Dienstag, 23.4.13
Nachdem wir in Talitha Kumi zu Abend gegessen hatten, trafen wir uns mit Ronny Hammermann. Sie wuchs in Wien auf, kam 1969 nach Israel, wo sie bis zu ihrer Berentung in der hebräischen Bibliothek arbeitete.
Sie war der Meinung, dass Israel ein koloniales Denken habe. Sie gehört einer Gruppe von Frauen an, „woman against Occupation“, machsowatch@gmail.com .
Sie haben die Rollenspiele auf den Checkpoints untersucht. Seit 2001, die Intifada hatte im Dezember 2000 begonnen, gehen sie in Gruppen von 2-3 Frauen zu Checkpoints. Durch ihre Anwesenheit protestieren sie gegen diese Situation, sie beschäftigen sich viele Jahre mit der Beschränkung der Bewegungsfreiheit, bei der es drei Methoden gibt: die Checkpoints dienen nicht der Sicherheit, sondern als Mittel zur Kontrolle und Demütigung, sie können keine Attentate verhindern, ebenso die Mauer, die verbotenen Straßen, die bürokratischen Kontrollen. Diese sind schlimm, die Palästinenser brauchen Bewilligungen für das Passieren von Checkpoints, sie müssen sich an das Amt der Zivilbehörde wenden, an eine Abteilung der Armee, wie in der DDR. Es gibt 111 verschiedene Bewilligungen, z. B. für das Hospital, für medizinische Untersuchungen, für Arbeit, zum Unterrichten, um zu beten. Die Bewohner der Enklave brauchen spezielle Genehmigungen, auch, um im eigenen Hause schlafen zu können, und diese bekommen sie oder bekommen sie nicht, junge Männer ohne Frau und Kinder bekommen sie grundsätzlich nicht. Es handelt sich um eine Riesengruppe, die keine Bewilligungen bekommen. Der Sohn bekommt keine Bewilligung, der Vater bekommt sie und muss eventuell die Arbeit übernehmen. Eine israelische Palästinenserin, die mit einem Palästinenser verheiratet ist, kann nicht mit ihm zusammen leben; Leute in der Westbank bekommen seit 2006 keine Bewilligung für andere Teile, das Verbot wird jedes Jahr verlängert. Wenn sie ihr Land nicht bearbeiten können, verlieren sie ihre Rechte daran. Genehmigungen gibt es nur kurzfristig, die Kinder sind bei dem Vater, weil er die Rechte hat. Es geht um die Kontrolle. „Breaking the silence“ spricht darüber, einige sind zwischen alle Stühle gefallen. Es ist entscheidend, in welche Kategorie ein Kind gehören wird. Kinder bis 16 Jahre haben keine Ausweise, sie sollen den Geburtsschein mitführen, bei normalem Kindesverhalten ist dieser nach zwei Tagen unlesbar. Es muss immer das Original sein, in Plastik gepackt, so etwas Verrücktes, eine Schikane. Weitere große Gruppen sind die, die dem Geheimdienst als verdächtig gelten, etwa 150.000. Palästinenser gelten als gute Arbeiter, aber der Bauherr muss eine Quote einhalten, dabei ist der Palästinenser für diesen viel wertvoller als ein Fremdarbeiter. Wenn ein Palästinenser nach Hause geht, bekommt er nur für 3 Monate die Bewilligung dafür, wie in der DDR. Ähnlich verhält es sich mit der Mauer, der nachgesagt wird, dass es deswegen weniger Anschläge gäbe, was aber ein Mythos sei. Es gibt Filme, wie Frauen über die Mauer klettern, und unter der Mauer durch, um Arbeit zu finden. Die besten Krankenhäuser sind in Ostjerusalem. Dafür gibt es eine Bewilligung für einen Tag bis eine Woche. Man braucht oft einen Begleiter, aber ein junger Mann wird nicht durchgelassen, da er ein Terrorist sein könnte. Von der Westbank kommt man mit Krankenwagen