaufmann
Kühnert: Das sehe ich ausdrücklich anders. Bei Wirecard hat die Wirtschaftsprüfung kläglich versagt.
Der Wirecard-Skandal hat unglaubliche kriminelle Energien der früheren Verantwortlichen des Unternehmens offenbart sowie deutlich gemacht, dass Wirtschaftsprüfung und -beratung viel strenger voneinander getrennt gehören. Die gesetzlichen Regeln dafür hat Olaf Scholz grunderneuert und die Finanzaufsicht neu aufgestellt.
Die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel hat er wiederholt als seine größte politische Niederlage bezeichnet. Die enorme Zustimmung, die er bis heute in Hamburg genießt, spricht dafür, dass dieses Bedauern aufrichtig ist.
Verantwortung zu übernehmen bedeutet aus meiner Sicht auch, sich als Bundeskanzler dafür einzusetzen, dass G7-Gipfel künftig aus Metropolen herausgehalten werden – und friedlicher Protest geschützt ist.
Werden Sie (erneut) eine Koalition mit der CDU/CSU und wohl auch mit der FDP eingehen, um regieren zu können?
Mathias, Niedersachsen, 62, Angestellter
Kühnert: CDU und CSU sind nach 16 Jahren im Kanzleramt ausgezehrt und gehören in die Opposition. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern die gemeinsame Überzeugung der gesamten SPD. Und deshalb werden wir alles dafür tun, eine SPD-geführte Bundesregierung ohne die Konservativen zu bilden.
Dass wir, wie die meisten Mitbewerber, neben der AfD keine anderen Parteien pauschal von der Zusammenarbeit ausschließen, das hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Sondern vielmehr mit den Erfahrungen des Herbst 2017, als Christian Lindner und die FDP aus einer Laune heraus das Land in eine Regierungskrise trieben. Der Lindner-FDP traue ich kein bisschen. Eine Regierung ohne sie ist erstrebenswert.
Warum wollen Sie per Vermögenssteuer bereits versteuertes Vermögen, das ich als Familienunternehmer investiert habe und immer noch investiere, wegnehmen, um damit Misswirtschaft der Politik wie bei der Mautkatastrophe auszugleichen? (Keine Ausreden: Die SPD ist in der Regierung in der Mitverantwortung!)
Lothar, Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, 72, Gesellschafter und Prokurist
Kühnert: Die von uns vorgeschlagene Vermögensteuer nach dem Schweizer Modell ist eine vermögensbezogene Steuer, wie zum Beispiel die Grundsteuer auch. Es ist dabei unerheblich, wie der Vermögensgegenstand erworben wurde – in der Regel in der Tat mit bereits versteuertem Einkommen.
Das wäre jedoch keine Besonderheit der Vermögensteuer, sondern ist gängige Praxis (bei Grund und Boden, Zinsen, Dividenden, Hunden…). Der grundlegende Gedanke hinter vermögensbezogenen Steuern ist, dass der Wert des Vermögens steigt. Deshalb darf man ja auch Schulden von der Bemessungsgrundlage abziehen.
Wir haben zudem klargestellt, dass wir Vermögen, das der Grundlage von Betrieben dient, nicht der Vermögensteuer unterstellen werden. Betriebsnotwendiges Vermögen ist schließlich auch bei der Erbschaft- und Schenkungssteuer befreit, daher ist die Abgrenzung kein Problem. Das Problem, das Sie schildern, tritt also nicht auf.
Warum muss ich meine selbst eingezahlte Rente versteuern? Ich zahlte jahrelang jeden Monat DM 500,- aus versteuertem und sozialverbeitragtem Nettoarbeitseinkommen in eine Privatrente ein – verdient als Angestellte bei einer wertschöpfenden Privatfirma, nicht beim Staat. Warum bekomme ich nicht einen so hohen Freibetrag, der es mir ermöglicht, keine Steuererklärungen mehr abzugeben, bis ich sterbe? Warum muss ich Elster online benutzen, obwohl ich zur Generation Offline gehöre? Werden Sie sich für die Rentner einsetzen? Oder sind Sie nur für die jüngere Generation da, die ja auch mal alt wird?
