Matinee zum 85. Geburtstag des Rechtswissenschaftlers Norman Paech

Aus: Ausgabe vom 03.05.2023, Seite 10 / Feuilleton

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Für die Verdammten dieser Erde

Eine Matinee zum 85. Geburtstag des Rechtswissenschaftlers Norman Paech an der Universität Hamburg

Von Kristian Stemmler

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Norman Paech bei einer Sitzung des Bundestags im Dezember 2008

Schon die Überschrift zur Einladung – »Erkämpft das Menschenrecht!« – ließ erahnen, dass die Matinee zum 85. Geburtstag von Norman Paech am vergangenen Sonnabend wenig mit Beweihräucherung und biographischen Anekdoten, dafür aber viel mit linker Politik zu tun habe würde. In den fünf Stunden der Matinee im Raum »Syntagma« der Universität Hamburg wurden so ziemlich alle großen Themen aufgerufen, mit denen sich der emeritierte Völkerrechtler, frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, jW-Autor und Friedensaktivist befasst hat und auch weiterhin befasst. Vor rund 70 Freundinnen und Freunden ging es um Kunst und Kuba, um Palästina, um Friedenspolitik, die NATO und die Linkspartei, um Entwicklungshilfe und Antifaschismus. Organisiert hatten die Matinee Studierende des Fachbereichs Sozialökonomie (früher: Hochschule für Wirtschaft und Politik) und des Studierendenverbands der Linken Die Linke.SDS.

Ganz ohne Lob für Norman Paech, der am 12. April seinen 85. Geburtstag gefeiert hatte, ging es dabei nicht ab. Sein Nachfolger Karsten Nowrot, Professor für Rechtswissenschaft, pries ihn als »sehr streitbaren Kollegen« und als »Menschenfreund, der sich immer für die Verdammten dieser Erde« einsetze. Norman Paech sei »weiterhin aktiver als mancher Kollege, der nur halb so alt ist«. Kubas Botschafterin in Berlin, Juana Martínez González, dankte Paech in einer Videobotschaft für seine »andauernde Unterstützung« Kubas. Die Friedensaktivistin und Studierende Gunhild Berdal rief Paech zu, es gebe »keine unterdrückte Bevölkerung auf der Welt, die sich nicht auf deine profunde Unterstützung verlassen kann«. Und setzte, geradezu poetisch, hinzu: »Du bist für uns der Peacelord, edel in der Haltung, unbeugsam in der Sache.«

Dass Paech keine Kontroverse scheut, machte der bei der Matinee ausgestellte Bilderzyklus »Guernica Gaza« des palästinensischen Künstlers Mohammed Al Hawajri deutlich. Seine Bilder, in denen er klassische Gemälde von Millet, Delacroix, ­Picasso oder Van Gogh mit Fotos von israelischen Soldaten und Panzern kombinierte, sorgten für Wirbel bei der Documenta 15 in Kassel 2022. Der Vorwurf des Antisemitismus ließ nicht auf sich warten. Paech hielt das nicht davon ab, die Bilder vom Künstler zu erwerben. Dazu bewogen habe ihn, berichtete er, die Empörung über Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD), der, ohne die Werke auch nur anzusehen, sich diesem Vorwurf angeschlossen habe.

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In ihrem Referat ging die deutsch-­israelische Schauspielerin und Sängerin Nirit Sommerfeld näher auf die Bilder ein. Sie entkräftete den Vorwurf, darin werde der Überfall der Nazis auf Guernica mit israelischen Militäreinsätzen gleichgesetzt. In den Bildern gebe es keinen Hinweis darauf, »dass Nazis im Spiel sind«. Man sehe Soldaten, die Menschen bedrohen. Gewalt sei universell, so Sommerfeld. Der Vorwurf des Antisemitismus sei Unsinn, mit dem sie sich weiter nicht befassen wolle.