nicht direkt ins Krankenhaus, nur zur Grenze, von dort muss der Transport mit einem anderen Krankenwagen fortgesetzt werden. Dabei kommt es zu lebensbedrohenden Verzögerungen. Es gibt Einspruchsmöglichkeiten (ein Teil der 250 Frauen der Bewegung haben sich darauf spezialisiert), mit drei Durchschlägen, deren Bearbeitung aber etwa ein Jahr dauert. Nur etwa 20% der Fälle werden dadurch nachträglich bewilligt. Sie dürfen nicht mehr neben den Soldaten stehen, sie stehen daher meist auf der palästinensischen Seite und rufen an. Alle sind in irgendeiner Form mit der Armee beschäftigt. Die Armee versucht, mit den Frauen gegen Besatzung zu kooperieren, wobei das vor allem die Militärs mit höherem Dienstgrad tun, während die einfachen Soldaten sie nicht leiden können, denn sie gehen ihnen auf die Nerven. Sie tragen Anstecker mit „Gegen die Besatzung für Menschenrechte“. Viele der Frauen sind auch bei den Frauen in Schwarz, die es seit der ersten Intifada gibt. Sie stellen sich auf einen ganz bestimmten Platz, wortlos mit Schreiben wie „Die Besatzung muss weg“, wobei es nicht eine trauernde Frau sein muss. Dies tun sie seit Gründung einmal in jeder Woche zu den Hauptstoßzeiten zwischen 13.00-14.00, sowas Ausdauerndes. Gibt es mediale Öffentlichkeit? Ja, sogar sehr, sie werden z. B. eingeladen. Auf ihrer Homepage veröffentlichen sie Leser- und Beschwerdebriefe über die aktuellen Ereignisse. Die israelische Öffentlichkeit ist nicht sonderlich daran interessiert. Sie persönlich hielt dutzende Vorträge in Deutschland. Sie haben auch Broschüren, Militärberichte, sie schrieb vor zwei Tagen eine kurze Zusammenfassung für die Justizministerin über Menschenrechtsübertretungen. Es gibt wunderbare Websites in Deutschland, z. B. Ahrend? und viele andere. Israel ist immer noch eine Demokratie, die beste Zeitung ist der Haaretz mit einer Leserschaft von 7%. Sie wird von den Entscheidungsträgern gelesen, hat eine gewählte Sprache, daher keine Breitenwirkung, manchmal kommen ihre Themen auch in anderen Zeitungen vor. Palästina hat eine katastrophale Wirtschaftssituation. Viele israelische Waren kommen auch nach Palästina. Bei einem Offizier, der sie einlud, stand an der Wand: „man soll die Bevölkerung in einem Zustand ständiger Unsicherheit halten!“
Es gibt viel Bautätigkeit, viele Taxis, eine wilde Fahrweise. Für
die meisten Palästinenser ist es viel billiger, ihre Häuser mit eigenen Händen und mit Hilfe von Familie und Nachbarn zu bauen. Korruption ist sehr häufig. Es wird eine Politik der Angst gemacht, auch mit Urängsten, es gibt eine totale Militarisierung schon an den Schulen und Kindergärten. Nurit Peled, die Schwester von Miko Peled (Buch: The Generals Son http://justworldbooks.com/the-generals-son-journey-of-an-israeli-in-palestine/ ), brachte dazu ein phantastisches Buch heraus. Nurit Peled-Elhanan: Palestine in Israeli School Books: Ideology and Propaganda in Education. Verlag: I.B.Tauris, 268 Seiten, 24,90 Euro ISBN: 978-1-78076-505-1
http://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/palaestina-in-israelischen-schuldbuechern
Es ist eine Lüge, dass Israelis nicht in die Westbank gehen dürfen, dann dürften auch keine Siedler gehen. Bei den A-Gebieten gibt es nur ein militärisches Dekret und keine Strafen und mehrere Israelis halten sich nicht daran.