Christel, Hessen, 74, Rentnerin
Kühnert: Die SPD setzt sich bei der Rente für Jung und Alt gemeinsam ein – denn die Rente ist ein Versprechen zwischen den Generationen. Und ich kann Ihnen versichern, dass die Steuererklärung auch für junge Menschen nicht trivial ist. Denn bei der gesetzlichen Rente wird bis 2040 schrittweise auf die sogenannte nachgelagerte Besteuerung umgestellt.
Das bedeutet, dass jedes Jahr ein größerer Teil der Rentenbeiträge von der Einkommenssteuer im Erwerbsleben abgesetzt werden kann und damit nicht versteuert werden muss. Gleichzeitig erhöht sich jedes Jahr der Anteil der Rente, der individuell versteuert wird. Diese Änderungen wurden durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig.
Bei Ihrer privaten Rentenversicherung hingegen, die Sie aus versteuertem Einkommen angespart haben, wird die eigentliche Rente selbst nicht versteuert. Steuerpflichtig ist nur der sogenannte Ertragsanteil – das sind die Zinsen auf Ihr angespartes Kapital in der Rentenphase. Wie hoch dieser Ertragsanteil ist, hängt vom Alter bei Rentenbeginn ab.
Die Besteuerung der Rente statt der Rentenbeiträge ist übrigens in den allermeisten Fällen vorteilhaft. Denn im Rentenalter ist das Einkommen geringer und dadurch wird im Alter ein niedrigerer Steuersatz angewandt.
Der einzige Nachteil ist: Sie müssen eine Einkommenssteuererklärung abgeben, wenn der von Ihnen zu versteuernde Rentenanteil über dem Grundfreibetrag liegt. Sie können diese jedoch auch weiterhin vollständig offline ausfüllen.
Einen Tipp würde ich Ihnen aber trotzdem geben: Vielleicht bitten Sie doch jemanden aus der „Generation Online“, möglicherweise Ihre Kinder oder Enkelkinder, um Unterstützung. Denn seit Kurzem gibt es den einfach zu bedienenden „Steuerlotsen Rente„, mit dem Sie als Rentnerin ohne Vorwissen Ihre Steuererklärung erstellen können.
Wie sieht Ihre Strategie für eine Rentenreform aus? Schon heute rutscht eine Vielzahl an Rentnern in die Armut, obwohl sie ein Leben lang gearbeitet haben.
Indoha, Berlin, 56, Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit
Kühnert: Die gesetzliche Rente resultiert aus unseren Löhnen und daher stärkt die Rente, wer für höhere Löhne eintritt. Dank der SPD steigen die Renten nun wieder entsprechend der Löhne und wir werden mit einem Mindestlohn von 12 Euro nicht nur 10 Millionen Einkommen verbessern, sondern gleichzeitig auch die Beitragsbasis der gesetzlichen Rente stärken.
Weder werden wir das Rentenniveau sinken lassen, noch ein Rentenkürzungsprogramm namens Rente mit 68 oder gar 70 mitmachen. Die Grundrente bauen wir aus, Zeiten der Erziehung und Pflege von Angehörigen werden wir noch besser berücksichtigen, was insbesondere vielen Frauen hilft. Und in der Erwerbsminderungsrente sind insbesondere für die Bestandsrentner Verbesserungen überfällig.
Würde die SPD im Falle einer Regierungsbeteiligung Änderungen an den Hartz-IV-Gesetzen vornehmen wollen? Wenn ja, welche?
Peter, Landkreis Ammerland, 54, Angestellter
Kühnert: Nach 15 Jahren nicht enden wollender Hart IV-Diskussionen – auch innerhalb der Sozialdemokratie -, hat die SPD sich 2019 endlich entschieden: Wir wollen das Hartz-System überwinden und haben stattdessen ein Konzept für einen gerechten und zeitgemäßen Sozialstaat entwickelt.
