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Wollte Joe Biden Nord Stream „ein Ende bereiten“? Berliner Zeitung…
Warum hat Olaf Scholz die Detonationen in der Ostsee nicht „Quadrupelwumms“ genannt? Und was will Joe Biden? Unser Autor denkt über Gaspipelines nach.
Die Öffnung von Nord Stream 2 hatte ich mir anders vorgestellt. Verblüffend war auch, dass Olaf Scholz die Detonationen nicht „Quadrupelwumms“ nannte. Nur über Schuldenorgien, pardon: „Sondervermögen“, spricht er wie zu Kleinkindern; letztere sollen das ja später alles bezahlen. Das profundeste Statement zu den Urhebern der, Plural gesucht, Wümmse fand ich beim sonst eher brachialpoetischen denn analysestarken Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner: „Die Fische in der Ostsee könnten uns erzählen, leider sind sie stumm.“
Dabei müssen Flosseninhaber nicht mal in der Nähe gewesen sein. Die Ostsee ist überfischt. Zudem geben Fische sehr wohl Laute von sich. Der Knurrhahn knurrt. Heringe teilen sich akustisch mit, indem sie Luft aus ihren Därmen pressen. Bis zu sieben Sekunden lang. Dank dieser Lingua franca wäre eine Verständigung mit Menschen denkbar.
Trotz dieser Einschränkungen ist Wagners Satz eine kommunikationskulturelle Großtat. Hier ahnt einer, dass er nichts weiß, und sagt das auch. Von deutschen Medien zitierte Experten dagegen präsentieren kaum bessere Indizien, geben sich aber weit überwiegend davon überzeugt, dass es der Russe selbst gewesen sein muss: Moskau wollte ein Signal senden und demonstrieren, dass es unter Wasser einiges kaputt machen kann. – Jawohl, auch ich traue Putin alles zu, außer dass er in einem rosa Tutu über den Roten Platz tanzt. Aber Nord Stream war gerade noch die Superwaffe zur Erpressung bibbernder Westler. Nun sprengt der irre Iwan seinen Joker, um ein Zeichen zu setzen? Das kann sein, liegt aber ebenso auf der Hand wie die Vorstellung, dass der Kreml ein von eigenen Truppen besetztes Atomkraftwerk unter Artilleriefeuer nehmen lässt.
Krimikommissare fragen nach Feinden des Opfers. Nord Stream mag, ausgenommen Deutsche und Russen, kaum jemand. Es geht um Transiteinnahmen, Rohstoffmärkte und Geostrategie. Joe Biden sagte im Februar, wenn Russland die Ukraine überfalle, würde seine Regierung der Pipeline „ein Ende bereiten“. Auf die Nachfrage, wie er das bewerkstelligen wolle, es sei ja ein deutsches Projekt, antwortete der Präsident: „Ich verspreche Ihnen, wir sind in der Lage, das zu erledigen.“
Der Bundeskanzler stand daneben. Er hat diese exquisite Demütigung gewiss so gründlich vergessen wie seine Cum-Ex-Kontakte. Keine Ahnung, wie Bidens Äußerung angesichts seines Allgemeinzustands zu deuten ist. Jedenfalls twitterte ein polnischer Ex-Außenminister post wummsem: „Danke, USA.“ Der aktuelle US-Chefdiplomat Blinken sprach im Explosionskontext von einer „großartigen strategischen Gelegenheit“. Das beweist nichts, sät aber Zweifel an der These: Pipelines sprengen unter Freunden, das geht gar nicht. Was geht, Freunde?
Infolge politischer Unreife bin ich mir dessen nicht sicher. Also bleibt mein üblicher Verdächtiger Ernst Stavro Blofeld, der James-Bond-Endgegner mit der weißen Perserkatze. Seine Worte: „Ich bin gerade dabei, einen kleinen Weltkrieg zu inszenieren. In wenigen Stunden, wenn Amerika und Russland sich gegenseitig ausgelöscht haben, wird eine andere Macht die Welt beherrschen.“ – Spectre, der Geheimbund. Plausibler kann ich den Verdacht nicht begründen, da geht es mir wie den Experten. Hoffentlich taucht bald ein Hering auf, der alles beobachtet hat. Profis brächten den schon zum Reden, nur eben nicht mit Waterboarding.