Ein anderes heißes Eisen fasste die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen an, die für ihre Fraktion im Auswärtigen Ausschuss sitzt. Sie konstatierte, es gebe weder an Hochschulen noch in der Publizistik eine aufklärerische Kritik an der NATO: »Im Haus der Bestie wird nicht über die Bestie gesprochen.« Der Militärpakt sei kein Verteidigungsbündnis, sondern »eine Vereinigung zum Überfall auf andere Staaten«. Der Krieg in der Ukraine sei ein Stellvertreterkrieg der von den USA dominierten NATO gegen Russland. Alles spreche dafür, dass dieser Krieg, »was Kommando, Waffen und Munition angeht, inzwischen von der NATO und nicht mehr von der Ukraine geführt wird«, so Dagdelen. »Eine Linke, die ihren Frieden mit der NATO macht, gibt sich auf«, rief die Linke-Politikerin unter Beifall aus.

Zum Thema Entwicklungspolitik, der Bereich, in dem Norman Paech seine berufliche Laufbahn einst begonnen hat, referierte Annette Groth. Die frühere Linke-Bundestagsabgeordnete war im Mai 2010 mit Paech beim »Ship to Gaza«-Konvoi dabei, der die israelische Seeblockade des Gazastreifens zu brechen versuchte. Die in Venedig lebende Literaturwissenschaftlerin Susanna Böhme-Kuby schließlich befasste sich in ihrem Beitrag mit der Frage, was Antifaschismus heute bedeute, auch im Licht der aktuellen Entwicklungen in Italien.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Josie M.
    Hiermit möchte ich mich insbesondere dem Dank von Kubas Botschafterin in Berlin, Juana Martínez González, anschließen. Denn Norman Paechs Engagement eben auch für Kuba hat bspw. unter anderem auch der internationalen Kampagne zur Befreiung der »Los Cinco Heroes« aus der unrechtmäßigen US-Haft zum Sieg verholfen. Norman Paech scheute sich nicht, auch als Völkerrechtler als Prozessbeobachter vor Ort zu sein, sowohl bei den unfairen Prozessen in den USA als auch noch 2014 zur Verstärkung der Aufmerksamkeit für das »Internationale Tribunal« zugunsten der »Cuban Five« in London. Es hat die Mitstreiter nicht nur hier in Deutschland ermutigt und letztlich zum Sieg der Kampagne, der Freilassung aller Fünf am 17. Dezember 2014 beigetragen. – Es ist zwar nur ein Detail seines unerschrockenen Einsatzes für die Benachteiligten und gegen die Verstöße des Völkerrechts, aber an diesem Beispiel wurde es für jemanden wie mich besonders deutlich.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S.
    Vor ein paar Tagen habe ich mich gefragt, was geschieht, wenn ich den Buchtitel von Ilan Pappe: »Die ethnische Säuberung Palästinas« als Plakat trage? Bin ich trotz unserer Familiengeschichte antisemitisch, antizionistisch, antihumanistisch oder antirealistisch? Früher, also vor Dutzenden von Jahren, war ich ein Anhänger der Umdenkenden. Davon blieb so gut wie nix übrig. Unfassbar, dass die gesamte Linke in der BRD nach der PdL jetzt neu beginnen muss. Ich bin 104 Jahre alt, um den Vorgang mal zu erklären und zu dramatisieren. Ich würde sagen, dass es an der Zeit ist, diesen Wust an Gestalten, die wie Ramelow und Lederer weit weg von den Linken sind, von ihren unverstandenen und ungewollten Funktionen zu erlösen. Anders ist die PdL wohl kaum zu retten.

 

Über admin

Hausarzt, i.R., seit 1976 im der Umweltorganisation BUND, schon lange in der Umweltwerkstatt, seit 1983 in der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW (www.ippnw.de und ippnw.org), seit 1995 im Friedenszentrum, seit 2000 in der Dachorganisation Friedensbündnis Braunschweig, und ich bin seit etwa 15 Jahren in der Linkspartei// Family doctor, retired, since 1976 in the environmental organization BUND, for a long time in the environmental workshop, since 1983 in the medical peace organization IPPNW (www.ippnw.de and ippnw.org), since 1995 in the peace center, since 2000 in the umbrella organization Friedensbündnis Braunschweig, and I am since about 15 years in the Left Party//
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