Dazu gehören: Eine Kindergrundsicherung, ein Rechtsanspruch auf Qualifizierung und Weiterbildung (auch für Ältere), ein wieder an der Lebensarbeitszeit orientiertes Arbeitslosengeld I, der (bereits während Corona von uns durchgesetzte) Schutz von Wohnung und Erspartem, der Ausbau des Sozialen Arbeitsmarktes und vieles andere mehr.
Es wird immer gesagt, man soll sich auf Augenhöhe begegnen. Warum müssen dann Beamte nicht in die Rentenkasse einzahlen? Es würde dann auch besser in der Rentenkasse aussehen. Wird es je eine Änderung geben?
Regina, Landkreis Gießen, 60, Customer Service Representative
Kühnert: Sie haben total Recht: Zukunftsfest machen wir die Rente, indem wir sie zur Erwerbstätigenversicherung umbauen, in die künftig alle einzahlen – auch Beamte, Selbständige und selbstverständlich ebenso Politiker. Das Prinzip: Einer für alle, alle für einen.
Das möchte die SPD und das möchte ich persönlich, übrigens auch als Sohn zweier Beamter. Die Renten der geburtenstarken Jahrgänge können wir so besser finanzieren, ohne dass das System kollabiert. Zahlreichen Selbständigen haben wir den Weg in die gesetzliche Rente bereits erleichtert, da wollen wir jetzt weitermachen.
Was wird gegen die enorm ansteigenden Mieten unternommen? Es ist schon länger bekannt, dass viele Bürger bereits die Hälfte ihres Nettoeinkommens für die Miete zahlen müssen.
Michaela, Frankfurt am Main, 45, Angestellte
Kühnert: Insbesondere die bei Neuvermietung aufgerufenen Mieten überfordern immer häufiger die Menschen in Deutschland. Nach Überzeugung der SPD soll niemand mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben müssen.
Um das zu schaffen, brauchen wir mehrere Instrumente. Eine Entfristung der Mietpreisbremse, bessere Mietspiegel und einen Mietenstopp von fünf Jahren überall dort, wo die Mieten jetzt explodieren. Diese fünf Jahre müssen dann für den bezahlbaren Neubau genutzt werden.
Die SPD will jedes Jahr 400.000 Wohnungen bauen, davon mindestens jede vierte als Sozialwohnung. Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, gemeinnützigen Genossenschaften und umsichtigen Privaten wollen wir leistbares Bauland per Erbbaupacht bereitstellen und es somit gleichzeitig der Spekulation entziehen.
Die SPD war historisch gesehen immer eine Partei, die links einzuordnen war und für soziale Gerechtigkeit stand. Schröders Agenda 2010 hat diese politische Verortung der Partei pulverisiert. Die SPD befindet sich heute schön brav in der Mitte und hat ihr Profil verloren. Es zeigt sich, dass Opportunismus sich dann eben doch nicht lohnt. Wie konnte es so weit kommen?
Klaus, München, 60, Technischer Redakteur
Kühnert: Die Angstkampagnen, die Konservative und Neoliberale derzeit gegen Olaf Scholz und die SPD starten, sprechen deutlich gegen Ihre These. Niemand kann bestreiten, dass die SPD einige Jahre lang Vertrauen in ihre soziale Kompetenz verspielt hat. Das ist vorbei.
Seit Jahren ist jede soziale Verbesserung in Deutschland auf die SPD zurückzuführen: Mindestlöhne, Grundrente, Mietpreisbremse, Kurzarbeitergeld, Mindestvergütung für Azubis und vieles mehr. Alles gegen massive Widerstände und Lobbydruck durchgesetzt.
Und so machen wir weiter. Mit 12 Euro Mindestlohn, der Bürgerversicherung, einem Mietenstopp, der Ausbildungsgarantie und einer Vermögensteuer für Superreiche, die es zuletzt unter Helmut Kohl gab. Das ist nicht opportunistisch, sondern gerecht.
In der sechsten Folge unserer Reihe stellt sich Wolfgang Kubicki von der FDP den Fragen unserer Leserinnen und Leser.